Warum Mohammad Rasoulof trotz iranischer Drohungen weiter Filme dreht

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Um seinen Film “There is No Evil” zu drehen, setzte sich Mohammad Rasoulof über ein Filmverbot im Iran hinweg. Nun muss er mit einer Gefängnisstrafe rechnen. Sein Film wird auf der Berlinale als Favorit gehandelt.

“Deine Macht liegt darin, nein zu sagen”, sagt eine der Figuren in Mohammad Rasoulofs Film “There is No Evil” (auf Deutsch: “Es gibt kein Böses”). Der Film befasst sich mit moralischen Fragen rund um das Thema Todesstrafe und ist gleichzeitig eine Metapher für die Arbeit des Regisseurs. Rasoulof fordert mit seinem Werk die despotischen Autoritäten seines Landes heraus, wohl wissend, dass sein Handeln tragische Folgen und persönliche Einschränkungen nach sich ziehen wird.

“Einer der Gründe, warum die Menschen so stark von Mohammad Rasoulofs Filmen gefesselt sind, ist, dass er seine eigenen Erfahrungen einbringt”, sagt sein Produzent Kaveh Farnam im Gespräch mit der DW. Seit 2017 darf Rasoulof eigentlich keine Filme mehr drehen; im Juli 2019 wurde er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er legte gegen den Gerichtsentscheid Berufung ein und es gelang ihm in der Wartezeit auf das endgültige Urteil sogar, Regie bei “There is No Evil” zu führen.

Leerer Stuhl für Mohammad Rasoulof auf der Berlinale-Pressekonferenz

Vor drei Wochen wurde das Urteil bestätigt – per SMS: “Er erhielt eine SMS-Nachricht vom Gericht, in der ihm mitgeteilt wurde: ‘Das Urteil ist rechtskräftig. Ihre Berufung wird abgelehnt und Sie müssen ins Gefängnis. Machen Sie sich bereit'”, sagte Kaveh Farnam und fügte hinzu, dass in der Nachricht nicht einmal erwähnt wurde, wann Rasoulofs Gefängnisstrafe tatsächlich beginnen soll: “Das ist ihre Art der Bedrohung. Es ist wirklich eine Art von Folter.”

Zur Premiere seines Films bei der Berlinale am Freitag (28.2.) durfte Rasoulof nicht ausreisen. Der Staat beschlagnahmte seinen Pass schon bei seiner Rückkehr in den Iran im Jahr 2017, nachdem der Filmemacher bei den Filmfestspielen von Cannes mit “A Man of Integrity” (auf Deutsch: “Kampf um die Würde”) den Hauptpreis in der Kategorie “Un Certain Regard” (“Ein gewisser Blick”) gewonnen hatte. Der Regisseur kann nicht in sein Haus in Hamburg zurückkehren, wo seine Familie noch immer lebt.

Die Pflicht des Filmemachers

Farnam hat den Iran ebenfalls verlassen: Er lebt in Dubai, und seine Produktionsfirma ist in der Tschechischen Republik ansässig. Farnam hat mit Rasoulof schon an früheren Filmen gearbeitet, und sie “planen, noch viele weitere zu machen”. Er ist sich bewusst, dass die Teilnahme an dieser “illegalen” Produktion Konsequenzen haben wird, aber er ist bereit, sich ihnen zu stellen: “Wir denken, dass dies unsere Pflicht ist. Künstler sollten der Gesellschaft ein Feedback über die Dinge geben, die um sie herum passieren, wenn sie sterben”, sagte der Produzent im Exil. “Und wenn wir das unabhängige Kino und das freie Denken am Leben erhalten wollen, gibt es keine andere Möglichkeit, als die Konsequenzen zu akzeptieren.”


  • Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Mohammad Rasoulof

    Kurz nachdem der Regisseur mit “A Man of Integrity” 2017 einen Preis beim Filmfest Cannes gewonnen hatte, kehrte er in den Iran zurück. Die Behörden dort beschlagnahmten seinen Pass und untersagten ihm das Filmemachen. Im Juli 2019 wurde er zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, die er noch nicht antreten musste. Und es gelang ihm, den Berlinale-Beitrag “Es gibt kein Böses” (Foto) zu drehen.


  • Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Abdolreza Kahani

    Abdolreza Kahani wanderte 2015 nach Frankreich aus, nachdem drei seiner Filme in der Islamischen Republik verboten worden waren. Zudem war er daran gehindert worden, sie bei internationalen Festivals einzureichen. “Wir sind in die Zensur hineingeboren. Die Zensur betrifft nicht nur Literatur, Musik und Film. Die Zensur beginnt im Inneren des Hauses”, sagte er jüngst in einem Interview.


  • Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Kianoush Ayari

    Im Iran kann es Jahre dauern, bis man eine Vorführgenehmigung erhält: Der Film “The Paternal House” von 2012 wurde erst im vergangenen Jahr gezeigt, nachdem Kianoush Ayari sich bereit erklärt hatte, Änderungen vorzunehmen. Nur eine Woche später wurde der Film wieder verboten. Daraufhin verurteilten 200 Filmschaffende in einem offenen Brief die staatliche Zensur und forderten Meinungsfreiheit.


  • Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Asghar Farhadi

    Er ist einer der wenigen Regisseure, die zweimal den Oscar für den besten ausländischen Film gewonnen haben: 2012 für “Nader und Simin – Eine Trennung” und 2017 für “The Salesman” (Foto). Asghar Farhadi boykottierte die zweite Zeremonie, die kurz nach einem Dekret des US-Präsidenten Donald Trump stattfand, das Bürgern aus sieben muslimischen Ländern die Einreise in die USA verwehrte.


  • Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Bahman Ghobadi

    Der iranisch-kurdische Filmemacher Bahman Ghobadi führte Regie beim ersten kurdischsprachigen Spielfilm der Welt: “Zeit der trunkenen Pferde” (Foto) aus dem Jahr 2000. Nach seinem Film über die Underground-Musikszene in Teheran, “Perserkatzen kennt doch keiner” (2009), floh er aus dem Iran, da Geheimdienstagenten ihn bedroht hatten. Beide Filme wurden in Cannes ausgezeichnet.


  • mehr Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Marjane Satrapi

    Nachdem sie den Iran als junge Erwachsene endgültig verließ, musste sich die Autorin und Filmemacherin Marjane Satrapi nicht mehr mit den iranischen Behörden auseinandersetzen. Die Verfilmung ihres bekanntesten Comics “Persepolis” gewann 2007 den Preis der Jury in Cannes. Sie erzählt, wie schnell ein Teenager in Teheran in Schwierigkeiten mit der Polizei geraten kann.


  • Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Mohsen Makhmalbaf

    “Reise nach Kandahar” von 2001 wurde kurz vor den Anschlägen vom 11. September veröffentlicht und erzählt vom Schicksal afghanischer Frauen während des Taliban-Regimes. Viele Filme Makhmalbafs sind im Iran verboten. Nachdem Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten gewählt wurde, zog er nach Frankreich. 2014 wurden die Filmfestspiele von Venedig mit seinem Film “The President” (Foto) eröffnet.


  • Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Samira Makhmalbaf

    Mohsen Makhmalbafs Tochter ist eine der einflussreichsten Regisseurinnen der iranischen Neuen Welle. “Der Apfel” war ihr erster Spielfilm und wurde 1998 beim Filmfestival in Cannes uraufgeführt. Sie drehte ihn mit 17 Jahren. Zwei Jahre später gewann sie mit “Schwarze Tafeln” (Foto) in Cannes den Preis der Jury. Später saß sie selbst in den Jurys der Filmfestivals von Cannes, Venedig und Berlin.


  • mehr Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Jafar Panahi

    Jafar Panahi, der 1995 mit seinem Spielfilmdebüt “Der weiße Ballon” in Cannes ausgezeichnet wurde, erhielt trotz zunehmender Einschränkungen im Iran weiterhin internationale Anerkennung. Seit 2010 ist es ihm verboten, Filme zu drehen und das Land zu verlassen, aber es gelang ihm dennoch, heimlich weitere Filme zu inszenieren, darunter “Taxi Teheran” (2015) und “Drei Gesichter” (Foto) von 2018.


  • mehr Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur

    Shirin Neshat

    Ein Jahrzehnt nach dem Gewinn des internationalen Preises auf der Biennale von Venedig wurde ihr Spielfilmdebüt “Women Without Men” im Jahr 2009 bei den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet. Heute lebt sie im Exil in New York. “Ich stehe dem Westen kritisch gegenüber, aber Künstlerinnen im Iran sind immer noch mit Zensur, Folter und manchmal auch mit der Hinrichtung konfrontiert”, sagt sie.

    Autorin/Autor: Elizabeth Grenier (rey)


Wie der Staat das iranische Kino ausbremst

Er weist darauf hin, dass die Verfolgung gefeierter Regisseurr wie Rasoulof oder Jafar Panahi zwar internationale Aufmerksamkeit errege, aber: “Wir machen uns mehr Sorgen um unsere jungen Kollegen, um unabhängige Filmemacher, die nicht so große Namen haben.”

NebenZensur, Einschränkungen und Verfolgungkommt noch ein weiteres Hindernis hinzu: Filme, die von der iranischen Organisation für Kino (IOC), der staatlichen Produktionsfirma – “im Grunde genommen Regierungspropaganda” – unterstützt würden, hätten nicht nur riesige Budgets, sondern auch unbegrenzte logistische Unterstützung, sagt Farnam. Während es für unabhängige Produktionen unmöglich sei, eine Straße für eine Filmszene zu sperren, “könnte sie [die IOC] leicht zwei Hubschrauber nehmen, um den Hauptplatz für eines ihrer Projekte zu blockieren.” Es überrasche nicht, dass “viele Leute begonnen haben, für sie zu arbeiten”, so Farnam weiter.

Filmproduzent Kaveh Farnam: mutig und entschlossen, weiter zu machen

Obwohl er den Eindruck hat, dass es dem Land oftmals an Mut fehlt, stellt Farnam auch klar, dass verschiedene Initiativen noch immer für die Wiedererlangung der Rechte unabhängiger Filmemacher kämpfen. So unterzeichneten Im November 2019 mehr als 200 Mitglieder der iranischen Filmindustrie einen offenen Brief, in dem sie die staatliche Zensur verurteilten und die freie Meinungsäußerung in der Islamischen Republik forderten, nachdem Kianoush Ayaris Film “The Paternal House” eine Woche nach seiner ersten Vorführung in iranischen Kinos verboten worden war.

Kreative Umgehung des Filmverbots

Um bei “There is No Evil” die Aufmerksamkeit der Behörden zu umgehen, baten die Produzenten nur um die Erlaubnis, vier Kurzfilme in verschiedenen Regionen zu drehen. Rasoulofs Name erschien nicht auf den Formularen. Er gab seine Anweisungen für die auf einem Flughafen gedrehten Szenen durch einen Mitarbeiter. Andere Szenen wurden in in geschlossenen Räumen wie einem Gefängnis oder in abgelegenen Regionen gedreht.

Irgendwo im Nirgendwo: Szene aus “There is No Evil”

Todesstrafe im Iran allgegenwärtig

Die Hinrichtungen iranischer politischer Gefangener ab 1988 habe den Film inspiriert, sagte der Produzent. Eine unbekannte Anzahl von Menschen wurde damals hingerichtet. Amnesty International hat die Namen von fast 4.500 verschwundenen Gefangenen während der etwa fünfmonatigen Säuberungsaktion aufgezeichnet, aber einige Schätzungen gehen bis zu 30.000.

Noch heute, so der jüngste Bericht von Amnesty International über den Iran, der am 18. Februar veröffentlicht wurde, “wurden zahlreiche Menschen nach unfairen Gerichtsverfahren hingerichtet”. Zu den im vergangenen Jahr hingerichteten Personen gehörten mehrere Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Tat minderjährig waren. Auch Homosexualität gilt im Iran als Verbrechen nach islamischem Recht, das mit der Todesstrafe belegt ist. Wie der Iran Human Rights Monitor berichtet, besteht eine der Hinrichtungsmethoden des Regimes darin, öffentliche Erhängungen an Baukränen vorzunehmen.