Mein verlorenes australisches Paradies

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DW-Reporterin Chloe Lyneham hat die australischen Buschfeuer hautnah miterlebt. Zweimal musste sie mit ihrer Familie vor den herannahenden Flammen fliehen. Ein beklemmender Erfahrungsbericht.

Rauch über dem Broulee-Strand nahe Batemans Bay, dem liebsten Urlaubsort der Familie Lyneham

Am 30. Dezember aß ich mit meiner Familie in einem kleinen Dorf südlich von Batemans Bay in New South Wales gerade Spaghetti, als meine Mutter anrief. Ein riesiger Brand rase den Clyde Mountain hinunter auf uns zu, sagte sie. Die Behörden hätten die Menschen aufgefordert, die Gegend zu verlassen, sonst riskiere man, von den Flammen eingekesselt zu werden.

Es war ein unheimliches Gefühl, so schnell wie möglich unsere drei Kinder und hektisch vollgestopfte Taschen ins Auto zu packen. Welche Straßen waren wohl noch befahrbar? Während wir mit meinem Bruder in Canberra telefonierten, überprüften wir ständig, wo es gerade brannte. Ob die Straße Richtung Süden wohl schon gesperrt war? Würden wir Richtung Norden fahren können?

Die südliche Route nach Canberra über Brown Mountain war schon dicht – eine Feuerwalze zog durch die unberührte Natur des Nationalparks. Wir machten uns auf den Weg gen Norden, fuhren mehrere hundert zusätzliche Kilometer durch das Kangaroo Valley, und kamen um 1.30 Uhr nachts zu Hause an.

Wir hatten Glück – wir waren entkommen. Schon am frühen Morgen waren alle Straßen gesperrt und über den Tag hinweg fraßen sich die Flammen durch Batemans Bay und die umliegenden Dörfer. Orte, die ich mein ganzes Leben lang besucht habe, sind nun verschwunden.

Die Straße nach Norden, der einzige Fluchtweg aus Batemans Bay

Zwar blieb uns der Schrecken erspart, mit unseren Kindern dichtgedrängt auf einem Strand zu stehen und unsere Köpfe mit Handtüchern zu bedecken, während brennende Glut niederregnet. Aber auch uns nahmen die Brände mehrfach die Luft zum Atmen.

Der neue Normalzustand?

Als wir am Neujahrstag in Canberra aufwachten, herrschte dort die schlechteste Luftqualität der Welt. Die nächsten fünf Tage verbrachten wir zusammengekauert in unserer Wohnung. Ich habe während dieser Zeit vieles gelernt. Zum Beispiel, dass man bei so viel Rauch außerhalb der Wohnung die Klimaanlage nicht anschalten darf, weil sie den Rauch einsaugt. Dass Kinder unter 14 Jahren aufgrund von Erstickungsgefahr keine Luftpartikel filternden P2-Atemschutzmasken tragen dürfen. Dass die Augen innerhalb einer Minute anfangen zu brennen, wenn man bei so viel Rauch nach draußen geht. Dass es ziemlich elendig ist, tagelang dieselbe abgestandene Luft einzuatmen und dann auch noch am 4. Januar bei 44 Grad Celsius Canberras heißesten Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnung zu ertragen.

Unsere Wohnung heizte sich auf wie eine Sauna und wir konnten weder die Fenster öffnen noch die Klimaanlage anmachen. Schlimmer noch: Wir konnten nirgendwo anders hingehen. In öffentlichen Gebäuden war die Situation noch schlimmer. Sie waren so voller Rauch, dass man sich genauso gut hätte draußen aufhalten können.

Am 5. Januar, nachdem meine Tochter sich fast die ganze Nacht durch erbrochen hatte, weil sie Rauch eingeatmet hatte, flohen wir ein zweites Mal. Wir kauften teure Flugtickets nach Adelaide, um in der fast 1000 Kilometer Luftlinie entfernten Stadt bei Verwandten zu bleiben. Den Flughafen von Adelaide zu verlassen, war, wie in einen Alltag zurückzukehren, in man vieles für selbstverständlich hält – zum Beispiel einigermaßen saubere Luft. Meine Schwägerin scherzte, wir seien Klimaflüchtlinge geworden. Doch das Lachen blieb uns im Halse stecken. 

Wenn es nichts mehr gibt, das brennen kann, was dann?

Die Krise ist noch lange nicht überstanden, daran werden wir immer wieder erinnert. In einer Woche fliege ich zurück nach Canberra, aber in New South Wales lodern immer noch 130 Brände. Es wird davon ausgegangen, dass sich mehrere große Buschfeuer an der Grenze zum benachbarten Bundesstaat Victoria zu einem Mega-Brand verbinden werden. Und wenn der irgendwann gelöscht ist und es nichts mehr gibt, das brennen kann, was dann? Seit Jahren warnen Klimaforscher, dass die Buschfeuer-Saison in Australien länger und tödlicher werden wird. Jetzt können sie sagen, dass sie Recht hatten.

DW-Reporterin Chloe Lyneham

Es ist eine bittere Ironie, dass das Land mit einer der schlechtesten Klimabilanzen der Welt zum Musterbeispiel dafür geworden ist, was der Klimawandel anrichten kann. Aber wenn irgendetwas die Australier aus ihrer Bequemlichkeit reißen kann, dann dieses Ereignis.

Mein Bruder hat darauf hingewiesen, dass es nicht nur “linke Ökos” seien, die über die globale Erwärmung reden. Auch “normale” Australier diskutieren inzwischen darüber. Das ist vielleicht der einzige Hoffnungsschimmer dieser Geschichte. Wenn die Brände dazu führen, dass Australien – oder irgendein anderes Land – seine Klimapolitik verbessert, dann ist das zumindest etwas.

In der Zwischenzeit verwandeln sich unsere schönen Urwälder in Asche, während unsere einzigartigen und wertvollen Tiere bei lebendigem Leib verbrennen. An diejenigen, die noch nie in Australien waren: Es war ein wunderschöner Ort mit himmelhohen Eukalyptuswäldern entlang der Ostküste. Sie hätten ihn geliebt.


  • Australisches Inferno

    Lichterloh

    Mehr als 180 Brände lodern in ganz Australien. Besonders stark ist der Bundesstaat New South Wales an der Ostküste betroffen. Buschbrände sind auf dem Kontinent nichts ungewöhnliches, wohl aber die Intensität, mit der sie Australien diesmal treffen: Die Brandsaison begann sehr früh, nämlich im September. Seitdem hat es auf sieben Millionen Hektar gebrannt, ein Fünftel der Fläche Deutschlands.


  • Australisches Inferno

    Schreckliches neues Jahr

    Seit dem Jahreswechsel hat sich die Situation noch einmal verschärft: Eine neue Hitzewelle mit Temperaturen weit jenseits der 40-Grad-Marke trägt dazu bei, dass sich die Brände weiter ausbreiten. Die Löschkräfte sind im Dauereinsatz, viele Anwohner wie dieses Ehepaar in Nowra, New South Wales bangen um ihr Zuhause. Tausende Häuser sind bereits verbrannt, mindestens 24 Menschen ums Leben gekommen.


  • Australisches Inferno

    Meer aus Flammen

    Rechts auf diesem Satellitenbild ist der Lake Eucumbene in New South Wales zu erkennen – links ein Brand, der sich durch den Wald frisst. Das Foto wurde mit spezieller Infrarot-Technik aufgenommen, bei der sich das kurzwellige Infrarot-Licht der Feuer besonders gut abzeichnet. Auf Fotos aus dem Weltall sind häufig Rauchwolken zu sehen, die je nach Wetterlage sogar bis Neuseeland reichen.


  • Australisches Inferno

    Verzweifelt und überfordert

    Mit einem Handtuch versucht dieser Junge die Flammen zu ersticken, die sich durch eine Wiese fressen. Farmer haben Probleme, ihr Vieh weiter zu ernähren, wenn Weiden und Felder den Flammen zum Opfer gefallen sind. Viele von ihnen mussten ihre Nutztiere töten, etwa wegen Verbrennungen oder Stress. Insgesamt, so schätzen Forscher, sind allein in New South Wales hunderte Millionen Tiere tot.


  • Australisches Inferno

    Tiere in Not

    Dieser Koala wurde gerettet, für viele andere Tiere kam jede Hilfe zu spät. Für Koalas sind die Brände besonders verheerend, da sie sich instinktiv in den Bäumen zusammenrollen. So könnten sie Brände im Unterholz überstehen – die heftigen Feuer schlagen jedoch bis in die Baumkronen. In einem Gebiet, in dem die Population seit langem überwacht wird, sind zwei Drittel der Koalas gestorben.


  • Australisches Inferno

    Verbrannte Erde

    Wenn die Flammen keine Nahrung mehr finden, bleibt oft kahles Land zurück – oder verkohlte Stämme, so wie hier in Old Bar in New South Wales. Früher legten die Aborigine-Ureinwohner Australiens kontrollierte Buschfeuer im Unterholz, um den von Gewittern ausgelösten Feuern des heißen Sommers den Brennstoff zu nehmen. So mancher Australier fordert inzwischen, diese Praxis wiederzubeleben.


  • Australisches Inferno

    Einsatz im Inferno

    Abseits der Städten an den Küsten ist Australien sehr dünn besiedelt – entsprechend wichtig sind freiwillige Feuerwehrleute bei der Brandbekämpfung. Wegen der außerordentlich langen und heftigen Brandsaison sollen sie in diesem Jahr aus einem Sonderfonds bezahlt werden: Wer mindestens zehn Tage an den Löscharbeiten beteiligt war, erhält umgerechnet etwa 190 Euro pro Tag.


  • Australisches Inferno

    Posthume Auszeichnung

    Der Einsatz zwischen Flammen, Rauch und Glut ist jedoch in erster Linie eines: gefährlich. Der Feuerwehrmann Geoffrey Keaton ist bei einem Einsatz gestorben. Als er er am 2. Januar beerdigt wurde, wurde an seiner Statt seinem kleinen Sohn ein Verdienstorden verliehen. Insgesamt sind schon drei Feuerwehrleute bei den Einsätzen der diesjährigen Brandsaison gestorben.


  • Australisches Inferno

    Flucht vor den Flammen

    Das Feuer in Coffs Harbour nördlich von Sydney, vor dem diese Frau mit ihrer 18 Monate alten Tochter im November floh, ist inzwischen erloschen. Anderswo entstehen dafür neue Brandherde: Im Bundesstaat Victoria, zu dem auch die Millionenstadt Melbourne zählt, mussten laut Behördenangaben in den vergangenen Tagen rund 67.000 Menschen ihr Hab und Gut zurücklassen.


  • Australisches Inferno

    Die Armee hilft

    Die australischen Streitkräfte helfen dabei, Anwohner in Sicherheit zu bringen – durch die Luft oder per Schiff. Besonders betroffen war der von Flammen eingeschlossene Ort Mallacoota. Gerade erst wurden zusätzlich 3000 Reservisten einberufen, um den Feuerwehrleuten bei der Brandbekämpfung zu helfen. In den nächsten Tagen sollen neuseeländische Militärhubschrauber zur Unterstützung eintreffen.


  • Australisches Inferno

    Ein Tropfen auf den heißen Kontinent

    Dieser Mann vor dem australischen Parlament in Canberra unternimmt mit seinem Hochdruckreiniger zwar nichts gegen die Flammen – und doch könnte es aus Sicht vieler Australier ein Symbolbild dafür sein, wie gering die Maßnahmen der Politik gegenüber der Dimension der Brände sind. In der Hauptstadt hat Rauch die Luft derart verpestet, dass die Bewohner aufgerufen wurden, zu Hause zu bleiben.


  • Australisches Inferno

    Hände in den Hosentaschen

    Premierminister Scott Morrison steht besonders im Fokus der Kritik, nicht entschlossen anzupacken und so die Krise zu bewältigen – auch aus politischen Gründen: Der konservative Politiker leugnet inzwischen zwar nicht mehr den vom Menschen verursachten Klimawandel, steht aber fest auf der Seite der Kohleindustrie. Erst allmählich beginnt Morrison, die Dimension der aktuellen Feuer anzuerkennen.


  • Australisches Inferno

    Hände schütteln – oder auch nicht

    Inzwischen hat Morrison eingeräumt, dass sein Familienurlaub auf Hawaii inmitten der Brandsaison ein Fehler war. Seitdem gibt er sich zunehmend volksnah: Dieser 85-Jährige ließ sich von Morrison trösten – in sozialen Medien werden jedoch vor allem Aufnahmen von Menschen verbreitet, die dem Premier den Handschlag verweigerten. Viele sind mit seinem Krisenmanagement unzufrieden.


  • Australisches Inferno

    Hilfe für die, die alles verloren haben

    Morrison hat die Gründung einer nationalen Agentur angekündigt, die den Geschädigten der Katastrophe unter die Arme greifen soll. Über zwei Jahre sollen umgerechnet mindestens 1,2 Milliarden Euro ausgeschüttet werden – an Farmer, kleine Geschäfte und an Anwohner. Tausende Menschen, wie dieser Mann 350 Kilometer nördlich von Sydney, haben ihr Zuhause im Feuer verloren.


  • Australisches Inferno

    Symptom und Ursache

    Kurzfristig muss Australien hoffen, irgendwie mit dem Feuer fertig zu werden. Langfristig werden viel mehr Präventions- und Akutmaßnahmen anfallen, denn die Feuersbrünste dürften angesichts eines sich erhitzenden Planeten immer häufiger und heftiger werden. Deshalb gehen Zehntausende Australier immer wieder auf die Straße, um ihre Regierung zu ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen zu bewegen.

    Autorin/Autor: David Ehl