Tour de France – Das Corona-Paradoxon

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172 Fahrer bilden bei der Tour de France gemeinsam mit ihren Betreuern die innerste Blase. Um sie herum: drei andere Blasen aus Organisatoren, Medien und Publikum. Diese sind aber weniger streng voneinander getrennt.

Wer in diesem Jahr die Tour de France besucht, hat einen freien Blick auf die Alpen. Nur spärlich besucht ist die Strecke. Caravans sind kaum zu entdecken. Das mag an Corona liegen. Weniger Menschen trauen sich in den Urlaub. Auch das Ende der Schulferien in den meisten Ländern Europas spielt eine Rolle. Viele Polizisten, die die Rennstrecke bewachen, stehen deshalb ganz allein in der Landschaft.

Die meisten haben Masken aufgesetzt. Den einen oder anderen Gendarmen sieht man aber auch ohne Mund-Nasen-Textil – und das nicht nur, weil er gerade trinkt oder raucht. Das ist einerseits menschlich verständlich, die nächste Person ist schließlich mehrere Hundert Meter entfernt. Andererseits konterkarieren Polizisten ohne Maske die derzeit strengen Regeln im Land. Sie sind auch ein erster Hinweis auf die Corona-Paradoxien bei der Tour de France.

Davon gibt es einige. Beim Grand Depart in Nizza verschwanden manche Teambusse hinter einem schwarzen Sichtschutz. Andere aber waren nur auf Armlänge von den Zuschauern entfernt. Weil manche Rennställe die Räder auch nahe der Barrieren aufstellten, rückte plötzlich der eine oder andere Radstar sogar in Selfie-Nähe der Fans. Das sollte eigentlich vermieden werden. Immerhin hielten sich die Zuschauer artig zurück. Die Ermahnungen, Selfies zu unterlassen und nicht um Autogramme oder Werbegeschenke zu bitten, fruchteten, zumindest beim Grand Depart in Nizza. Die Blasen von Rennställen und Publikum berührten sich zwar, sie platzten aber nicht. 

Maske auf, Maske ab

So vorbildlich wie sich diese Radsportdfans präsentieren, verhalten sich nicht alle

Widersprüchlich sind bei der Tour ebenfalls das Maskenvorgaben für die Teams. Im Rennen dürfen die Profis ohne Maske fahren. Im Teambus aber, wenn sie ganz unter sich sind, oder auch beim Einschreiben, bei dem sie ebenfalls ihre Blase nicht verlassen, sind sie verpflichtet, die Maske aufzusetzen.

Lotto Soudal-Profi Roger Kluge trägt diese Widersprüche mit Gelassenheit. “Wir lassen die Maske schon so viel wie möglich auf, gerade auch vor dem Start und jetzt im Ziel”, versichert er. Kurz nach dem Rennen wird die Praxis zuweilen laxer, da bleibt die Maske schon mal unten. “Nach schnell Duschen, Essen und trinken – da machst du nicht jedes Mal die Maske hoch und runter. Aber beim Essen im Hotel oder auf dem Weg zum Essen dann doch so viel es geht”, ergänzt Kluge.

Für den erfahrenen Radprofi – sieben Grand-Tour-Teilnahmen bisher – bedeuten die Hygieneregeln in der Pandemie ohnehin kaum eine Veränderung im Vergleich zum Vorjahr. “Es macht keinen Riesenunterschied. Es ist eigentlich nur die Maske, die dazukommt. Ob jetzt Einzelbetten oder Einzelräume fürs Essen: Das hatten wir auch letztes Mal schon”, sagt er. Kritischer sieht er dagegen Zuschauer, die ihrerseits keine Maske tragen – und so auch zur Rennstrecke kommen. “In den Ortschaften können die Leute schon rauskommen. Aber sie sollten wenigstens die Maske tragen, dann fühlen wir uns auch geschützt. Am Berg gestern standen viele Leute, aber die Hälfte ohne Maske. Und da fahren wir trotzdem nur einen halben Meter dran vorbei. Appell an alle: Wenigstens die Maske tragen.”

Im Zielbereich geht Kluge dann aus eigener Initiative auf Abstand. “Gerade wenn ich ausrolle, wo man vielleicht früher an der Bande gefahren ist und noch einmal abgeklatscht hat, da versucht man jetzt doch einfach ein bisschen Abstand zu halten und in der Mitte zu fahren”, sagt er.

Das Risiko falscher positiver Tests

Der Kolumbianer Sergio Higuita hält sich an die Maskenvorschrift

Ein großes Problem für die Tour de France-Rennställe stellen die Corona-Tests dar. Zwar sind sie notwendig, um die Hygiene-Blase, in der sie sich befinden, frei vom Coronavirus zu halten. Andererseits sorgten aber falsch-positive Tests im Verfeld der Tour für Unruhe. Fahrer und Betreuer der Rennställe Bora hansgrohe, AG2R, Lotto Soudal, Astana und Israel Start Up Nation waren nach einem ersten positiven Test jeweils von Rennen abgezogen worden. Nachfolgende Tests brachten aber allesamt negative Ergebnisse.

Weil das Pandemie-Handbuch der Tour bei einem positiven Fall den sofortigen Ausschluss des betroffenen Fahrers und beim zweiten Fall den Komplett-Ausschluss des jeweiligen Teams vorsah, herrschte Angst vor einem unberechtigten Tour-Aus. Im Unterschied zum Fußball, bei dem ein infizierter Spieler ganz unbesorgt in die Quarantäne gehen kann und nach ein, zwei Spielen, die er verpasst, seinem Team wieder zur Verfügung steht, kann ein einmal von der Tour ausgeschlossener Fahrer nicht ersetzt werden.

Mittlerweile fanden Veranstalter, Rennställe und Gesundheitsbehörden aber einen Kompromiss. Ralph Denk, Teamchef von Bora hansgrohe, erläutert das Procedere. “Wenn jemand posiitv ist, versucht man einen zweiten Test so schnell wie möglich an den Start zu kriegen. Aber man ist ja zeitlich unter Druck für die nächste Etappe. Und wenn die Zeit reicht, dann wird es Nachtestungen geben. Wenn nicht, dann ist er glaube ich raus. Aber das ist schon mal besser als nix”, sagt Denk.

In diesem engen Zeitfenster könnte ein Start-Up aus den Niederlanden helfen. Das Unternehmen Spektrax bietet einen Corona-Test auf Basis eines Laserscans an, der binnen weniger Minuten ein Resultat liefern kann. Das versicherte jedenfalls eine Spektrax-Sprecherin der DW. Bei der Tour kommt dieser Test bislang aber offenbar nicht zum Einsatz. Hier wird konventionell getestet. Das nächste Mal am Montag, dem ersten Ruhetag der Tour.


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