Chanukka in Berlin: “Wir sind da. Wir bleiben da.”

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In Berlin feiern in diesen Tagen wieder Hunderte Holocaust-Überlebende Chanukka, das jüdische Lichterfest. Viele sorgen sich vor neuem Judenhass und davor, dass der Völkermord der Nazis in Vergessenheit gerät.

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Chanukka in Berlin

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Berlin: Chanukka zu Ehren der Holocaustüberlebenden

Leonid Danziger ist neunzig. Seit September. “Aber Chanukka feiere ich erst seit 20 Jahren, seitdem ich in Deutschland bin.” Fast klingt es entschuldigend.

Danziger ist einer von an die 300 alten Juden, die an diesem Nachmittag in Berlin gemeinsam Chanukka feiern, das jüdische Lichterfest. Es sind Holocaust-Überlebende, viele von ihnen mit schrecklich schwerer Geschichte. Berlin hat in den acht Tagen dieses jüdischen Festes diverse offizielle Feiern. Am Brandenburger Tor steht der größte Chanukka-Leuchter Europas. Mal zündet Bundespräsident Frank Walter Steinmeier eine Kerze an, mal Außenminister Heiko Maas, mal Kommunalpolitiker.

Das Licht blieb

Der größte Chanukka-Leuchter Europas steht am Brandenburger Tor in Berlin

Aber kein Termin ist so berührend wie die Feier im Jüdischen Gemeindezentrum in Charlottenburg. Viele der Gäste gehen am Stock, manche kommen mit dem Rollator. Im Gedränge vor dem festlich geschmückten Saal kommt ein alter Herr zu Fall, braucht Hilfe – und bleibt dann doch. Das Chanukka-Fest ist viel älter als der christliche Advent. Es geht um Dankbarkeit an Gott für wunderbares Wirken vor 2200 Jahren, durch das das Licht im Tempel am Leben blieb, obwohl es doch eigentlich an Öl fehlte. Ein frommes, auch familienfrohes Fest. Wer hier im Gemeindesaal sitzt, ist meist alt und nicht selten auch allein.

Festliches Essen, bunte Kulisse im Jüdischen Gemeindezentrum

Zum zweiten Mal gibt es die “International Holocaust Survivors Night” an Chanukka. In Jerusalem und New York, in Moskau und Berlin kommen Überlebende zusammen. “Ihr Überleben ist ein Wunder, wie Chanukka”, sagt zur Begrüßung Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland, die die Treffen organisiert. Und er spricht von der Sorge der Holocaust-Überlebenden, “dass die Erinnerung an die Shoa, an ihre Leiden, an ihr Überleben verloren geht”.

Lebensgeschichten

Jedes Wort hier wird ins Russische übersetzt. Denn da sitzen überwiegend Menschen, die vor gut 20, 25 Jahren zumeist aus Russland und der Ukraine nach Deutschland kamen. Mehrere, wie Nonna Revzina (82), überstanden die 900 Tage dauernde Belagerung von Leningrad, eines der schrecklichsten Kapitel des deutschen Angriffskrieges in Russland. Assia Gorban (85) aus der Ukraine überlebte nach Ghetto und Viehwaggon in der Illegalität. Oljean Ingster (90) war in acht Konzentrationslagern, auch auf dem Todesmarsch nach Sachsenhausen.

Leonid Danziger kam einst aus Kiew nach Berlin

Und Leonid Danziger. Er wurde in Kiew geboren, während der Nazi-Jahre war er mit seiner Mutter in Samara an der Wolga. Vor gut zwei Jahrzehnten kam er nach Deutschland, nach Berlin. “Das jüdische Leben habe ich in Deutschland gelernt”, sagt er. In Kiew kannte er keine jüdische Gemeinde, in Berlin geht er in die Synagoge an der Rykestraße im Prenzlauer Berg. “Ich spreche nur sehr langsam Deutsch. Aber ich verstehe alles.” Deutsche Kultur und Geschichte habe er im Internet gelernt. Und stolz erwähnt er Söhne und Enkelkinder.

Bitte um Vergebung

Sechs Reden gibt es, die nur schwer gegen den Lärmpegel im Saal ankommen, zwischen Wiedersehen, Plaudern und festlichem Essen. Bei Michelle Müntefering wird es ruhiger im Saal. Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt begrüßt mit einem Wort Russisch, nimmt die einst von Bundespräsident Johannes Rau in Israel gesprochene “Bitte um Vergebung” auf, erzählt von ihrem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem vor wenigen Tagen. “Zusammenstehen gegen Antisemitismus!”, sagt sie, bevor sie mit einem “Chag Sameach” (Frohes Fest) und einigen weiteren Worten in Hebräisch schließt.

Charlotte Knobloch, Holocaust-Überlebende und Mahnerin

Aber die wichtigste Rede kommt von Charlotte Knobloch. Die 86-jährige frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland ist eine von ihnen. Die Münchnerin überstand die Nazi-Zeit in einem Versteck auf dem Land. Chanukka, sagt sie, “bedeutet auf Wunder zu vertrauen. Damals wie heute. Dass ich überlebt habe, kann ich nicht anders begreifen.” Knobloch kommt auf den Judenhass in Deutschland zu sprechen. Sie beklagt die Präsenz von Rechtsextremen im Bundestag und wachsende “aggressive Ablehnung der Erinnerung an den Holocaust”, die den Antisemitismus “wieder salonfähig” mache. “Wir sind da, wir bleiben da”, sagt sie stolz.

Drei Lichter

Dann gehen sie auf die Bühne. Die ganz alten und die jüngeren Offiziellen, auch ein Rabbiner für die offiziellen Texte. Und alte, zitternde Hände zünden drei Lichter an. Es ist der dritte Abend von Chanukka in Berlin.