Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee stieß weltweit auf Kritik. Nun hat die Erdogan-Regierung mit dem Chora-Museum das Gleiche vor. Historiker und die christliche Gemeinde sind alarmiert.
Das byzantinische Bauwerk aus dem 6. Jahrhundert war seit 1945 ein Museum
Nachdem die Hagia Sophia bereits Mitte Juli in eine Moschee umgewandelt wurde, ist nun eine andere ehemalige Kirche im Visier des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Laut einem Dekret, das vergangene Woche von dem Präsidentenpalast veröffentlicht wurde, sollen bald wieder muslimische Gebete im Chora-Museum stattfinden. Zudem soll der im Istanbuler Stadtteil Fatih gelegene Sakralbau dem Türkischen Amt für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) unterstellt werden.
Das Museum weist eine ähnliche Geschichte wie das UNESCO-Weltkulturerbe Hagia Sophia auf: Im 6. Jahrhundert wurde es von den Byzantinern errichtet – im osmanischen Reich wurde die Kirche schließlich 1511 von Atik Ali Pasa, dem Großwesir Bayezids II., in eine Mosche umgebaut. Nach Gründung der Türkischen Republik entschied das Kabinett im Jahr 1945, die Moschee zu einer säkularen Stätte zu machen – sie wurde ein Museum.
Der christliche Sakralbau wurde 1511 von den Osmanen in eine Moschee umwandelt
Die ehemalige Chora-Kirche ist bekannt für ihre zahlreichen, gut erhaltenen Fresken und Mosaiken. In den sozialen Medien kursieren nun Videos von Besucherschlangen vor dem Museum. Offensichtlich wollen viele Menschen vor der unmittelbar bevorstehenden Umwidmung einen letzten Blick auf die kunstvollen Ausschmückungen erhaschen. Es wird befürchtet, dass die Verzierungen mit Vorhängen verdeckt werden.
“Kulturelle Vielfalt darf nicht in Frage gestellt werden”
Die Zweckentfremdung des Chora-Museums könnte neue Gräben aufreißen: Vertreter der türkisch-orthodoxen Gemeinde, darunter der Patriarch Bartholomäus von Konstantinopel, hatten sich strikt gegen die Nutzung der Hagia Sophia als Moschee ausgesprochen. Auch im Fall des Chora-Museums sind die Reaktionen negativ.
Die ehemalige Chora-Kirche ist bekannt für ihre gut erhaltenen Fresken und Mosaiken
Er bedauere die Umwandlung in eine Moschee sehr, sagt der Präsident der Vereinigung der griechischen Stiftungen (RUMVADER), Laki Vingas, der Deutschen Welle. “In einer Kulturhauptstadt wie Istanbul sollte die Vielfalt der Kulturen niemals in Frage gestellt werden”, erklärt Vingas, der sich auch in einer Vereinigung zur Erhaltung des kulturellen Erbes engagiert.
Video ansehen 04:14 Teilen
Freitagsgebet in der Hagia Sophia
Versenden Facebook Twitter google+ Tumblr VZ Xing Newsvine Digg
Permalink https://p.dw.com/p/3fq59
Hagia Sophia: Erstes Freitagsgebet nach Umwandlung in Moschee
Steht ein Exodus bevor?
Die kompromisslose Haltung der türkischen Regierung werde die Entfremdung von Minderheiten weiter vorantreiben, warnt er. Es gebe immer mehr junge Menschen, die einer Minderheit angehören und sich im Ausland nach einem neuen Job umschauen. “In den letzten 15 Jahren haben sich viele Menschen aus Griechenland in unserer Stadt niedergelassen. Sie haben sich hier integriert, sie haben zum Gemeinschaftsleben beitragen. Dass die jetzt darüber nachdenken, zurückzukehren, erfüllt mich mit Sorgen”, so Vingas.
Der Präsident der Vereinigung der griechischen Stiftungen Laki Vingas bedauert die Pläne
Der Kunsthistoriker Osman Erden glaubt, dass die Pläne die historische Vergangenheit der Bosporus-Metropole verletze. Der Grund, warum die Hagia Sophia oder die ehemalige Chora-Kirche zu Museen erklärt wurden, sei, dass man die gesamte Vergangenheit annehmen wollte. “Es war nie als Vorstoß gegen das Osmanische Reich und den Islam gedacht”. Der Akademiker ist besonders besorgt darüber, dass die Geschichte Istanbuls immer mehr politisch instrumentalisiert werde. Das sei nicht fair gegenüber der historischen Vergangenheit der Stadt.
Umwandlungen zum Reviermarkieren?
Die Konservatismus-Forscherin Ayse Cavdar
Die Konservatismus-Forscherin Ayse Cavdar sieht in den Umwidmungen von Museen ein politisches Manöver. “Erdogan und sein Team haben Istanbul bei den Kommunalwahlen vergangenes Jahr im Juni an die Opposition verloren. Jetzt bemühen sie sich wohl, auf anderem Wege Spuren in Istanbul zu hinterlassen”. Es sei nach Auffassung von Cavdar ein Signal: “Schaut her, wir sind immer noch hier.” Für die Regierung, die nach der Erdogan-Zeit an die politische Macht kommt, werde es ziemlich problematisch sein, diese Schritte der Islamisierung rückgängig zu machen, schlussfolgert die Wissenschaftlerin.