Polanski-Ehrung ohne Polanski – und mit Protest

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Bei der Verleihung der “französischen Oscars” gewann Roman Polanski für seinen Film “Intrige” den César für die beste Regie. Der umstrittene Regisseur selbst blieb der Preisverleihung jedoch fern.

Die Stimmung in Paris war angespannt. Die Verleihung der Césars, der größten Auszeichnung im französischen Kino, fand inmitten einer gereizten Atmosphäre statt. Der Grund: die Querelen um den Regisseur des Films “Intrige”, Roman Polanski. Der Film wurde bei den 45. Césars in insgesamt 12 von 22 Kategorien nominiert. Er erzählt die Geschichte von Alfred Dreyfus, jenem französischen Offizier, der 1894 zu Unrecht des Hochverrats beschuldigt wurde, um den wirklichen Verräter in der Armee zu schützen. Der Leiter der Spionageabwehreinheit, die Dreyfus überführt hat, merkt aber schnell, dass dieser unschuldig ist. Er widersetzt sich Befehlen und sagt als Zeuge zu Gunsten von Dreyfus aus. Es ist ein Historiendrama mit Jean Dujardin und Louis Garrel in den Hauptrollen.

Die Geschichte hinter Polanskis Film steht für den Mut, öffentlich seine Meinung zu sagen und sich gegen Machtmissbrauch zu engagieren. Im Schatten der Vergewaltigungsvorwürfe gegen Polanski bekommt dieser Zusammenhang einen unangenehmen Beigeschmack.

Vergewaltigungsvorwürfe gegen Polanski

“Ein absolut fantastisches Bild”, schreibt die “Daily Mail” über das Geschichtsdrama. Auch andere Kritiker sind der Meinung, der Film sei ein Meisterwerk. Doch bereits seit Monaten braut sich erheblicher Protest zusammen – weniger wegen des Films als vielmehr wegen Roman Polanski selbst. Vor der Verleihung waren neue Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Regisseur öffentlich geworden. Die Fotografin und Schauspielerin Valentine Monnier beschuldigte ihn, sie 1975 sexuell missbraucht zu haben. Monnier, damals ein 18-jähriges Model und Schauspielerin, sagte, Polanski habe versucht, ihr eine Pille zu geben und sie dabei geschlagen. Der Regisseur bestreitet diese Vorwürfe.

Proteste gegen Polanski vor der Filmschule in Lodz

Die französische Schauspielerin Adèle Haenel, die als beste Darstellerin für das “Portrait of a Lady on Fire” (“Porträt einer jungen Frau in Flammen”) nominiert ist, zeigte sich über die vielen Nominierungen für Polanski verärgert: “Polanski zu würdigen bedeutet, allen Opfern ins Gesicht zu spucken”, sagte die Schauspielerin, die im vergangenen Jahr den Regisseur ihres ersten Films, Christophe Ruggia, beschuldigte, sie mit 12 Jahren sexuell belästigt zu haben.

Die Moderatorin der Gala, Florence Foresti, hat ihre Meinung zu Polanski bereits deutlich gemacht, als sie am Tag der Bekanntgabe der Nominierungen über den französischen Titel seines Films “J’accuse” (auf Deutsch: “Ich klage an”) stolperte. “Ich bin angeklagt”, sagte sie, und korrigierte sich kurz darauf.

Ein kreatives Protest-Plakat klagt Polanski als mehrfach rückfälligen Sexualstraftäter an

Der 86-jährige Polanski sagte der Nachrichtenagentur AFP, er bleibe der Preisverleihung fern, um seine Familie und sein Team zu schützen, zudem befürchte er “Lynchjustiz”. “Wir wissen doch, wie dieser Abend verlaufen wird”, so der französisch-polnische Regisseur, Produzent, Drehbuchautor und Schauspieler. “Aktivisten drohen mir bereits mit einem öffentlichen Lynchprozess, und einige sagen, dass sie draußen protestieren werden. Welchen Platz kann es unter solch beklagenswerten Bedingungen für einen Film über die Verteidigung der Wahrheit, den Kampf für Gerechtigkeit, blinden Hass und Antisemitismus geben?”
Auch anderen Filmpreisverleihungen blieb Polanski schon fern, zuletzt der in Venedig. Ohnehin reist er selten, um eine Auslieferung in die USA zu umgehen, wo ihm ein Prozess wegen Sex mit einer Minderjährigen droht.

Die Akademie beschwichtigt

Mitte November war es nun bei einer Premiere von “J’accuse” in Paris zu Protesten gekommen. Vor zahlreichen Kinos wurde demonstriert, einige Vorführungen wurden deswegen abgesagt. Auch an der Filmhochschule Łódź, an der Polanski einst seinen Abschluss machte, kam es zu Protesten gegen den berühmten Absolventen.

Der Streit um Polanski hat die Akademie hinter dem Filmpreis in eine Krise gestürzt – die Führung kündigte vor zwei Wochen ihren kollektiven Rücktritt an – und zwar, “um die Gelassenheit zurückzugewinnen und damit das Fest des Films ein Fest bleibt”. So begründete es die Direktion des wichtigsten französischen Filmpreises am 13.2. in Paris in einer kurzen Mitteilung. Doch damit ist nicht genug: Verkrustete Strukturen, Intransparenz, fehlende Parität und zu wenig Mitspracherecht für die rund 4700 Mitglieder der “Akademie der Kinokünste” sind andere Problemfelder, die die Akademie angehen sollte. 

Der Film “Intrige” (auf Französisch: “J’accuse”) gewann im 2019 den Silbernen Löwen – und jetzt den César-Regiepreis.

Klare Botschaft an Polanski

Frankreichs Gleichstellungsministerin Marlène Schiappa hatte sich nach den zwölf Nominierungen für Polanskis Film schockiert gezeigt. “Für mich ist es unmöglich, dass ein Kinopublikum aufsteht und dem Film eines Mannes applaudiert, der wiederholt der Vergewaltigung beschuldigt wird”, so die Ministerin. Sie frage sich, welche Botschaft Opfern sexueller Gewalt damit vermittelt werde. Zahlreiche Frauenrechtsorganisationen stimmten ihr zu. Einige haben inzwischen sogar die Absetzung des Films gefordert. “Wir sind keine moralische Instanz”, sagte dagegen César-Präsident Alain Terzian.

Auch Frankreichs Kulturminister Franck Riester beteiligte sich an der Debatte: Kurz vor der Verleihung des höchsten französischen Filmpreises César am Freitagabend sprach sich Riester noch gegen die Auszeichnung von Roman Polanski als bester Regisseur aus. Doch genau diese Ehre wurde Polanski nun zuteil. Aus Protest gegen den Regiepreis verließen einige Zuschauer den Saal.

Mit den Nominierungen für Polanski nicht einverstanden – Protest vor der Preisverleihung

Ein Preis für den mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontierten Regisseur wäre “ein schlechtes Symbol” im “Kampf gegen sexuelle und sexistische Gewalt”, sagte Minister Riester zuvor im Rundfunksender France Info. Die Jury müsse ihrer Verantwortung gerecht werden. Die Ankündigung des französisch-polnischen Regisseurs, der Preisverleihung fernzubleiben, nannte Riester “klug”. Einen Preis für “Intrige” als bester Film hielt der Kulturminister dagegen für möglich. Es handele sich um das Werk eines Teams, und es gebe “keinen Grund, das Kollektiv für das womöglich strafbare Verhalten eines Künstlers in Mithaftung zu nehmen”, so Riester. Gewonnen hat den César als bester Film dann aber das Sozialdrama “Die Wütenden” von Regisseur Ladj Ly. In dieser Kategorie gingen Polanski und sein Team somit leer aus.

Prominente Fürsprecherin

Zwar wird der Regisseur von vielen Seiten kritisiert, doch er hat auch Unterstützer: Die Filmlegende Brigitte Bardot sagte im Vorfeld der Preisverleihung . “Wir sollten dankbar sein, dass Polanski lebt und das französische Kino aus dem Mittelmaß rettet. Und sie fügte hinzu: “Ich beurteile ihn für sein Talent, nicht für sein Privatleben.” Viele Bürger und Prominente sahen das jedoch anders. Vor Beginn der Zeremonie demonstrierten mehrere Hundert Menschen, vor allem Frauen, gegen die Nominierungen des Polanski-Films. Die diesjährige César-Vergabe wird wohl als Krisen-Event in die Annalen eingehen.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Das Messer im Wasser” (1962)

    Eine Frau und ein Mann eng umschlungen auf einer Segelyacht – doch die Harmonie trügt: “Das Messer im Wasser”, Polanskis erster abendfüllender Spielfilm, erzählt eine dramatische Dreiecksgeschichte. Der Film entstand 1962 in Polen und zeigte bereits ein wichtiges Motiv, das in späteren Filmen immer wieder auftauchen sollte: menschliche Konflikte auf kleinstem Raum, aufgeladen mit Erotik.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Ekel” (1965)

    Polanskis zweiter Film entstand drei Jahre später im Westen. Der psychologische Thriller “Ekel” zeigt die junge Catherine Deneuve in einem Londoner Appartement am Rande des Wahnsinns. Der Film nutzt die Mittel des Horrorfilmgenres für eine filmische Studie über die Verzweiflung einer jungen Frau. Eine Deutung des Films, der vieles offen lässt: Sie wurde in früheren Jahren sexuell missbraucht.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Tanz der Vampire” (1967)

    Ebenfalls in England entstand “Tanz der Vampire”, der dann an den Kinokassen großen Erfolg haben sollte. Polanski spielte mit Versatzstücken des damals populären Vampirfilms, gab dem Genre aber einen heiteren Dreh. Anders als in “Ekel” oder im nachfolgenden Film “Rosemaries Baby” eröffnete Polanski, der selbst eine Hauptrolle übernahm, dem Zuschauer Fluchtmöglichkeiten – ins befreiende Lachen.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Rosemaries Baby” (1968)

    Nichts zu lachen hatte das Publikum auf der ganzen Welt, als “Rosemaries Baby” in die Kinos kam. Die Geschichte eines kinderlosen Paares (Mia Farrow und John Cassavetes), das in eine New Yorker Wohnung zieht, die offenbar ein Geheimnis birgt, zieht dem Zuschauer den Boden unter den Füßen weg. “Rosemaries Baby” ist ein verstörender Horrorfilm übers Kinderkriegen mit stark religiösen Untertönen.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Chinatown” (1974)

    Nach der Shakespeare-Verfilmung “Macbeth” und der missglückten Komödie “Was?” gelang Polanski Mitte der 1970er Jahre ein makelloses filmisches Meisterwerk: “Chinatown”. Der Detektivfilm mit einem herausragenden Jack Nicholson ist sowohl eine Verbeugung vor dem “Film Noir” als auch eine Weiterentwicklung des Kriminalfilms, dringt aber auch tief in die Psyche der amerikanischen Gesellschaft ein.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Der Mieter” (1976)

    Polanskis nächster Film, “Der Mieter”, variierte dann noch einmal die Themen seiner früheren Arbeit “Ekel”. Diesmal ist es ein Mann, der in den vier Wänden seiner Pariser Wohnung von Wahnvorstellungen befallen wird. Einmal mehr bewies Polanski, dass er auch ein guter Schauspieler ist. Den “Mieter” spielte er selbst, ihm zur Seite stand die französische Schauspielerin Isabelle Adjani.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Tess” (1979)

    Für viele Polanski-Fans war dessen Verfilmung eines Klassikers der englischen Literatur eine Überraschung. “Tess”, nach dem Roman von Thomas Hardy von 1891, bot einen opulenten Bilderbogen, variierte aber auch klassische Polanski-Themen in neuer Gestalt: “Ich bin nicht auf der Suche nach Orginalität, ich bin auf der Suche nach mehr Einfachheit”, kommentierte der Regisseur sein Werk damals.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Der Pianist” (2002)

    Nicht weniger groß war das Staunen in der Filmwelt, als Polanski im Mai 2002 beim Festival in Cannes seinen Film “Der Pianist” präsentierte. Die Geschichte vom Überleben des polnischen Pianisten und Komponisten Władysław Szpilman im Warschauer Ghetto war auch eine Verarbeitung von Polanskis eigenem Leben als Kind im Krakauer Ghetto. “Der Pianist” bekam die Goldene Palme und mehrere Oscars.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Der Ghostwriter” (2010)

    Wie meisterhaft Roman Polanski es verstand, auch in fortgeschrittenem Alter mit den Mitteln des Kinos zu operieren, bewies vor ein paar Jahren sein Film “Der Ghostwriter”. Der elegante Thriller mit Pierce Brosnan und Ewan McGregor nach einem Roman von Robert Harris spielt auf einer Insel der US-amerikanischen Ostküste. Polanski drehte hierfür allerdings vor allem in Deutschland.


  • 10 Polanski-Filme, die man gesehen haben muss

    “Der Gott des Gemetzels” (2011)

    Und auch Polanskis unmittelbar danach realisierter Film, “Der Gott des Gemetzels”, erwies sich wieder als Meisterstück. Obwohl die Handlung, die nach einem Theaterstück der Erfolgsautorin Yasmina Reza entstand, fast ausschließlich in den Räumlichkeiten einer Wohnung spielt, entfesselte Polanski erneut ein atemberaubendes Spiel um menschliche Abgründe und Leidenschaften.

    Autorin/Autor: Jochen Kürten