Die Hagia Sophia ist wieder eine Moschee

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Zum ersten Mal seit 86 Jahren haben sich wieder Muslime zum Freitagsgebet in dem Gebäude versammelt. Die Umwandlung von einem Museum in ein muslimisches Gotteshaus wird auch in der Türkei von vielen kritisch gesehen.

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Freitagsgebet in der Hagia Sophia

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Hagia Sophia: Erstes Freitagsgebet nach Umwandlung in Moschee

Zum Freitagsgebet zur Wiedereröffnung der Hagia Sophia ist auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nach Istanbul gekommen. Er trug, wie die anderen Gläubigen auch, einen Mund-Nasen-Schutz. Das Gebet wurde per Livestream im Internet übertragen. Für die Zeremonie waren christliche Figuren und Fresken innerhalb des Gotteshauses verdeckt worden.

Auf dem Platz vor der Moschee haben sich zahllose Gläubige zum Gebet versammelt

Schon Stunden zuvor waren Tausende Menschen auf dem Sultanahmet-Platz am Fuße der Hagia Sofia zusammengekommen. Mehr als 20.000 Polizisten sorgen laut türkischen Medienbereichten vor der Moschee für Sicherheit. 

Erst vor zwei Wochen hatte die türkische Regierung die Erlaubnis erhalten, die Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln. Das höchste Verwaltungsgericht der Türkei gab am 10. Juli grünes Licht dafür.

Noch vor wenigen Tagen diente die Hagia Sophia als Museum, nun zieht es Betende dorthin

Politik unter der Kuppel

Das monumentale Bauwerk und architektonische Meisterwerk, das im 6. Jahrhundert nach Christus vom byzantinischen Kaiser Justinian errichtet wurde, war immer wieder Gegenstand von Symbolpolitik. Als die Osmanen Konstantinopel 1453 eroberten, verwandelte Sultan Mehmed II. die Kirche kurzerhand in eine Moschee.

Auch der Gründer der türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, nutzte das Gotteshaus für einen Akt von hoher symbolischer Bedeutung: Im Jahr 1935 machte er aus der Hagia Sophia ein Museum. Die moderne Türkei sei ein säkulares Land, lautete die Botschaft von damals.

Die Hagia Sophia: Weltkulturerbe zweier Weltreligionen

Nun bedient sich auch Erdogan der Symbolkraft des Weltkulturerbes. Für viele seiner nationalistisch-islamistisch gesinnten Wähler steht die Hagia Sophia für die Eroberung des christlichen Konstantinopels durch die Osmanen und für die Überlegenheit der islamischen Welt.

“Mit dem Schwert erobert”

Begleitet wurde die AKP-Initiative von nationalistischer Rhetorik. “Die Hagia Sophia ist unser geographischer Besitz. Wer es mit dem Schwert erobert hat, besitzt auch die Eigentumsrechte”, polterte etwa der stellvertretende AKP-Vorsitzende Numan Kurtulmuş. “Die Hagia Sophia ist Teil unserer Souveränität.”

Die Regierungspartei gab sich schon vor der Entscheidung siegesgewiss: Am 567. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels ließ sie einen Imam einige Koran-Suren in der Hagia Sophia sprechen. In der türkischen Öffentlichkeit wurde anschließend bereits darüber spekuliert, ob die Entscheidung schon gefallen sei und daher bereits erste Vorbereitungen getroffen würden.

“Geschenk” an seine Wähler: Präsident Erdogan ordnete an, die Hagia Sophia als Moschee zu nutzen

Kritik von der Orthodoxen Kirche

Der Versuch riss neue Gräben auf. Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel, das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche, hatte sich strikt gegen eine Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ausgesprochen.

Die Hagia sei eines der bedeutendsten Baudenkmäler der menschlichen Zivilisation und gehöre nicht bloß ihren unmittelbaren Eignern, sondern “der ganzen Menschheit”, so der Patriarch bei einem Gottesdienst in Istanbul.

Auch Nikolas Uzunoglu, der Vorsitzende der Föderation griechischstämmiger Türken (IREF), sagte der DW noch vor dem Gerichtsentscheid, dass er es für falsch halte, dass die Hagia Sophia zum politischen Zankapfel werde. Das Bauwerk stehe für den Frieden zwischen den Religionen und Zivilisationen.

Hilferufe an den Papst

Auch die russisch-orthodoxe Kirche hat die Umwandlung scharf kritisiert. “Die Sorgen von Millionen von Christen wurden nicht gehört”, sagte Wladimir Legoida vom Moskauer Patriarchat der Agentur Interfax in Moskau. “Die Gerichtsentscheidung zeigt, dass alle Forderungen nach Zurückhaltung ignoriert wurden.”

Griechenlands Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou bat Papst Franziskus um Beistand, im Streit um die Hagia Sophia seinen internationalen Einfluss geltend zu machen. Die türkische Regierung müsse ihre Entscheidung revidieren und den Status des Bauwerks als Kulturdenkmal wiederherstellen, sagte Sakellaropoulou laut griechischen Medien in einem Gespräch mit Franziskus Anfang der Woche.

Hilferuf an den Papst: Griechenlands Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou bat Franziskus, zu intervenieren

Papst Franziskus hatte bereits am Sonntag nach der Entscheidung über die Umwandlung der Hagia Sophia auf dem Petersplatz gesagt, er empfinde einen “großen Schmerz”, wenn er an das Wahrzeichen in Istanbul denke.

Ein Gebäude, zwei Religionen

Auch in der akademischen Welt hatte man sich besorgt über die mögliche Umwandlung des Museums geäußert. “Das Gebäude dient seit 1500 Jahren gleich zwei Weltreligionen, ohne dass seine Architektur grundlegend geändert werden musste”, sagte der Historiker Edhem Eldem von der Istanbuler Bogazici-Universität.

“Von dieser Art Gebäuden gibt es nur eine Handvoll auf der ganzen Welt. Und die muss man schützen.” Die Hagia Sophia stehe zudem für ein gemeinsames, universelles Menschheitserbe. “Möchten wir dieses Erbe abschotten und verbergen – oder nicht lieber der ganzen Welt präsentieren?”, fragt Eldem.

Präsident Erdogan scheint dieses Erbe gezielt politisch nutzen zu wollen. Auch der Name des Predigers für die Einweihung am Freitag ist ein politisches Zeichen: Diyanet-Präsident Ali Erbas ist bekannt für seine konservative Auslegung des Islams.

Die oberste islamische Autorität der Türkei geriet erst im April dieses Jahres nach einer Predigt anlässlich des Fastenmonats Ramadan heftig in die Kritik. Der Grund: Erbas führte den Ausbruch des Coronavirus auf Homosexualität und Ehelosigkeit zurück.


  • Weltkulturerbe: Die Hagia Sophia in Istanbul

    Architektonischer Meilenstein

    Im Jahre 532 gab der in Konstantinopel residierende römische Kaiser Justinian den Auftrag, eine mächtige Kirche zu bauen, “wie es sie seit Adams Zeiten nicht gegeben hat und wie es sie niemals wieder geben wird”. Gut 10.000 Arbeiter machten sich ans Werk. Schon 15 Jahre später wurde der Rohbau eingeweiht. Ein Jahrtausend lang blieb die Kuppelbasilika die größte Kirche der Christenheit.


  • Weltkulturerbe: Die Hagia Sophia in Istanbul

    Krönungskirche von Byzanz

    Knapp 150 Tonnen Gold soll Justinian in den Bau der riesigen Hagia Sophia investiert haben. Die Konstruktion musste allerdings nachgebessert werden. Die Kuppel war zunächst zu flach bemessen und brach bei Erdbeben ein. Schon bald wurde die Hagia Sophia (deutsch: Heilige Weisheit) als Staatskirche genutzt. Seit Mitte des 7. Jahrhunderts wurden hier die byzantinischen Herrscher gekrönt.


  • Weltkulturerbe: Die Hagia Sophia in Istanbul

    Umwandlung zur Moschee

    Die byzantinische Herrschaft über Konstantinopel endete im Jahr 1453: Der osmanische Sultan Mehmet II. eroberte die Stadt und erklärte die Hagia Sophia zur Moschee: Kreuze wichen dem Halbmond, Glocken und Altar wurden zerstört oder demontiert, Mosaike und Wandgemälde übertüncht. Das erste Minarett verlieh dem Sakralbau auch äußerlich eine muslimische Anmutung.


  • Weltkulturerbe: Die Hagia Sophia in Istanbul

    Von der Moschee zum Museum

    Nach dem Ende des Osmanischen Reiches ließ der türkische Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk die Hagia Sophia 1934 in ein Museum umwandeln. Mit der Profanisierung gingen aufwändige Restaurationsarbeiten in dem historischen Gebäude einher. Dabei wurden die byzantinischen Mosaiken wieder freigelegt. Es wurde sehr darauf geachtet, auch die späteren muslimischen Einbauten nicht zu zerstören.


  • Weltkulturerbe: Die Hagia Sophia in Istanbul

    Byzantinische Ikonen

    Das prachtvollste Mosaik im riesigen Innenraum der Hagia Sophia ist ein christliches Andachtsbild aus dem 14. Jahrhundert, das an der Wand der Südempore freigelegt wurde. Auch wenn es nicht vollständig erhalten ist, sind doch die Gesichter deutlich zu sehen: In der Mitte Jesus als Weltenherrscher, zu seiner Linken Maria und Johannes der Täufer zu seiner Rechten.


  • Weltkulturerbe: Die Hagia Sophia in Istanbul

    Islam und Christentum auf Augenhöhe

    Die bewegte Geschichte der Hagia Sophia und die Anwesenheit beider Weltreligionen ist den Besuchern aus aller Welt auch auf Schritt und Tritt gegenwärtig: Die Schriftzüge “Mohammed” (li) und “Allah” (re) flankieren die Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß, die hinten auf dem Deckengemälde zu sehen ist.


  • Weltkulturerbe: Die Hagia Sophia in Istanbul

    Dialog der Kulturen

    Anspruch auf die Hagia Sophia erhob lange auch Bartholomaios I., der Patriarch von Konstantinopel und zugleich Ehrenoberhaupt aller orthodoxen Christen. Er sprach sich gegen die Umwandlung des Gebäudes in eine Moschee aus. Seit 1934 habe die Hagia Sophia den Status eines Museums und könne als “Ort und Symbol von Begegnung, Dialog und friedlichem Zusammenleben der Völker und Kulturen” dienen.


  • Weltkulturerbe: Die Hagia Sophia in Istanbul

    Weltkulturerbe

    Seit 1985 gehört die frühere Krönungskirche der byzantinischen Kaiser zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die 55 Meter hohe Hauptkuppel, umsäumt von den vier Minarett-Türmen, überragt majestätisch das Stadtbild der türkischen Metropole Istanbul. Die UN-Kulturorganisation warnte jüngst die Türkei davor, das Museum Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln.


  • Weltkulturerbe: Die Hagia Sophia in Istanbul

    Hagia Sophia wird wieder zur Moschee

    Am 10. Juli 2020 hat das Oberste Verwaltungsgericht in der Türkei den Weg zur Nutzung der Hagia Sophia in Istanbul als Moschee freigemacht. Die Richter annullierten den Status des berühmten Bauwerks als Museum. Damit könnten rein rechtlich in der Hagia Sophia wieder religiöse Zeremonien stattfinden. Das Gericht folgt damit einem Wunsch von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan.

    Autorin/Autor: Heike Mund