Ein britischer Markt am anderen Ende Europas

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Tausende Westeuropäer haben ihren Wohnsitz an die bulgarische Schwarzmeerküste verlegt. Sogar einen “britischen Flohmarkt” gibt es dort. Nicht gerade am Nabel der Welt, aber Alexander Andreev hat sich trotzdem umgesehen.

Britischer Flohmarkt in Kranewo

Es hört sich verrückt an, ist aber wahr: an jedem letzten Samstag des Monats fahren viele westeuropäische Ansiedler zum “britischen Flohmarkt” im bulgarischen Schwarzmeerdorf Kranewo. Es sind überwiegend Briten, aber auch andere Westeuropäer, die sich dafür entschieden haben, ihre “goldenen Jahre” an der bulgarischen Küste zu verbringen.

Frank aus Norwich zum Beispiel, der seit zehn Jahren im Dorf Sokolowo lebt. Der große, hagere Engländer steht Schlange vor dem rot-gelb bemalten mobilen Laden für britische Nahrungsmittel:

“Ja, die Menschen sind okay, manche sogar sehr nett. Und die Preise sind sehr vernünftig. Die Arbeit ist billig hier und ich habe ein ganzes Haus, das viel Arbeit braucht.”

“Und das Essen? Schmeckt es Ihnen?”, will ich wissen.

“Nö. Bulgarisch essen wir nicht, wir machen unsere Einkäufe hier, britische Nahrungsmittel halt.”

Ich lasse nicht locker: “Und Obst, Gemüse? Dafür ist ja Bulgarien bekannt.”

“Gemüse und Obst, das schon. Vom Lidl in der Stadt”, sagt Frank.

Frank aus Norwich: “Nö, Bulgarisch essen wir nicht!”

Wie es sich für einen waschechten Briten gehört, lässt es das wichtigste Thema nicht aus: das Wetter. Im Winter sei es hier, in Nordost-Bulgarien, sehr kalt und windig, klagt er. Nun ja, in seiner Heimatstadt sei es auch nicht gerade warm, dazu aber sehr nass und ebenfalls windig, gebe ich zu bedenken.

“Nun, da haben Sie Recht”, meint Frank und geht zu den Regalen im mobilen Laden. Vielleicht kauft er auch eine Dose “Spam” – die Konserven mit dem typisch britischen Dosenfleisch sehen immer noch so aus wie in den Sketchen der legendären Komikertruppe Monty Python.

Angeboten wird alles Mögliche

Auf dem Platz sind etwa zehn weitere Stände aufgebaut. Angeboten wird alles Mögliche: Geschirr und Besteck, Gartenscheren, Messer, Sägen, Schlösser, Spielzeug, Kleider. Vor einem Peugeot mit belgischem Kennzeichen hat ein Ehepaar Metallbüchsen, Klempnerteile und Werkzeug aufgestellt. Beide reden Flämisch unter sich und sind angenehm überrascht, als ich sie in ihrer Sprache, die ich in ihrer Heimatstadt Gent gelernt habe, anrede.

“Heutzutage leben in Gent viele Bulgaren, wir aber sind nach Bulgarien gezogen,” lacht Elka van Hulse, die zuhause bei der Post und als Putzkraft gearbeitet hat. Wie sie sich hier fühle?

“Gut, sehr gut! Seit 2000 wohnen wir fast die ganze Zeit hier, ich liebe dieses Land!”, schwärmt sie.

“Und was gefällt Ihnen am besten?”

“Tja… die gute Luft und die Ruhe. Hier sind meine Nerven überhaupt nicht strapaziert, in Belgien ist das Leben sehr anstrengend und nervig. Nur Stress! Zuhause ist es auch sehr teuer, viele Steuern, viele Steuern… Bulgarien ist ja das wahre Paradies in dieser Hinsicht”, fügt sie hinzu.

Familie van Hulsen lebt seit 20 Jahren in Bulgarien

Was die Belgierin meint, ist der sogenannte “flache” Steuersatz von 10 Prozent auf alles in Bulgarien. Vielleicht deswegen verbringt auch ihr Sohn die meiste Zeit in Bulgarien. Er wohnt aber in einer Großstadt, während Elka und ihr Ehemann im nahen Dorf Izgrew ein Haus gekauft haben.

Die Menschen in Bulgarien seien sehr freundlich, erzählt Elka, und auch die Speisen seien nicht so exotisch sondern fast wie in der Türkei oder in Griechenland. Trotzdem koche sie weiterhin belgisch, zum Beispiel “Waterzooi” (flämischer Eintopf – Anm. d. Red.), so sei man das halt gewöhnt.

Genug von Deutschland

Am Stand der Familie van Hulse guckt sich ein Kunde um. Der Deutsche Peter wohnt im Dorf Tsaritschino, mehr will aber nicht sagen: keine Lust auf Interviews. Zum Glück mischt sich eine sehr gesprächsfreudige Bulgarin ein, die nebenan alte Kleider verkauft.

“Ich komme aus Wratza, bin aber mit einem Deutschen verheiratet. Wir haben jahrelang in der Nähe von Bayreuth gelebt.”

Was Sie in Deutschland so gemacht habe, will ich natürlich wissen.

“Was soll ich schon großartig gemacht haben? Gearbeitet habe ich, als Zimmermädchen. Davon will ich aber nichts mehr hören, gar nichts!”

Auch von Deutschland wolle sie nichts mehr hören: “Nur noch Bulgarien, nichts anderes!”

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Deutsche Rentner suchen ihr Glück im Ausland

Das Geschäftsleben auf dem britischen Markt in Kranewo könnte – gelinde ausgedrückt – etwas intensiver sein. Eine Engländerin (mit Maske) kauft Tomaten, die sie in ein Auto mit bulgarischem Kennzeichen, aber mit dem Lenkrad auf der rechten Seite verlädt. Sie will auch nicht vor dem Mikro reden, meint, sie sei in Eile. Neben ihr parken gerade zwei Motorräder (sogar eine “Harley-Davidson” ist dabei), deren Besitzer direkt zur Kneipe mit dem mediterran angehauchten Namen “Bistro Elios” marschieren.

“Nun ja, es geht denen weniger um die Geschäfte,” grinst mein Freund Ogi, als ich ihm von meinem Abstecher ans Schwarze Meer erzähle. “Die meisten kommen wegen der Kneipe hierher, um zusammen ein paar Gläser zu kippen.”

Irgendwie könnte das auch stimmen. Und trotzdem sollte man mit Respekt feststellen, wie klug sich die Briten diese ganz praktische Form der Sozialisierung ausgedacht haben. Ja, die Briten, das können sie: in der Fremde leben, mit dem Fremden leben – und trotzdem britisch bleiben.