USA: Afroamerikaner im Visier der Polizei

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Die Proteste nach George Floyds Tod weiten sich auf die gesamten USA aus. Sie zeigen, wie groß die Wut über rassistische Polizeigewalt und die überproportional hohe Zahl der von Beamten getöteten Afroamerikaner ist.

Demonstranten in zahlreichen US-amerikanischen Städten protestieren nicht nur gegen den gewaltsamen Tod von George Floyd in Minneapolis. Das zeigen die Plakate, auf denen etwa “Schwarze Leben zählen” und “Ich kann nicht atmen” steht. Die Menschen sind wütend über George Floyds Tod und fordern Gerechtigkeit, aber die Slogans symbolisieren auch die tiefe Frustration über Polizeigewalt und den Wunsch, dass sich das Verhalten der Polizei in den USA grundlegend ändert, vor allem gegenüber Minderheiten.

Was sagt die Statistik?

Die Internetseite Fatal Encounters (Tödliche Zusammenstöße) dokumentiert Tötungen durch Polizeibeamte und geht zurück bis ins Jahr 2000. Derzeit werden die Daten mithilfe von 15 verschiedenen Google Alerts gesammelt. Die Datenbank gilt als eine der zuverlässigsten Quellen für Todesfälle durch Polizeigewalt in den USA. 

Am 27. Mai betrug die Zahl der Vorfälle insgesamt 28.139. Dieses Jahr wurden bereits 802 Fälle registriert. Mehr als üblich, erklärt der Gründer der Website, Brian Burghart, im Interview mit der DW: “Bis Ende des Jahres werden es wohl 1978 sein. Die höchste Zahl bislang lag bei 1854, und das war im Jahr 2018.”

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USA: Demonstrationen gegen Rassismus

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USA: Demos von Los Angeles bis New York

Schaut man sich die Datenbank von Fatal Encounters an, gab es bis zum 27. Mai keinen einzigen Tag im Jahr 2020, an dem Polizisten keinen Menschen getötet haben. Die Sammlung zeigt auch, dass von Beginn an die meisten der Getöteten Afroamerikaner waren. “Sie machen ungefähr 13 Prozent der allgemeinen Bevölkerung aus, aber etwa 26 Prozent der Todesopfer in unseren Statistiken”, rechnet Burghart vor. Sie seien auch in einigen Kategorien von Todesfällen deutlich überrepräsentiert, darunter “erstickt”, “medizinisches Ereignis” und “mit einem Gegenstand erschlagen / niedergeknüppelt”.

Welche Fälle tödlicher Polizeigewalt haben Proteste ausgelöst?

2014 war ein Wendepunkt für Proteste gegen Tötungen durch Polizisten in den Vereinigten Staaten. Insbesondere die Todesfälle Eric Garner und Michael Brown lösten einen landesweiten Aufschrei gegen das Vorgehen vorwiegend weißer Polizisten aus. 

Im Juli 2014 wurde Eric Garner von einem New Yorker Polizeibeamten wegen des Verdachts des illegalen Verkaufs einzelner Zigaretten auf Staten Island festgenommen. Während der Verhaftung legte der Polizist Daniel Pantaleo Garner einen Arm um den Hals und nahm ihn in den Würgegriff. Auf Videoaufnahmen ist dokumentiert, dass Garner dem Beamten elf Mal sagte, dass er keine Luft bekäme, bevor er das Bewusstsein verlor – ähnlich wie auch in George Floyds Fall. Eine Stunde später wurde Garner im Krankenhaus für tot erklärt. Seine letzten Worte, die letzte Wiederholung von “Ich kann nicht atmen”, sind zur Parole zahlreicher Proteste geworden und werden bis heute von Demonstranten benutzt.

“Don’t Shoot” – “Nicht schießen” fordern diese Demonstranten nach den tödlichen Schüssen auf Michael Brown

Nur einen Monat später wurde Michael Brown in Ferguson, Missouri, von dem Polizisten Darren Wilson erschossen. Der weiße Beamte zielte sechs Mal mit seiner Waffe auf den schwarzen unbewaffneten 18-Jährigen. Der Vorfall führte zu Unruhen in der ganzen Stadt. Menschen, die durch die Straßen marschierten, verwendeten den Slogan “Hände hoch, nicht schießen”, um deutlich zu machen, dass Brown und sie selbst keine Bedrohung für Polizeibeamte darstellten und nicht ins Visier genommen werden sollten. 

Erst Mitte März dieses Jahres schossen Polizisten acht Mal auf Breonna Taylor, eine Notfallsanitäterin und angehende Krankenschwester, in Louisville, Kentucky, und töteten die 26-Jährige. Die Beamten hatten einen Durchsuchungsbefehl, der es ihnen erlaubte, ohne Ankündigung in Taylors Wohnung einzudringen. Sie waren in dem Glauben, dass ein Verdächtiger Drogen an die Adresse hatte liefern lassen. Der Vorfall hat die Spannungen in Louisville und anderswo weiter geschürt.

Was passierte nach den Tötungen?

Aus Sicht vieler Afroamerikaner wurden nach all diesen Todesfällen keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen. Eric Garners Mutter, Gwen Carr, sagte in einem Interview mit CNN, George Floyds Tod sei wieder “genau wie der Mord an meinem Sohn”. 

Daniel Pantaleo, der Polizist, der Garner würgte, wurde im August 2019 entlassen, es gab jedoch keine Anklage. Darren Wilson, der Michael Brown erschoss, wurde ebenfalls nicht angeklagt. Laut dem Projekt Mapping Police Violence (Polizeigewalt Erfassen), das Fatal Encounters als eine seiner Quellen verwendet, führten 99 Prozent der Tötungen durch die Polizei nicht zu einer Anklage. 

“Black Lives Matter” – “Schwarze Leben zählen”: Die Bewegung gegen rassistische Gewalt in den USA entstand 2013

Derek Chauvin, der Beamte, der auf George Floyds Hals kniet, wurde wegen Mord und Totschlag angeklagt. Eine Verurteilung wird jedoch die zugrunde liegenden Probleme nicht lösen, so Philip V. McHarris, Schriftsteller und Doktorand an der Universität Yale. Er beschäftigt sich insbesondere mit Rassismus und Polizeiarbeit. 

Wie lässt sich Polizeigewalt reduzieren?

“Es wird versucht, sich auf einzelne Beamte oder Vorfälle zu konzentrieren, anstatt die Dinge als ein umfassendes strukturelles Problem zu betrachten”, sagt er gegenüber der DW. “Der Fokus auf einzelne Beamte wird nicht zum Ende der Polizeigewalt führen.”

Laut McHarris gilt dies auch für die Schulung der Beamten in Deeskalation, Sensibilität, korrektem Verfahren und dem Tragen von Körperkameras – alles Maßnahmen, die die Polizei ergreift, um Gewalt zu reduzieren, insbesondere gegenüber Minderheiten. In einem Kommentar, den McHarris für die “New York Times” mitverfasste, argumentiert er, dass die Polizei in Minneapolis ein “Vorbild für fortschrittliche Polizeireform” sei, dass aber diese Tatsache den Tod Floyds nicht verhindern konnte.


  • George Floyds Tod bewegt die Welt

    “Ich kann nicht atmen”

    Die Proteste gegen Polizeigewalt gegen Schwarze haben sich von Minneapolis aus schnell in andere Städte wie New York City verbreitet, wo auch diese Frau auf die Straße ging. Die Demos begannen Anfang der Woche, nachdem ein Polizist George Floyd, einem 46-jährigen Schwarzen, Handschellen angelegt und ihm sein Knie in den Nacken gedrückt hatte – bis Floyd schließlich aufhörte zu atmen und starb.


  • George Floyds Tod bewegt die Welt

    Ruhigere Demos, heftige Ausschreitungen

    Am Samstag verliefen die Kundgebungen meist friedlich, im Laufe der Nacht eskalierten sie jedoch teilweise. In Washington, D.C. , wo auch dieser Mann kniete, war die Nationalgarde vor dem Weißen Haus stationiert. Mindestens ein Mensch starb bei Schießereien in Indianapolis. In New York fuhren zwei Polizei-Fahrzeuge in eine Menschenmenge.


  • George Floyds Tod bewegt die Welt

    Ausgeraubt

    Ein Mann trägt eine Kette aus einem zerstörten Laden: In einigen Städten, darunter Los Angeles, Atlanta, New York, Chicago und Minneapolis, haben sich die Proteste in Ausschreitungen verwandelt; Menschen plünderten und demolierten lokale Geschäfte und Betriebe.


  • George Floyds Tod bewegt die Welt

    Wer hat Schuld?

    Präsident Donald Trump hat damit gedroht, das Militär zur Niederschlagung der Proteste zu entsenden. Seine Regierung werde die Gewalt endgültig stoppen. Trump schob die Schuld an den Ausschreitungen angeblich linksextremen Gruppen zu. Der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, sagte Reportern, er habe mehrere unbestätigte Berichte über weiße Rassisten gehört, die die Gewalt schürten.


  • George Floyds Tod bewegt die Welt

    Medien im Fadenkreuz

    Viele Journalisten, die über die Proteste berichteten, wurden selbst zur Zielscheibe. Am Freitag wurden ein CNN-Korrespondent und seine Crew bei der Berichterstattung in Minneapolis verhaftet, mehrere Reporter wurden von Geschossen getroffen oder während der Sendung festgenommen. Stefan Simons von der DW wurde von der Polizei beschossen, als er sich darauf vorbereitete, auf Sendung zu gehen.


  • George Floyds Tod bewegt die Welt

    Ein Protest geht um die Welt

    Auch in den kanadischen Städten Vancouver und Toronto gehen immer mehr Menschen gegen allgegenwärtigen Rassismus auf die Straße. Sie erinnern dabei auch an Regis Korchinski-Paquet. Die dunkelhäutige Frau war am Mittwoch vom Balkon ihrer Hochhaus-Wohnung gefallen, in der sie sich zuvor alleine mit Polizisten aufgehalten hatte. Die Beamten sollten der psychisch angeschlagenen Frau helfen.


  • George Floyds Tod bewegt die Welt

    Auch in Deutschland wächst die Wut

    Am Berliner Mauerpark wird mit einem Graffito an den gewaltsamen Tod von George Floyd erinnert. Seine verzweifelten Worte “I can’t breathe” – “Ich kann nicht atmen” – gingen als Twitter-Hashtag um die Welt. Am Samstag demonstrierten zudem Tausende vor der US-Botschaft in Berlin.

    Autorin/Autor: Martin Kuebler, (sth)


“Der Grund, warum George Floyds Fall solche Funken schlägt, ist, dass er Teil eines traurigen Trends ist,”, sagt McHarris er gegenüber der DW. “Für viele Schwarze ist es die ständige Erinnerung: Was George Floyd passiert ist, kann mir auch passieren. Das ist keine abstrakte Idee. Sie haben einen Mann vor laufender Kamera getötet, während Umstehende vergeblich darum baten, einzugreifen.”

Die Reaktion auf die Proteste sei derzeit eine verstärkte Polizeipräsenz und Militarisierung. Stattdessen sei weniger Polizei nötig: “Anstatt zu versuchen, die Polizei zu reformieren und ihr mehr Ressourcen und mehr Geld zu geben, sollte man das alles vermeiden”, meint McHarris. “Das Geld, das für Polizeiarbeit und Bestrafung ausgegeben wird, sollte man umschichten auf andere Programme und Initiativen, die die Unterstützung der Gesellschaft haben.”