Jazzfest Bonn: vielversprechender Neustart

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Mit einem Kopfhörer-Konzert meldete sich das Bonner Jazzfest lautstark zurück. Künstler und Publikum trafen sich Corona-gerecht bei einem Open-Air-Konzert.

Mittelalterliches Ambiente für das Vokalquartett Of Cabbages and Kings

Mittlerweile sind die Corona-Auflagen kein Ausnahmezustand mehr, sondern alltägliche Routine: Jeder Konzertveranstalter, der derzeit ein Event plant, muss also zusehen, wie kreativ er die Vorgaben umsetzen kann. Das Team vom Jazzfest Bonn mit Peter Materna an der Spitze hat seine Fähigkeit, ungewöhnliche Situationen zu meistern und außergewöhnliche Räume zu erobern, am Samstag, dem 5. September, unter Beweis gestellt: Das erste Lebenszeichen des im Mai wegen der Pandemie abgesagten Festivals wurde zu einem überragenden Erfolg. “Das Verlangen nach einem Live-Konzert, wo man physisch hingeht und live spielende Musiker erlebt, ist schon riesig”, so Materna in einem DW-Interview vor dem Konzert – und er behielt recht.

Jazzkonzert mal anders

Hier ist also ein mögliches Rezept für ein perfektes “Corona-Konzert”: Man suche eine kleine malerische Burg, dessen freundliche Besitzer ein Pandemie-geplagtes Musikfestival gern willkommen heißen. Man lade junge aufstrebende Künstler aus der lokalen Szene ein, die keine langen Wege zurücklegen müssen, um den Veranstaltungsort zu erreichen. Man informiere die Festival-Gemeinde, die sich seit zehn Jahren um das Jazzfest gebildet hat. Ratsam ist es auch, sich die Unterstützung von einem Audiotechnik-Hersteller zu sichern, um die Qualität des Sounds zu gewährleisten. Und dann ist noch ein Gebet zum Wettergott fällig.

Publikum links, Künstler rechts: Konzert auf Burg Lede

Und siehe da, alles hat geklappt: An einem lauwarmen Spätsommerabend verteilen sich 200 Konzertbesucher Corona-gerecht auf einem Hang des ehemaligen Grabens der Wasserburg Lede und machen es sich auf Picknickdecken und mitgebrachten Klappstühlen bequem. Am Eingang bekommt jeder registrierte Konzertbesucher ein grün oder blau leuchtendes Kopfhörerset, so dass das Publikum in der anbrechenden Dunkelheit einem Schwarm riesiger Leuchtkäfer ähnelt. Die ausgeleuchtete Burg bildet eine malerische Kulisse. Zwar ist das Gefühl gewöhnungsbedürftig, den Gesang – wie in einem Tonstudio – nur aus den Kopfhörern zu vernehmen, der exzellente Sound tröstet aber darüber hinweg – eine echte Alternative in einer Situation, in der man sich nicht dicht an dicht vor der Bühne drängen darf.

So war es mal: Of Cabbages and Kings 2019 zu Gast beim Bundespräsidenten

Die vier Sängerinnen der Kölner A-Cappella-Formation “Of Cabbages and Kings” boten, unfreiwillig Burgfräuleins ähnelnd, ein anspruchsvolles Programm aus eigenen Vertonungen, etwa der Shakespeare-Sonette oder Gedichten von Hannah Arendt sowie Jazz-Klassikern. Nach vielen Monaten gegenseitiger Abstinenz bekamen die Sängerinnen und ihre Fans kaum genug voneinander: Erst nach zahlreichen Zugaben konnten die müden Künstlerinnen in die Dunkelheit der romantischen Burg entschwinden.

Corona-Zeit als Heilfastenkur?

Veronika Morscher, Zola Mennenöh, Rebekka Salomea Ziegler und Laura Totenhagen haben, wie die meisten Künstler weltweit, eine Durststrecke hinter und eine unsichere Zeit vor sich. Dennoch können die vier der Corona-Ausnahmesituation auch Positives abgewinnen. Irgendwie sei das verstrichene halbe Jahr der Stille auch eine Art “Heilfastenkur” sowie eine Chance, die Weichen für die Zukunft zu stellen, finden sie. “Natürlich war es erschreckend, als die ganze Musik-Maschinerie plötzlich zum Stehen kam”, sagt Veronika Morscher. “Es war aber auch eine Aufforderung, bestimmte Dinge zu hinterfragen und neu zu bewerten.”

Zu Gast auf einer Burg: drei der vier Sängerinnen von Of Cabbages and Kings nach dem Konzert auf Burg Lede

“Da wurde die Wertschätzung für den eigenen Beruf, aber auch für das Publikum sehr deutlich”, stimmt Rebekka Ziegler der Kollegin zu. “Es stellte sich aber auch sehr deutlich die Frage: Wie wichtig ist die Kunst für mich, und wie wichtig ist mein Beitrag für die Gesellschaft?” Fragen, die nicht nur während der Pandemie zentral für jeden Künstler sind. Für Zola Memmenöh ist klar: “Die Entschleunigung der Corona-Zeit ist eine Lehre, ein Hinweis darauf, dass Gesundheit und mentale Balance eine Voraussetzung für die Kreativität sind.” Und noch etwas habe sie in dieser Zeit gelernt, so Veronika Morscher im DW-Gespräch: “Man muss lokaler denken. Das gilt für die Veranstalter wie für die Künstler: Man muss nicht erst in der Ferne suchen, was womöglich vor eigener Haustür liegt.” 

Jazfzestleiter Peter Materna ist in seinem Element: endlich wieder ein Live-Konzert

Jazzfestleiter Peter Materna und sein Team setzen alles daran, den Konzertbetrieb wieder möglich zu machen, während der nächsten Monate wollen sie alle 27 Konzerte des Jazzfestes 2020 nach und nach nachholen – auf einer Wasserburg oder anderswo.