Corona – und die Angst vor der Krise

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Auch außerhalb Chinas geht die Corona-Angst um. Kulturveranstaltungen werden abgesagt. Dystopien in Literatur und Film hervorgekramt. Und manch einer überlegt: Welche Chance steckt in so einer Krise?

Die Corona-Krise ist noch weit weg – scheinbar jedenfalls. Denn eigentlich ist China, wo der tödliche Virus ausbrach, nur einen Mausklick entfernt und nur wenige Flugstunden. Die Welt ist ein Dorf, wie Cornelie Holzach feststellen musste, Leiterin des Schmuckmuseums Pforzheim. Eigentlich wollte sie ab März eine Ausstellung mit Arbeiten des taiwanesischen Künstlers Ruan Weng Mong eröffnen. Die Werke des einst in Deutschland ausgebildeten Goldschmieds und Bildhauers, für die er Edelsteine und Metalle einsetzt, glänzen mit bestechend klaren Formen. “Schon seit geraumer Zeit haben wir die Lage in China beobachtet”, sagt Musemschefin Holzach. Jetzt zog sie die Reißleine: Die Schau “Exotic Formosa” ist abgesagt und auf das nächste Jahr verschoben. “Der Transport der Leihgaben aus Taipeh ist momentan nicht möglich.” Nun verharren die “Schätze aus der Zeit Napoleons” eben noch bis zum Sommer im Pforzheimer Reuchlinhaus. Holzach hat die Sonderschau kurzerhand verlängert.

Schmuckstück von Ruan Weng Mong

Auch auf der Berlinale, die am Donnerstag begann, spürt man die Auswirkungen des Virus, zumindest am Rande: 60 akkreditierte Gäste aus Asien haben laut Pressesprecherin Frauke Greiner abgesagt, Grund sei das Virus: “Die Anreise ist schwierig”. Gleichwohl dürften 60 Absagen – angesichts von rund 21.000 registrierten Fachbesuchern der Internationalen Filmfestspiele – kaum ins Gewicht fallen. Unter den Absagen seien weder Filmemacher noch Schauspieler, heißt es. Vielmehr kommt – laut Festivalprogramm – der chinesische Regisseur Jia Zhan-ke nach Berlin, um an einer Podiumsdiskussion am 24. Februar teilzunehmen.

Folgen der Vernetzung

Die latente Angst vor dem Corona-Virus wird ihm wohl vorauseilen. Andernorts hat die Gefahr einer Weiterverbreitung von “Covid 19”, wie die Lungenkrankheit jetzt offiziell heißt, bereits zu spektakulären Absagen großer Kulturveranstaltungen und Messen geführt: Nach Hongkong, wo die Kunstmesse Art Basel dieses Jahr ausfallen muss, findet auch der Mobile World Congress in Barcelona wegen drohender Infektionen nicht statt.

Abgesagt: die Kunstmesse Art Basel in Hongkong

Dabei wollte die Mobilfunkmesse mit ihren 100.000 Besuchern aus aller Welt dieses Jahr die “Limitless intelligent connectivity” feiern, die grenzenlosen und intelligenten Verbindungsmöglichkeiten mobiler Kommunikation. Auf unbestimmte Zeit verschoben wurde das für Anfang April in Berlin geplante E-Sports-Turnier “PlayerUnknown’s Battlegrounds (PUBG). Zwei Wochen lang sollten die weltbesten Teams aus Asien, Amerika und Europa um Preisgelder kämpfen. Nun heißt es: “Abgesagt – aus Gesundheits- und Sicherheitsgründen.”  Bei der Kunstmesse “Art Cologne” in Köln beobachtet man noch die Lage.

Wo die Welt zusammenrückt, beschleunigt das die Furcht vor weltumspannenden Krankheiten. “Man weiß, das Virus kommt aus China”, sagt der Historiker Frank Biess,”aber sobald es sich davon entfernt, kann es überall sein.”

Frank Biess, Historiker

Biess forscht zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert und ist Autor des Buches “Republik der Angst”, es erschien fast zeitgleich mit einer Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte über “German Angst”. Jeder Reisende im Flugzeug, jeder Infizierte anderswo werde zu einem Ort der Gefahr, so Biess. Aids, Vogelgrippe, BSE, SARS, Ebola, und jetzt Corona – “Diese Virusängste”, so Biess, “sind eine perfekte Metapher für die Globalisierung mit ihrer Vernetzung der Welt.” Anders als die Ängste der Vergangenheit – vor einem Atomkrieg etwa, vor einer Nuklearkatastrophe oder vor dem Waldsterben – hätten die neuen Ängste ihren Ort verloren.

Dystopen mit dem Finger in der Wunde

Wie es sich anfühlt, wenn die Welt untergeht, davon handelt ein sehr spezielles Genre in Literatur und Film – die sogenannte Dystopie, entstanden als Gegenentwurf zur fortschrittsgläubigen Utopie: Autoren und Filmemacher entwerfen ein pessimistisches Zukunftsbild, nicht selten, um den Finger in aktuelle Wunden zu legen.

Robert Hofmann, Filmexperte

Berühmte Beispiele sind “1984” von Georg Orwell, Franz Kafkas “Prozess” oder die “Tribute von Panem” von Suzanne Collins. Ein Ranking dystopischer “Endzeitfilme” hat schon vor Jahren der Filmkritiker Robert Hofmann erstellt. “Für mich liegt der Reiz dieser Filme darin”, sagt er, “dass sich der Zusammenbruch einer Gesellschaft mit dem Survivalgedanken paart – der Frage, wie überlebe ich?” Mit seinen Filmbesprechungen ist der gelernte Schauspieler mittlerweile ein Internet-Star. Sein YouTube-Kanal zählt rund 600.000 Abonnenten und über 367 Millionen Aufrufe.

Die Frage des Überlebens stellt sich freilich erst, sollte der Corona-Ausbruch zur Pandemie werden. Wie würde die Menschheit dann mit der Krise umgehen? Und welche Lehren würde sie daraus ziehen? Der Regisseur Christopher Roth stellt diese Frage aus einem speziellen Blickwinkel – nämlich rückblickend aus dem Jahr 2038.

Mit der Idee für ein interessantes Planspiel hat Roth die Politik neugierig gemacht: Mit den Architekten Arno Brandlhuber, Olaf Grawert und Nikolaus Hirsch zählt er in diesem Jahr zum Kuratorenteam des deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale in Venedig. Rückblickend, spekuliert er, wird die Corona-Krise zum Zusammenbruch des globalen Finanzsystems geführt haben. “Als es ganz hart war, haben sich die Leute besonnen und gefragt: Wollen wir wieder nur an uns denken oder vielleicht mal für den ganzen Planeten?”

Opfer des “Schwarzen Tods” (Puppen bei Dreharbeiten zum Film “Black Death” 2009)

“Pest!” lautet der alarmierende Titel einer Sonderschau im Westfälischen Landesmuseum in Herne. Die Schau zieht eine Parallele zur Situation in der chinesischen Metropole Wuhan. “Um Seuchen aufzuhalten, riegelten die Menschen zu allen Zeiten ihre Städte ab”, erinnert der Kurator und Medizinhistoriker Stefan Leenen. An der Pest starben Millionen Menschen, während die WHO bisher 2.200 Corona-Tote zählt. Bekommt Covid-19 zuviel Aufmerksamkeit? “Ob das weltweite Medien-Echo gerechtfertigt ist, lässt sich schwer sagen”, so Leenen. “Aber sinnvoll finde ich es, für ausreichend Schutz zu sorgen. Besser mehr als zu wenig!”