French Open 2020 im Angesicht der Corona-Pandemie: Paris, je ne t’aime pas

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Als letztes Grand Slam des Jahres starten in Paris die French Open. Sportlich verspricht das Turnier einiges, aber die 119. Ausgabe von Roland Garros steht unter keinem guten Stern – nicht nur wegen der Corona-Pandemie.

Man hält hier was auf sich, Tradition und Moderne werden hier vereint heißt es: Paris, genauer gesagt die French Open sind ein Klassiker des Tennis-Sports. Als einziges der vier Grand-Slams wird das Turnier am Stade Roland Garros auf Sand gespielt. Lange Ballwechsel gehören hier genauso dazu, wie das penible Kehren der Linien mit dem Besen und das offene Ende im fünften Satz. Denn als einziges der vier Grand Slams wird hier im entscheidenden fünften Satz bei den Herren, bzw. dritten Satz der Damen, kein Tiebreak oder Matchtiebreak gespielt. Es geht so lange, bis eine/r zwei Spiele vorne ist. Und das bedeutet mitunter: sehr lange!  

Die Matches gehen in Paris bis in die späten Abendstunden, was eigentlich nichts ungewöhnliches ist. Zwar verfügt der Center Court in Paris seit diesem Jahr als erster Platz der Anlage über ein auf- und zufahrbares Dach und Flutlicht, doch da auf allen anderen Plätzen Open unter freiem Himmel und ohne Flutlicht gespielt wird, gehört es hier eben auch dazu, dass Matches am nächsten Tag fortgesetzt werden müssen. Daran sind die Zuschauer in Paris gewöhnt und auch sie gehören beim zweiwöchigen Spektakel auf der engen Anlage zwischen den beiden größten Stadien Court Philippe Chatrier und Court Suzanne Lenglen fest dazu – eigentlich.

1.000 Zuschauer pro Tag 

Denn in diesem Jahr ist auch hier alles anders. Zwar planten die French Open nach ihrer Verlegung von Mai/Juni auf September/Oktober im Gegensatz zu den vor zwei Wochen zu Ende gegangen US-Open immer mit Zuschauern, doch die Pläne erhielten immer wieder Dämpfer: Aus zu Beginn an 20.000 angedachten Fans machten die Veranstalter in Anbetracht der Pandemie-Entwicklung zwischenzeitlich 11.500, dann 5.000 und zuletzt nur noch traurige 1.000 Zuschauer.

Die Entwicklung im aktuellen Hochrisikogebiet Paris macht diese Maßnahmen unumgänglich. “Die Situation verschlechtert sich weiter”, hatte Frankreichs Gesundheitsminister Oliver Veran zuletzt im Hinblick auf Paris gesagt und davon gesprochen, “zusätzliche Maßnahmen ergreifen”. Seit Samstag gilt die von der Regierung erlassene Obergrenze von 1.000 Menschen bei öffentlichen Veranstaltungen auch in Paris und somit bei den French Open. 

Für die Organisatoren um Turnierdirektor Guy Forget schlechte Nachrichten, genauso wie die sechs positiven Corona-Fälle im Rahmen der Qualifikation für das Hauptturnier. Die French Open 2020 hängen am seidenen Faden. Um den “GAU Turnierabbruch” zu vermeiden haben die Organisatoren die Profis in zwei Hotels untergebracht, in denen die “Blase” dichthalten soll: Die 60 besten der Weltrangliste in einem, aller anderen Spielerin*innen in dem anderen Hotel – so soll es klappen. 

Kritik von allen Seiten

Hier scheint das Turnier besser aufgestellt, als die US-Open, bei denen einige Spieler in Hotels untergebracht waren, in denen sie unfreiwillig Kontakt zu anderen Menschen, unter anderem Hochzeitsgesellschaften, hatten. Das brachte den US-Open viel Kritik ein. Die French Open hatten schon früh in der Pandemie massive Kritik einstecken müssen. Im damals wie heute von der Pandemie schwer getroffenen Frankreich und in der Tennis-Welt sorgte der Alleingang der Organisatoren mit der Neu-Terminierung des Turniers direkt nach den US Open für Kopschütteln.

Das hat sich bis heute nicht wirklich geändert. Kaum jemand scheint sich auf die French Open zu freuen. Zu bedenklich ist die aktuelle Pandemie-Entwicklung, zu unattraktiv die Geisterkulisse mit wenigen Zuschauern, zu verbissen scheinen die Organisatoren, das Turnier um jeden Preis durchzuziehen. “Mehr als den Eiffelturm, den ich von meinem Hotelzimmer aus sehen kann, werde ich wohl dieses Jahr von Paris nicht mitbekommen”, sagte im Vorfeld die dreifache Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber – Vorfreude kling anders. 

Kyrgios und die Spaltung der Tennis-Welt

Gar keine Vorfreude auf das Turnier hat derweil die Titelverteidigerin Ashleigh Barty. Die Australierin hat – wie schon bei den US Open – ihre Teilnahme am Turnier abgesagt. Genauso hält es auch der männliche Top-Spieler auf Australien, Nick Kyrgios. Auch er hatte für die US Open, wie jetzt für die French Open abgesagt. Doch dabei belässt es der meinungsfreudige Australier, der in der Tennis-Szene lange als “Bad Boy” galt, nicht. Kyrgios geht weiter und ist mittlerweile einer der größten Kritiker der wiedergestarteten Tennis-Tour und der eigenen Zunft. Kyrgios stellt via Twitter daheim in Australien immer wieder die Pandemie, deren Bekämpfung und die Mitverantwortung der gesamten Tennis-Szene. 

Nick Kyrgios (l.) und Rafael Nadal bei den Australian Open 2020

Deutliche Kritik richtete Kyrgios nach dem Desaster von Novak Djokovics Adria-Tour mit anschließender Party und Infektionen, unter anderem bei Grigor Dimitrov, an den Serben und die teilnehmenden Spieler, darunter Dominic Thiem und Alexander Zverev. Spätestens als Bilder eines in Monaco feiernden Zverev auftauchten, nachdem er sich in einer auf Instagram veröffentlichten Erklärung reutmütig in Bezug auf die Adria-Tour gezeigt hatte, wurde der deutsche Top-Spieler zur Kyrgios-Zielscheibe Nr. 1.

“Es kotzt mich an”, schrieb der Australier, der sich selbst eine Reisepause auferlegt und die Tennis-Tour unterbrochen hat zu den Party-Bildern des Deutschen und fragte. “Mann, wie egoistisch kannst du sein?” Kyrgios wird oft vorgeworfen, auszuteilen, aber nicht einstecken zu können, so auch in der jüngsten Twitter-Schlacht von Tennis-Ikone Boris Becker, der sich öffentlich immer wieder vor Zverev stellte und diesen gegen die Attacken von Kyrgios mit drastischen Worten wie “Ratte” auf Twitter zu verteidigen gedachte. Kyrgios wiederum schrieb zuletzt bei Twitter zu Becker: “Er ist vom Wunsch, mein Trainer zu werden – offensichtlich wegen seines verzweifelten Bedürfnisses nach einem Gehaltsscheck – dazu übergegangen, mich auf Instagram zu hassen. Es ist eine seltsame Welt, in der wir leben.”

Sportliche Duelle sehen anders aus. Doch die öffentlich ausgetragenen Schlagabtausche zeigen einmal mehr, wie zerrissen die Tennis-Welt im Augenschein der Pandemie ist. Sollen Turniere stattfinden oder nicht? Reise ich an oder nicht? Wer soll die Profis in Zukunft wie vertreten? Neben all den Einzellkonflikten, die die Uneinigkeit in den letzten Monaten immer wieder offenbart hatten, sind es besonders die Pläne des Weltranglistenersten Djokovic, eine neue von der ATP unabhängige Spielervertretung zu gründen, die die Spaltung der Tennis-Welt sichtbar machen und vorantreiben. 

Jagd auf Nadal

Unter diesem Aspekt hat es natürlich etwas Gutes, wenn sich die Profis auf das Wesentliche konzentrieren und Tennis spielen – in diesem Fall im Hochrisikogebiet Paris. Denn bei allen Rückschlägen für die French Open: Bezüglich des Teilnehmerfeldes schöpft das Turnier nahezu aus den Vollen. Bis auf Kyrgios und den verletzten Roger Federer sind bei den Herren alle Top-100-Spieler in Paris dabei – darunter natürlich auch der “König von Paris”, Rafael Nadal. 

Triumph Nr. 12: Rafael Nadal nach seinem French-Open-Sieg 2019

Mit Spannung darf erwartet werden, in welcher Form sich der Spanier, dessen letztes Grand Slam die Australian Open im Januar waren. Doch grundsätzlich gilt bei den French Open, mehr als bei jedem anderen Turnier: Diesen Mann gilt es zu schlagen. Zwölfmal siegte Nadal auf dem Sand in “seinem Wohnzimmer” auf dem Court Philippe Chatrier, nur zweimal überhaupt konnte ein Gegner ihn in Paris schlagen: 2015 war es Novak Djokvic, 2009 der Schwede Robin Söderling, alle anderen Matches gewann Nadal in Paris. So wird auch dieses Mal aller Wahrscheinlichkeit der Weg zum Titel nur über ihn gehen. Djokovic als Weltranglistenerster und der Österreicher Dominic, ein ausgewiesener Sandspezialist und frisch gebackener US-Open-Sieger, dürften die größten Konkurrenten für Nadal sein. Sportlich also ein bisschen so wie immer, in jeglicher anderen Hinsich nicht: Die Tour de France kam von einer Woche in Paris an. Ob die French Open in zwei Wochen auch mit einem glücklichen Sieger und einer strahlenden Siegerin zu Ende gehen, steht in den Sternen.