Humboldt Forum: Streit ums Kreuz

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Wo einst die preußischen Könige residierten, entsteht im Herzen Berlins ein neues Kulturzentrum: das Humboldt Forum. Oben drauf soll, ganz nach historischem Vorbild, ein Kreuz. Das gefällt nicht allen.

Sieben Jahre ist es her, dass der Grundstein für das Humboldt Forum gelegt wurde, das in naher Zukunft die ethnologischen Sammlungen der Staatlichen Berliner Museen beherbergen wird – und wo Kultur auch sonst großgeschrieben werden soll. Eigentlich wollte man 2019 einziehen, passend zum 250. Geburtstag des namengebenden Forschungsreisenden Alexander von Humboldt. Daraus wurde nichts; es kam zu bautechnischen Verzögerungen. Jetzt steht auch der geplante Termin Ende 2020 auf der Kippe. Die steigenden Baukosten sorgen in der Hauptstadt für Unmut – ebenso wie die Frage, ob ein weltliches Gebäude, das laut Kulturstaatsministerin Monika Grütters als “Forum der Verständigung im gleichberechtigten Dialog der Weltkulturen” dienen soll,  mit einem weithin sichtbaren Kreuz versehen werden sollte.

Rückblick: Schon beim ersten Bau gab es Streit 

Idyllisch auf der Spreeinsel gelegen, war das Königliche Schloss in Berlin einst  die Winterresidenz des Adelsgeschlechts der Hohenzollern. Den Grundstein ließ Kurfürst Friedrich II. am 31. Juli 1443 legen. Schon damals gab es Ärger: Der Kurfürst zog sich den Unwillen der Berliner Bürger zu. Gerade mal 8000 Einwohner zählte die Stadt anno dazumal – und diese 8000 wollten kein Stück ihres Landes für den Prunkbau abgeben. 1448 setzten sie die Baugrube sogar unter Wasser, doch genützt hat es ihnen nichts. Das Schloss wurde errichtet, und die aufmüpfigen Bürger büßten wegen ihres Widerstands politische und ökonomische Freiheiten ein.


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    Berliner Stadtschloss um 1900

    Der Grundstein wurde bereits 1443 gelegt, seine endgültige Gestalt erhielt die Residenz ab 1701. Baumeister Andreas Schlüter gestaltete die Schlossfassaden nach italienischem Vorbild. Das Berliner Stadtschloss galt als größtes Barockbauwerk nördlich der Alpen, es hatte 1210 Räume.


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    Schäden nach dem Krieg

    Während des Zweiten Weltkriegs brannte das Schloss bei einem schweren Luftangriff aus. Das Feuer hatte nahezu alle Prunkräume im Nord- und Südflügel vernichtet. Andere Gebäudeteile blieben erhalten, so auch die Außenmauern mitsamt dem plastischen Schmuck, die tragenden Wände und auch Haupttreppenhäuser.


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    Erst vernächlässigt, dann gesprengt

    In den Nachkriegsjahren fanden in den intakten Gebäudeteilen, etwa im Weißen Saal, noch Ausstellungen statt. Aber 1950 beschloss die DDR-Führung das Schloss zu sprengen, trotz zahlreicher Proteste. Es sei “kein deutsches Kulturerbe”. Stattdessen wurde der Marx-Engels-Platz angelegt, ein Ort für Massenkundgebungen.


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    Sozialistisches Zwischenspiel

    In den 1970-er Jahren ließ SED-Chef Erich Honecker den Palast der Republik errichten. In dem Mehrzweckbau tagte die Volkskammer, traten Rockmusiker wie Udo Lindenberg auf, hier gab es zahlreiche Restaurants und Bars. Nach dem Fall der Mauer wurde das Gebäude 1990 wegen Asbestbelastung geschlossen und später abgerissen.


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    Täuschend echt

    Gleich nach der Wende begann die leidenschaftliche Diskussion um den Wiederaufbau des Stadtschlosses. 1993 organisierte ein Kreis der Befürworter eine medienwirksame Aktion: für 100 Tage wurde mit einer Folien-Fassade das Schloss in Originalgröße simuliert. 2002 votierte der Deutsche Bundestag für den Neubau des Schlosses.


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    Wiederaufbau in Originalgröße

    2008 gewann der Italiener Franco Stella den Architekturwettbewerb. Sein Entwurf verknüpft das barocke Äußere mit einem neuen Innenleben. Unter dem Namen Humboldt Forum soll im wiederaufgebauten Schloss ein internationales Kunst- und Kulturzentrum entstehen.


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    Die Baustelle im Blick

    Die Humboldt-Box ist zu einem temporären Wahrzeichen Berlins geworden: Seit 2011 informiert sie über Geschichte und Zukunft der Berliner Schlosses. Schon in den ersten 50 Tagen wurden 100.000 Besucher gezählt. Von der Panoramaterrasse eröffnet sich ein weitläufiger Blick auf die Schlossbaustelle.


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    Jetzt gehts los!

    Am 12. Juni 2013 legt Bundespräsident Joachim Gauck den Grundstein. Auf diesem eingraviert sind zwei Zahlen: 1443 und 2013. Sie markieren das Datum für die Grundsteinlegung des historischen Schlosses und das Datum des Wiederaufbaus. Richtfest wurde im Juni 2015 gefeiert.


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    Alter Schmuck für neue Mauern

    Während die Grundmauern errichtet werden, entstehen in der Schlossbauhütte die barocken Fassadenteile. Bildhauer fertigen etwa 3000 Einzelzeile originalgetreu, nach historischen Vorlagen an. Die Schloss-Fassade wird etwa 80 Millionen Euro kosten, finanziert nur durch Spenden. Insgesamt soll das neue Schloss rund 590 Millionen Euro kosten, den Großteil zahlt der Bund.


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    Ausblick

    Auch über den geplanten Eröffnungstermin hinaus wird gebaut. 2019 sollte das Humboldt Forum eröffnet werden – nun wird es 2020. Dann können die Berliner Museen ihre Schätze außereuropäischer Kulturen zeigen, die Humboldt-Universität wird zu internationalen Konferenzen einladen und der Schlosshof als Kulisse für Musik- und Theateraufführungen dienen.

    Autorin/Autor: Kerstin Schmidt


 Von 1698-1713 ließ der spätere preußische König Friedrich I. die Residenz dann nach Plänen des berühmten Baumeisters Andreas Schlüter umbauen, ganz im Stil des angesagten Barock. Die 60 Meter hohe Kuppel prägte Jahrhunderte lang das Stadtbild. Erst im II. Weltkrieg brannte sie aus, und 1950 ließ die DDR-Führung die Ruine sprengen.

Altes Schloss, neue Bestimmung

70 Jahre später soll das architektonische Kleinod in neuem Glanz erstrahlen – und zwar möglichst exakt so, wie es einst aussah. Deshalb wird am 29. Mai auch das alte Kreuz auf die weithin sichtbare Kuppel gesetzt, unter der früher mal die Kapelle lag. Die Betonung liegt auf “früher mal”, denn genau das ist der Knackpunkt: Das neue Humboldt Forum hinter historisch anmutender Fassade soll nicht nur eine Religion widerspiegeln, sondern die Kulturen der ganzen Welt.

Kritiker wie Berlins Kultursenator Klaus Lederer empfinden das Kreuz in der heutigen Zeit deshalb als falsches Signal. “Seine Alleinstellung konterkariert nahezu alles, was wir mit dem Humboldt Forum wollen: Zeigen, wie mehrdeutig, vielfältig, verschlungener, breiter und tiefer unsere Wurzeln tatsächlich sind.”

Zumal auch das umlaufende Spruchband rekonstruiert wurde: Es fordert, dass man sich vor Jesus verbeugen soll. Alles halb so wild, meint Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche. “Erstens steht ja keine Zwangsmissionierung Berlins bevor, und zweitens wird man diesen Spruch von unten kaum lesen können.”

Letzte Arbeiten am Kreuz

Im historischen Kontext sei dieser Spruch sogar subversiv, sagte Claussen gegenüber dem Sender MDR, denn Petrus habe sich an der entsprechenden Bibelstelle nicht den Herrschern beugen wollen, sondern allein  Christus. Ein klarer Fall also von Kritik gegenüber der Obrigkeit.

Pro & contra Kreuz

Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg, spricht sich hingegen vehement gegen das Kuppelkreuz aus. Der Wiederaufbau des Stadtschlosses bedeute auch eine „”Auslöschung” bestimmter Aspekte der Geschichte Deutschlands wie zweier Weltkriege und dem Holocaust. Man nehme stattdessen nur Bezug auf die Identität Preußens. “Das Kreuz steht in diesem Kontext auch für das Gottesgnadentum der Hohenzollern, also für eine undemokratische Ausrichtung, für einen universellen Herrschaftsanspruch.” Einer Agora für das 21. Jahrhundert, in der man “mit den Denker*innen und Künstler*innen dieser Welt auf Augenhöhe diskutieren wolle, auch als Akt der eigenen Entkolonialisierung”, sei das nicht angemessen.

 

Das Humboldt-Forum selbst hatte zur Debatte über das Kreuz eingeladen. Fazit: Die Mehrheit sieht die Kuppel samt Laterne und Kreuz eher als kulturhistorisches Denkmal. So auch Christoph Markschies, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: “Als historisch denkender Mensch bin ich dankbar dafür, dass man die Aufgabe der Wiedererrichtung der Fassaden kunsthistorisch wie denkmalpflegerisch ernst genommen hat”, bekannte er.

Noch ganz ohne Kuppelkreuz: das Herzstück des wiederaufgebauten Stadtschlosses

Auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, hat nichts dagegen: “Das Kreuz auf der Kuppel gehört als kulturelles und historisches Erbe dazu, und ich empfinde dabei kein Gefühl des Störens, zumal man diesen Kontext nicht verschleiern oder zwanghaft abschaffen soll.” Und die Berliner Mitbegründerin einer liberalen Moscheegemeinde und Frauenrechtlerin Seyran Ates, unterstreicht, ein “Verzicht auf das Kreuz, im Interesse einer religiös-multikulturellen Gesellschaft, wäre geradezu eine Verleugnung der Geschichte des Ortes und des Gebäudes”.

“Niemand sollte Angst haben vor einem Kuppelkreuz!”

In ein paar Jahren wird sowohl der Streit über die explodierten Kosten als auch die Debatte über das Kreuz in Vergessenheit geraten sein. Die Berliner werden stolz auf ein neues Wahrzeichen der Stadt blicken und die Touristen ein neues Foto-Motiv entdecken. Um es mit den Worten Wolfgang Thierses, des ehemaligen Präsidenten des Deutschen Bundestages und Mitglieds im Stiftungsrat der Stiftung Humboldt Forum, zu sagen: “Ich gehe davon aus, dass niemand das Kreuz ernsthaft als Triumphzeichen missverstehen wird… Niemand sollte Angst haben vor einem Kuppelkreuz! Es ist Teil unserer Pluralität und Teil eines liberalen Umgangs mit dieser Pluralität!”