Polizei: Zwischen Randale und Rechtsextremismus-Vorwurf

0
411

Deutschland streitet über seine Polizei. Oft steht sie im Mittelpunkt von Kritik. Oft steht sie unter Druck. Polizeiseelsorger Christian Mendt aus Sachsen schildert seine Sicht.

Polizeiarbeit in Deutschland ist zum Thema geworden. Beamte werden bei Demonstrationen von Verschwörungsanhängern beschimpft und angegriffen. Zugleich werden Beamte für Übergriffe kritisiert. Christian Mendt (65) ist seit sechseinhalb Jahren evangelischer Polizeiseelsorger für den Bereich Dresden. Im DW-Interview berichtet er von seinen Erfahrungen.

DW: Pfarrer Mendt, seit Monaten gibt es eine Debatte in Deutschland um den Umgang mit Polizisten. Dass sie nicht wertgeschätzt würden, dass sie in Einsätzen beschimpft würden. Ist das auch Ihr Eindruck?

Christian Mendt, evangelischer Polizeiseelsorger in Dresden

Pfarrer Christian Mendt: Grundsätzlich stimmt das sicher nicht. Es gibt ja Jahr für Jahr Meinungsumfragen – auch im internationalen Vergleich – bei denen es um die Wertschätzung für einzelne Berufe geht. Die deutsche Polizei erreicht immer Spitzenwerte, mal 89, mal 86 Prozent. Weit mehr als der Papst oder auch die Kirchen, als Ärzte und Politiker. Ein Großteil der Bevölkerung ist mit ihrer Polizei sehr zufrieden.

Und trotzdem die Debatten.

Die Redaktion empfiehlt

Rassismus ist bei der Polizei verboten, also braucht man auch keine Studie darüber – mit dieser Argumentation verweigert sich das Bundesinnenministerium einer Empfehlung des Europarats.

Die Berliner Demonstration gegen die Coronavirus-Schutzauflagen ist schon schnell aus dem Ruder gelaufen. Weil Auflagen nicht eingehalten wurden, hat die Polizei die Demo aufgelöst, aber dennoch Konzessionen gemacht.

Fehler bei Polizei und Justiz, aber keine neuen Ermittlungsansätze. Das sagt der Abschlussbericht der Sonderberater zum Fall des vor 15 Jahren in einer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers.

Bei bestimmten Ereignissen, bei Demonstrationen oder Fußballspielen, kommt es immer wieder zu Beleidigungen, die wirklich massiv sind. Damit professionell umzugehen, lernen Polizisten in ihrer Ausbildung. Die meisten stecken das weg. Darauf werden sie vorbereitet. Dafür sind sie trainiert. Eigentlich gehört das zum Alltag.

Kommen Beamte hinterher auf Sie zu und schildern Situationen, in denen sie vielleicht zu brutal waren?

Wer war da brutal? Die Polizei oder das Gegenüber? Die Konfrontation ist manchmal Thema. Polizisten können zur Verarbeitung belastender Ereignisse auf verschiedene Hilfsangebote zugreifen. Polizeiseelsorger arbeiten im Einsatznachsorgeteam mit und stehen insbesondere dann zur Verfügung, wenn Polizisten von der Schusswaffe oder anderen Zwangsmitteln Gebrauch machen mussten.

Ein Spiel der Zweiten Bundesliga: Polizisten mit Schutzausrüstung, unterstützt vom Wasserwerfer

Aber das sind nicht die Hauptthemen. Ein Schwerpunkt sind eher strukturelle Herausforderungen, wie Personalmangel oder organisierte Veranstaltungen mit einem hohen Sicherheitsaufwand. Ich erinnere an den G20-Gipfel in Hamburg, bei dem auch Polizisten aus Sachsen eingesetzt waren. Ziemlich massiv musste Gewalt durch Gegengewalt bekämpft werden. Sächsische SEK-Beamten kontrollierten ein Haus nach Störern, die vom Dach Steine warfen. Im Schanzenviertel brannten Barrikaden. Geschäfte wurden geplündert. Autos angezündet. Polizisten mit Steinen beworfen – und das im Rahmen einer ausgeklügelten Strategie gegen die Polizei als “Feind”. Da kamen hinterher schon Fragen auf: Warum musste der Gipfel mitten in Hamburg stattfinden? Hätten deeskalierende alternative Standorte für diese Konferenz Gewalt von vornherein besser eindämmen können?

Beim G20-Gipfel in Hamburg 2017: Steine und anderes Wurfgeschosse dort, wo vorher eine Polizeieinheit stand

Sie sind Seelsorger. Wo liegt der spezielle Akzent des Gesprächs mit dem Seelsorger?

Polizeiseelsorger begleiten Polizisten in ihrem Dienst wertschätzend, in kritischer Solidarität, unparteiisch, mit seelsorgerlicher Schweigepflicht. Wir haben Zeugenverweigerungsrecht. Wir sind in Lebenskrisen da, in denen weniger der Polizeipsychologe oder -arzt aufgesucht wird als der Seelsorger. Wir moderieren in Konflikten mit Kollegen, bei der Verarbeitung belastender Ereignisse. Wir wirken mit bei schönen Anlässen wie einer Hochzeit oder weniger schönen wie im Trauerfall. 

Wenn Polizisten – wie bei der Demo am Berliner Reichstag – im Einsatz beschimpft oder bedroht werden, kann der Einzelne das ausblenden? Oder nimmt er das mit in die Familie oder die Nachbarschaft?

Das ist ein schwieriges Thema. Meine Erfahrung ist, manche nehmen auch diese Ablehnung mit nach Hause, die meisten nicht. Die meisten verarbeiten professionell Ablehnung, Beleidigung und Gegenwehr. Im Gegenteil, Polizisten werden darin ausgebildet, dass sie auch mit Ablehnung und Widerstand rechnen müssen. Ich höre aber auch von vielen, dass sich im Laufe ihrer Berufskarriere der Freundeskreis verändert. Denn sie können eigentlich über ihren Beruf oder den Alltag nicht reden, weil sie nicht dürfen – wegen des Dienstgeheimnisses, und weil sie häufig auf wenig Verständnis treffen.

Demonstration vor einem Gericht in Erfurt im Juli 2020: zwei Polizisten wurden hier wegen sexuellen Missbrauchs im Dienst verurteilt

Und für Beamte ist problematisch, dass häufig der ihnen gegenüberstehende demonstrierende Bürger nicht zu wissen scheint, wie Polizeiarbeit in unserem demokratischen Staat funktioniert. Politische Probleme müssen politisch und nicht durch die Polizei gelöst werden.

Seit vielen Wochen gibt es auch eine Debatte über als rechtsextrem oder ausländerfeindlich bewertete Übergriffe der Polizei. 

Um es deutlich zu sagen: Deutschland hat ein Rechtsextremismus-Problem, und Sachsen auch. Die Politik hat sich im vorigen Jahr darauf eingestellt und eine Sonderkommission “Rex” gegründet. Sie arbeitet erfolgreich. Klar, es gibt auch unter Polizisten “schwarze Schafe”. Aber man muss als Medien auch wahrnehmen, dass der Rechtsstaat mit der Polizeiführung konsequent solche Haltung und solches Tun ahnden. Polizisten leisten ihren Eid auf das Grundgesetz und ihre Landesverfassung.

Bei einer Demo in Berlin “gegen Polizeigewalt”: der Vorwurf des Rassismus

Wenn eine Ordnungsbehörde, die moralisch hochwertig arbeiten muss, einzelne Beamte hat, die einmal versagen oder Fehler machen, steht man in der Versuchung, das Verhalten zu pauschalisieren. Seit ich die Innensicht haben kann, merke ich, wie schwer die komplexe Polizeiarbeit zu vermitteln ist und dass in den meisten Fällen medialer Berichterstattung ein kritisches Vorurteil seitens Journalisten anzutreffen ist, das die Wahrnehmung auf Polizeiarbeit einschränkt.

Können Sie dafür Belege anführen?

Ich habe in meinen Jahren gelernt, wie breitgefächert die Ausbildung zum Polizisten ist. Schon die politische Ausbildung ist weit über dem Durchschnitt einer normalen Schulausbildung.

Ein deutscher Polizist im Auslandseinsatz in Afghanistan

Und eine weitere, wichtige Erkenntnis: Auf internationaler Ebene ist der Einsatz von deutschen Polizisten in Krisengebieten immer wieder gewünscht. Das liegt an ihrer besonderen politischen, sozialen, rechtlichen Kompetenz, an ihrer fachlichen Ausbildung, die stets von Deeskalierung ausgeht, und an ihrer politischen Neutralität. Mir scheint, wir sind in Deutschland mit einer Polizei ausgestattet, deren Wert der Durchschnittsbürger kaum ermessen kann.

Und trotzdem die Beschimpfungen, die Kritik und die Vorfälle.

Die Ansprüche an Polizeiarbeit sind wesentlich gestiegen. Das wird in der Öffentlichkeit und auch medial zu wenig beleuchtet. Die Gegenseite, die Verbrecher, sind technisch und personell sehr gut aufgestellt. Dafür gibt es immer wieder Belege. Und unser Rechtssystem macht die Ermittlungsarbeit nicht leicht und erfordert hohen Personalaufwand. Das Hauptproblem ist eigentlich der Personalmangel. Hinzu kommt, dass Polizei nicht überall technisch mit den besten und modernsten Mitteln ausgestattet ist.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt Polizeibeamte, die den Reichstag, den Sitz des Parlaments, vor dem Ansturm von Demonstranten geschützt hatten

Fehlt es an Wertschätzung? An Bezahlung?

Die Bezahlung in vielen Bundesländern ist gut, aber nicht überall. Die Länderunterschiede sind für den normalen Bürger nicht nachvollziehbar. Ein wiederkehrendes Thema sind die vielen Überstunden und das Problem, sie kaum abbauen zu können. Und wenn dann Polizisten versetzt werden, weil anderswo eine Sonderkommission oder eine neue Abteilung aufgebaut werden soll, dann fehlen sie an ihrer bisherigen Dienststelle. Der Druck, der damit einhergeht, wird durchaus auch zum seelsorgerlichen Problem.