Wenn Glasfassaden Strom produzieren

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New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio will Glashochhäuser verbieten. Dabei könnten deren großflächige Fassaden Elektrizität produzieren. Das “Energieglas” des Schweizer Professors Michael Grätzel macht es möglich.

Ein Hochhaus mit Glasfassade in New York

Die US-Demokraten haben Großes vor. Mit ihrem “Green New Deal” wollen sie ökologische Antworten auf den Klimawandel und wirtschaftliche Herausforderungen anbieten. Die Anleihen an den “New Deal” aus den 1930er Jahren sind gewollt – damals reagierte US-Präsident Franklin D. Roosevelt mit großen Konjunkturprogrammen auf die Weltwirtschaftskrise. 

Schlichte Glasgebäude verursachen Treibhausgas

Im Kampf gegen den Ausstoß von Treibhausgasen hat New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio – auch Mitglied der Demokraten – den Claim “Green New Deal” aufgenommen. Er will den Bau neuer Hochhäuser mit Glasfassaden verbieten. Er wolle dazu eine Gesetzesvorlage einbringen, sagte der Bürgermeister bei der Vorstellung seiner Initiative am Ostermontag. Ausschließlich aus Glas gefertigte Fassaden seien “ineffizient”, weil durch sie viel Energie entweiche.

Der Science Tower in Graz wurde mit Energieglas ausgestattet

Die Glasgebäude seien in der US-Metropole der größte Verursacher von Treibhausgasemissionen, sagte De Blasio. Wenn ein Unternehmen einen großen Wolkenkratzer bauen wolle, könne es zwar weiterhin viel Glas nutzen, doch müsse es alle Maßnahmen ergreifen, um die Emissionen zu senken. “Aber sich selbst Monumente errichten, die unserer Erde schaden und unsere Zukunft bedrohen – das wird in New York City nicht länger erlaubt sein”, erklärte der Demokrat. Sein geplantes Gesetz sehe außerdem Nachrüstungen an bereits bestehenden Glasbauten vor, um den strikteren Richtlinien beim Kohlenstoffausstoß gerecht zu werden.

Mit Himbeeren Strom produzieren

Dabei sind Glasfassaden gar nicht per se umweltschädlich. Sie könnten sogar Strom produzieren, sagt der Schweizer Professor Michael Grätzel. Nämlich dann, wenn sie mit seinen Farbstoffsolarzellen ausgestattet werden.

Professor Michael Grätzel zeigt seine Farbstoffsolarzelle

Der gebürtige Sachse Grätzel ist kein Unbekannter in der Photovoltaik-Szene – seit Jahren wird der Chemieprofessor für den Nobelpreis gehandelt. Die Erfindung und Entwicklung der sogenannten organischen Farbstoffzelle haben ihn so bekannt gemacht, dass die neuen Solarzellen sogar nach ihm benannt wurden. Die “Grätzelzelle”, oder eben Farbstoffsolarzelle, ahmt die Photosynthese nach, also die pflanzliche Umwandlung von Sonneneinstrahlung in Zucker – und damit in Energie.

Was die Natur bereits vor rund 3,5 Milliarden Jahren erfunden hat, könnte helfen, die weltweit drohende Energiekrise zu lindern. Gerne demonstriert der Chemieprofessor Studenten die Funktionsweise seiner Solarzellen. Benötigt wird dafür der Saft einer Himbeere, ein Spritzer Jodlösung und eine Löffelspitze Zahnpasta. Diese Mischung wird zwischen zwei mit Zinnoxid beschichteten Glasplatten verteilt – und schon dreht sich der kleine Ventilator, der an die Versuchsanordnung angeschlossen ist.

Das Energieglas unterstützt auch die Wärmedämmung

Bereits 1988 hat Grätzel seine Farbstoffsolarzelle zum Patent angemeldet. Die Laborphase hat seine Erfindung schon lange verlassen, in industriellen Anwendungen produziert die Grätzelzelle effektiv und stabil Strom. In Österreich wurde damit der Science Tower in Graz auf einer Fläche von 1000 Quadratmetern ausgestattet. In Deutschland produzieren in Darmstadt die Fensterfronten des Pharmaherstellers Merck Strom, und auch die Glaslamellen des SwissTech-Convention-Centers in Lausanne in der Schweiz erzeugen selbst bei bedecktem Himmel elektrische Energie.

Die Außenfassade des SwissTech Convention Centers produziert Strom mit der Farbstoffzelle

Grätzels Energieglas erreicht einen Wirkungsrad von bis zu 14 Prozent. “Aber dann lässt die Transparenz, die Durchsichtigkeit nach”, erklärt der Chemieprofessor der Deutschen Welle. Und das, sagt er, mögen Architekten nicht besonders. Deshalb liege der Wirkungsgrad der Fensterfronten in den bereits realisierten Gebäuden bei rund fünf Prozent.

Moderne Silizium-Solarzellen, aus denen die allermeisten Photovoltaikanlagen gefertigt sind, können teilweise mehr als 20 Prozent der einstrahlenden Energie in Strom umwandeln. Dafür haben Grätzels Farbstoffsolarzellen einen anderen Vorteil: Die Sonnenergie kann auch von der Rückseite eingefangen werden, was die Leistungsfähigkeit deutlich verbessert. Gleichzeitig wirkt das Energieglas wärmedämmend, weil es Infrarotlicht reflektiert. Dieser Effekt, sagt Grätzel, wirke das ganze Jahr energiesparend: Im Sommer bleibt Wärme draußen, im Winter wird sie in den Raum zurückgeworfen.

Singapur macht New York das Stromsparen vor

Eine Fensterfront von 300 mal 50 Meter, was einem New Yorker Hochhaus entspricht, könnte pro Jahr etwa eine Million Kilowattstunden Strom produzieren, rechnet Grätzel vor. Das entspricht ungefähr dem heimischen Energiekonsum von etwas mehr als 150 New Yorkern.

Es könnten allerdings deutlich mehr werden. Denn für den New Yorker Bürgermeister hat der Professor aus Lausanne noch einen Tipp für die Sommermonate: Wenn auch die Amerikaner ihre Klimaanlagen auf 25 Grad einstellten – wie es Singapur gerade vorgemacht habe – fiele ihr Stromverbrauch rapide. “Und bei 25 Grad kann man noch wunderbar arbeiten, wenn man sich das Jacket auszieht”, sagt Grätzel.

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Wie die Natur – das Geheimnis der Grätzel-Zelle

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