EU-Sondergipfel setzt Lukaschenko unter Druck

0
258

Noch in dieser Woche wollen die Staats- und Regierungschefs der EU Wege aus der Krise in Belarus suchen. Vermitteln, strafen, gut zureden – diese Optionen liegen auf dem Tisch. Bernd Riegert aus Brüssel.

Video ansehen
01:32

Druck auf Lukaschenko wächst

Zu einem Sondergipfel wegen außenpolitischer Fragen kommt die Europäische Union eher selten zusammen. Doch angesichts der staatlichen Gewalt gegen Demonstranten in Belarus sei ein Gipfeltreffen per Videoschalte angezeigt, erklärte nun der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel.

Er rief die Staats- und Regierungschefs für Mittwoch zusammen, um mehr Druck auf den Präsidenten von Belarus, Alexander Lukaschenko, auszuüben. “Die Menschen in Belarus haben das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen”, twitterte Michel. “Gewalt gegen Protestierende ist nicht hinnehmbar und darf nicht gestattet werden.”

Charles Michel kommt mit der Gipfel-Einladung dem Drängen von Polen und Tschechien nach. Die beiden EU-Länder hatten bereits vergangene Woche, als sich die Außenminister zu Belarus trafen, ein Gipfeltreffen der Chefs verlangt, um mehr politisches Gewicht in die Aussagen der EU zu legen.

An diesem Montag hatten auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der französische Präsident Emmanuel Macron scharfe Kritik an der Führung in Belarus geübt. Steinmeier sagte in Berlin, er bewundere den Mut der Menschen, die auf die Straßen gingen, um friedlich zu demonstrieren. “Ich appelliere an Präsident Lukaschenko, den Weg des Gesprächs zu gehen. Nicht auf Gewalt setzen, sondern auf Dialog. Ich appelliere an das belarussische Militär, sich nicht durch Gewalt gegen das eigene Volk zu versündigen.”

Charles Michel (li.) beruft Video-Gipfel ein (Archiv)

Wahlprüfung durch die OSZE?

Die EU erkennt das Wahlergebnis der Präsidentenwahl vom 9. August nicht an. Alexander Lukaschenko hatte angeblich 80 Prozent der Stimmen erhalten. Die Opposition wirft ihm Wahlfälschung vor. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja musste nach Litauen ins Exil fliehen und hat sich bereit erklärt, das Land zu führen.

Einige EU-Staaten fordern eine Wiederholung der Präsidentenwahlen unter freien und fairen Bedingungen. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) solle bei der Überprüfung der Wahlen eine Rolle spielen.

In der OSZE sind sowohl Belarus, alle EU-Staaten, Russland und die USA Mitglied. Allerdings konnte die OSZE anders als bei Präsidentschaftswahlen zuvor diesmal keine Beobachter nach Belarus schicken. Deutschland hat zur Zeit die Ratspräsidentschaft der EU inne und hilft zu vermitteln. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte über das Wochenende mit vielen Partnern Kontakt, um über die Lage zu beraten, erklärte der Regierungssprecher.

Bundespräsident Steinmeier bewundert den Mut der Demonstranten (Archivbild)

EU könnte schärfere Sanktionen beraten

Bislang hatte die EU noch nicht eindeutig den Rücktritt des belarussischen Präsidenten, der seit 26 Jahren autokratisch regiert, verlangt. Das könnte nun am Mittwoch passieren. Beschlüsse der Gipfelrunde fallen aber im Konsens. Die ungarische Regierung, die bislang gute Beziehungen zu Alexander Lukaschenko pflegte, könnte sich querlegen. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto hatte schon vergangene Woche einen besseren Dialog mit Minsk angemahnt.

Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte in seinem Urlaubsort an der französischen Mittelmeerküste, die EU müsse sich für Hunderttausende Weißrussen einsetzen, die friedlich für ihre Freiheit und Souveränität demonstrierten. EU-Diplomaten erklärten in Brüssel, sie hofften, dass von dem Gipfeltreffen eine starkes Zeichen der Solidarität für die Opposition in Belarus ausgehen werde. “Die Situation entwickelt sich sehr schnell, deshalb war ein eiliges Gipfeltreffen notwendig”, meinte ein EU-Diplomat.

Video ansehen 00:46

Alexander Burakow über seine Verhaftung

Der Auswärtige Dienst der EU arbeitet seit vergangenem Freitag nach einem Beschluss der EU-Außenminister an einer Liste mit möglichen Reiseverboten und wirtschaftlichen Sanktionen gegen Verantwortliche in Belarus. Diese Liste sollte bis Ende nächster Woche vorliegen.

Die EU muss zunächst ermitteln, wer für mögliche Wahlfälschungen und Gewalt gegen Demonstranten und willkürlich Inhaftierte direkt verantwortlich ist. Ob auch der belarussische Präsident selbst auf dieser Liste stehen wird, ist unklar. Die deutsche Bundeskanzlerin kann sich aber durchaus einen ausgeweiteten Personenkreis als Ziel von Sanktionen vorstellen, machte Regierungssprecher Seibert in Berlin klar.

Engagiert: Litauens Außenminister Linkevicius ermöglicht Exil für Oppositionsführerin aus Belarus

EU will Russland keinen Vorwand bieten

Bis 2016 waren EU-Sanktionen gegen 173 Personen in Kraft. Sie wurden nach den damaligen Präsidentenwahlen aufgehoben, weil man in der EU eine leichte Annäherung von Belarus an Europa sah. Das Verhältnis zum engen Verbündeten Russland wurde als zunehmend schwieriger wahrgenommen.

Belarus beteiligte sich in den letzten Jahren an diversen Nachbarschaftsprogrammen der EU, unter anderen auch an dem Austausch von Erasmus-Studenten und einem Dialog über Rechtsstaatlichkeit. Auch mit der westlichen Militärallianz NATO gibt es eine beschränkte militärische Zusammenarbeit, obwohl Belarus mit Russland militärisch eng verwachsen ist.

Jetzt allerdings wirft der belarussische Präsident Lukaschenko den Niederlanden, Polen und der Ukraine vor, sie würden die Proteste im Land von außen steuern. Die Oppositionsführerin agiert aus ihrem Exil im EU-Mitglied Litauen. “Wir müssen alles vermeiden, was dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Vorwand geben könnte, sich irgendwie militärisch in den Konflikt einzumischen. Wir brauchen keine zweite Ukraine”, sagte ein EU-Diplomat, der nicht genannt werden will, in Brüssel.

Am Montag hat Belarus bereits mit Militärmanövern an seiner Westgrenze begonnen. Präsident Lukaschenko hatte behauptet, die NATO ziehe in Polen, Litauen und Lettland Truppen zusammen, um Belarus zu bedrohen. Eine Sprecherin der NATO wies das am Wochenende umgehend zurück.

“Die multinationale Präsenz der NATO in den östlichen Mitgliedsländern ist keine Bedrohung für irgendjemanden”, sagte Oana Lungescu. “Sie ist ganz eindeutig defensiv, angemessen und darauf ausgerichtet, Konflikte zu verhindern und Frieden zu wahren”, so die Sprecherin der Allianz.