Tesla-Konkurrent Nikola: Der Lastwagen der Zukunft?

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Nach dem erfolgreichen Börsengang des Lkw-Herstellers Nikola warten Investoren auf das operative Geschäft. Denn noch macht das Startup weder Umsatz noch Gewinn, profitiert allerdings von einem Megatrend: Wasserstoff.

Es gehört schon etwas Mut dazu, mitten in der Corona-Krise an die Börse zu gehen. Für Trevor Milton, Gründer des Startups Nikola, hat sich die Courage durchaus gelohnt. Vor zwei Wochen debütierte der Truck-Hersteller an der Technologie-Börse Nasdaq. Die Aktie notiert seitdem 100 Prozent im Plus.

Nikola, die Firma aus Phoenix, Arizona, hat Großes vor. Das Unternehmen des 38-jährigen Milton will nicht weniger als das Tesla für Lkw werden. Eine Kombination aus Strom und Wasserstoff soll die Trucks der Zukunft antreiben. Die Energie dafür soll – anders als bei Tesla – nicht nur aus Batterien, sondern auch aus Brennstoffzellen kommen. Die sind deutlich kleiner, leichter und günstiger als herkömmliche Akkus. Dadurch hofft Milton, langfristig mehr Reichweite bieten zu können als Branchen-Pionier und Konkurrent Tesla. Bei der Entwicklung der Brennstoffzellen ist der deutsche Anbieter Bosch einer der Partner.  

Die Parallelen zu Tesla sind dabei nicht zu übersehen. Schon am Markennamen zeichnen sich auffällige Gemeinsamkeiten ab. Während sich Elon Musk einfach den Nachnamen des Wechselstrom-Pioniers Nikola Tesla geschnappt hat, bedient sich Nikola einfach am Vornamen. Auch die Vision – den Fahrzeugmarkt revolutionieren zu wollen – teilen sich beide Gründer. Selbst die Prise Hochmut scheint Unternehmern in die Wiege gelegt worden zu sein: Während Elon Musk schon bald den Mars kolonialisieren will, verkündete Milton vor Kurzem, den Ford F-150, den meistverkauften Pickup-Truck der Welt, mit seinem Elektro-Fahrzeug “entthronen” zu wollen.

Bislang rollen nur Nikola-Prototypen über Amerikas Strassen

Top oder Flop?

Trotz fulminantem Börsengang sind die Experten geteilter Meinung über den Newcomer. “Nikola ist die nächste 100-Milliarden-Dollar-Firma”, prophezeit etwa Jeffrey Ubben, Gründer des Hedgefonds ValueAct Capital, im Fernsehsender CNBC. Der Finanzfachmann, der selbst Millionen in das Startup investiert hat, glaubt, dass Nikola “eines der größten Probleme der Zukunft” lösen werde: die progressive Senkung des Kohlenstoffanteils im Kraftstoff. In der Entwicklung emissionsfreier Trucks sei Nikola der Konkurrenz längst meilenweit voraus, attestiert Ubben. “Firmen, die an Diesel glauben, sind viel zu spät dran und weit hinter uns.” 

Auch viele Anleger glauben an Miltons Geschäftsmodell. Seit der Erstnotiz Anfang Juni, bei der die Papiere zum Preis von 34 US-Dollar ausgegeben wurden, hat sich der Aktienpreis verdoppelt. Das Unternehmen des 38-jährigen ist damit schon jetzt mehr als 20 Milliarden Dollar wert. Auch Milton selbst kann sein Glück kaum fassen. “Das wollte ich mein Leben lang schon sagen”, verkündet Milton freudig auf Twitter. “Nikola ist jetzt mehr wert als Ford und Fiat-Chrysler. Wir kratzen sogar an den Fersen von General Motors.”

Zu viel Euphorie?

Analysten hingegen scheinen weitaus weniger begeistert zu sein von Nikolas Performance. Kaum ein Aktien-Experte hat sich bislang öffentlich zum Unternehmen zu Wort gemeldet. Und diejenigen, die es tun, mahnen zur Behutsamkeit. “Die Firma wird sicher schnell wachsen”, sagt etwa Brad Gastwirth, Chief Technology Strategist beim Finanzdienstleister Wedbush Securities gegenüber DW. Dass sei allerdings noch lange kein Grund, überschwänglich zu werden oder gar “bullish”, wie Analysten eine positive Marktentwicklung nennen. Nikola nutze weder überragende Technologie, noch werde das Unternehmen als einziges an die Spitze drängen, glaubt Gastwirth. “Meiner Meinung nach ist das Unternehmen da etwas vorschnell.”

Auch Gary Black, ehemaliger Wall-Street-Analyst und bekennender Tesla-Fan, rät auf Twitter zu Vorsicht. Der Hype um Nikola sei eine Blase, der für Privatanleger böse enden werde. Die mit mehr als 20 Milliarden Dollar bewerte Firma habe weder eigene Fabriken, noch steckten hinter dem Unternehmen mehr als ein paar Bilder und Versprechungen. “Das ist die größte Blase, die ich seit dem Crash der Cannabis-Aktien vor ein paar Jahren gesehen habe”, sagt der Investor.

Ein Blick auf die Fundamentaldaten zeigt, warum sich nur wenige Analysten für die Marke begeistern können. Selbst sechs Jahre nach Firmengründung macht Nikola nicht nur keinen Gewinn, sondern auch keinen einzigen Cent Umsatz. Der Hype um das Unternehmen speist sich stattdessen rein aus Erwartungen und Hoffnungen. Dazu zählen etwa Vorbestellungen für 14.000 Laster, die dem Unternehmen bis zum Jahr 2028 zehn Milliarden Dollar einbringen sollen. Zu den Kunden soll nach eigenen Angaben auch die prominente Brauerei Anheuser Busch zählen, die allein 800 Hybrid-Laster in Auftrag gegeben hat.

Börsengang der anderen Art

Noch aber existiert nirgendwo ein einziger Nikola Truck. Über die Straßen Amerikas fahren gerade einmal Prototypen. Auch aktuelle Unternehmensdaten sind bislang rar gesät. Es gibt zwar ein paar Quartalszahlen und Jahresbilanzen – die beziehen sich allerdings auf das Unternehmen VectoIQ, das hinter Nikolas Börsengang steckt.

Statt einem aufwändigen Listing hat sich Gründer Trevor Milton nämlich zu einem sogenannten Reverse Merger entschieden: der Fusion mit einem bereits an der Börse notierten Unternehmen. Die Zeit bis zur Erstnotiz kann so von mehreren Monaten auf bis zu 30 Tage reduziert werden. Auch die üppigen Kosten für das Underwriting – der Prüfung und Begleitung des Börsendebuts durch Investmentbanken wie Goldman Sachs – hat sich Nikola mit der Fusion gespart.

Mit VectoIQ, einer Beratungs- und Investmentfirma, hat sich Milton außerdem frische Expertise an Bord geholt. Das Unternehmen, das ab sofort an der Seite Nikolas steht, wird von keinem geringeren geführt als Stephen Girsky, einem ehemaligen Analysten der Autoindustrie und langjährigen Vize-Chef von General Motors.

Der Unternehmenszusammenschluss hat außerdem rund 700 Millionen Dollar Kapital in die Kasse gespült. Mit dem Erlös des Börsenganges will Milton seinen Kritikern, die nicht an die Umsetzung der Trucks glauben, den Wind aus den Segeln nehmen. Ein Großteil des frisch eingesammelten Geldes etwa fließt in Nikolas erste Truck-Fabrik in Coolidge, Arizona, etwa 80 Kilometer von Phoenix entfernt. 50.000 Trucks pro Jahr sollen dort ab 2023 entstehen. Bis es soweit ist, lässt Nikola im deutschen Ulm (Bundesland Baden-Württemberg) produzieren. Dort sollen ab Ende 2021 rein akkubetriebene Lkw in Zusammenarbeit mit dem Nutzfahrzeughersteller Iveco vom Band laufen.

Präsentation eines Pickup-Prototypen von Nikola

Die Eine-Billion-Dollar-Frage

Auch der erste Spatenstich für Nikolas Wasserstofftankstellen soll mit den Erlösen gesetzt werden. Ähnlich wie Tesla plant Nikola eine eigene Infrastruktur für seine Fahrzeuge bereitzustellen. 700 Nikola-Tankstellen sollen in den kommenden acht Jahren gebaut werden. Allerdings vorerst nur in den USA und Kanada. Auch Hybrid-Pickups für Privatleute will der Nutzfahrzeuge-Hersteller in Zukunft anbieten. Ab dem 29. Juni will das Unternehmen Vorbestellungen für das Auto entgegennehmen.

Für Furore dürfte auch ein Rechtsstreit mit Tesla-Gründer Elon Musk sorgen. Seit zwei Jahren liegen sich die beiden Firmen wegen eines angeblichen Design-Diebstahls in den Haaren. Der 2017 von Tesla vorgestellte Truck Semi weißt deutliche Spuren früherer Nikola-Modelle auf. Nikola-Chef Milton pocht deshalb auf Schadenersatz von zwei Milliarden Dollar.

Analysten wie Gastwirth scheuen sich dennoch – trotz all der Gemeinsamkeiten – beide Firmen zu vergleichen. “Tesla hat bereits zahlreiche Abnehmermärkte erobert und eine ganz andere Langzeitstrategie”, sagt der Wedbush-Analyst. Auch die Vorteile gegenüber anderen Lkw-Herstellern wie MAN oder Daimler seien nicht wirklich überragend. Auch in anderen Teilen der Welt arbeite man längst an emissionsfreien Trucks. Ob Nikola trotzdem langfristig als Gewinner hervorgehen werde? “Das ist die Eine-Billion-Dollar-Frage.”