HIV-Positive in Griechenland zeigen Gesicht

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HIV ist in Griechenland immer noch ein Tabu. Die Angst vor Diskriminierung ist groß. Betroffene und Aktivisten schlagen Alarm. Sie wollen sich nicht länger verstecken und fordern einen offenen Dialog.

“HIV? Was soll ich dazu sagen?”, antwortet ein 23-jähriger Student aus Athen auf die Frage, was er  über den HI-Virus weiß. Obwohl er betreten lacht und es ihm offensichtlich schwer fällt, sich zum Thema zu äußern, wartet er geduldig auf den Blutschnelltest, den der Verein ‘Checkpoint’ im Zentrum der griechischen Hauptstadt anbietet. Freiwillige stehen mit roten T-Shirts in der Fußgängerzone, drücken Passanten Infoflyer in die Hand und laden sie dazu ein sich testen zu lassen – kostenlos, anonym und mit sofortigem Ergebnis.

Etwa 15.000 Menschen in Griechenland leben mit der Diagnose HIV. Der kleine Stich in den Finger, der für den Test notwendig ist, bringt vor allem eines: Sicherheit. Denn nur wer eine Diagnose hat, kann entsprechend behandelt werden und bei sexuellem Kontakt den Partner schützen. Dass dies in Griechenland immer noch viel zu selten passiert, liegt für Kostis Chatzimorakis, Direktor des Vereins ‘Kentro Zois’ (Zentrum des Lebens) an fehlender Aufklärung: “Wenn man das Wort HIV oder AIDS hört, erzeugt das in Griechenland immer noch vor allem Angst. Dem kann man nur mit Bildung und Wissen entgegenwirken.”

Schulungsbedarf auch bei Ärzten

Vereine, die sich dem Thema HIV und AIDS widmen, wollen mehr Menschen dazu bewegen, sich testen zu lassen – mit Erfolg. Gut 30 Prozent aller HIV-Erstdiagnosen kommen inzwischen aus den beiden Büros von Checkpoint in Athen und Thessaloniki. Auch der 28-jährige Rafael hat hier erfahren, dass er HIV positiv ist. “Das war natürlich ein Schock, aber die Mitarbeiter sind speziell geschult und unterstützen auch psychologisch.”

Kostis Chatzomorakis: “Das Wort AIDS erzeugt in Griechenland immer noch Angst”

Bei früheren Tests in staatlichen Krankenhäusern habe er sich dagegen oft eingeschüchtert gefühlt: “Als ich gesagt habe, dass ich mich für HIV testen lassen will, hat man mich komisch angeschaut und gefragt: Warum? Was hast Du getan? Das war traumatisch. “Solcherlei latente Schuldeinflößungen hätte es bei Checkpoint nicht gegeben. Im Gegenteil. “Ich bin hier schon vor dem Test informiert worden. Ich musste mich zwar an die Diagnose gewöhnen, aber ich wusste sofort, was zu tun war.”

Inzwischen ist die Wissenschaft so weit, dass ein Mensch mit HIV bei entsprechender Behandlung ein normales Leben führen kann. Positive Frauen können Kinder bekommen, ohne, dass das Virus sich auf den Fötus überträgt. Auch die teils heftigen Nebenwirkungen der ersten Therapieversuche in den 1990er Jahren stellen heute kein Problem mehr dar. Trotz dieser Fortschritte fühlen sich viele Betroffene in Griechenland von ihren Ärzten diskriminiert. Und das hat Folgen. “Wenn es zwischen Arzt und Patient kein Vertrauen gibt, dann erzählt man ihm nicht die Wahrheit. Das kann gefährlich werden, zum Beispiel wenn er dann Medikamente verabreicht bekommt, die in Kombination mit der HIV-Behandlung zu Nebenwirkungen führen,” erklärt Rafael.

Aufklärung, aber wie?

Für Kostis Chatzimoraki liegt die Hauptaufgabe von Kentro Zois darin, den derzeitigen Stand der Wissenschaft flächendeckend und gut verständlich darzustellen. “Es geht nicht darum, dass die Menschen nicht wissen, sondern, dass sie Angst haben zu lernen. Doch warum haben die Menschen Angst? Das müssen wir begreifen. Denn, wenn man zehn grundlegende Dinge über HIV weiß, dann begreitft man: Ich muss mich nicht fürchten.”

Die Dunkelziffer der HIV-Infizierten im Land ist hoch

Kentro Zois wendet sich daher nicht nur an Menschen mit HIV oder AIDS, sondern an alle, die sich  mit dem Thema auseinandersetzen. Sie bieten kostenlos pychologischen, medizinischen und rechtlichen Beistand. “Wichtig ist auch, das Umfeld, in den meisten Fällen also die Familien miteinzubeziehen. Einige melden sich von allein bei uns, weil sie den Betroffenen helfen wollen, aber nicht wissen wie.” Das sei leider nicht immer der Fall.

Auf der Webseite von Kentro Zois klärt der Verein auch teilweise mit humoristischen Videos auf. “Wir wollen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen und Menschen ermahnen. Das führt eher dazu, dass sie sich gar nicht damit auseinandersetzen.” Wichtig sei es auch, Jugendliche aufzuklären. Die meisten Infektionen werden in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren registriert. Gerade junge Männer wollen sich beim Sex nicht schützen. “Wir haben in den letzten Jahren 66.000 Schülern in Schulen im ganzen Land über HIV aufgeklärt und über das Leben mit HIV diskutiert,” berichtet Chatzimoraki. Für den Kampf gegen die für alle Menschen gefährliche Sitgmatisierung der Krankheit ein essentieller Schritt.

Stigmatisierung und Ausgrenzung

Für diejenigen, die mit dem Virus leben, hat die mangelnde Aufklärung fatale Konsequenzen. Die Angt vor Ausgrenzung ist enorm. “Immer noch verlieren Menschen mit HIV ihre Arbeit, weil man dort völlig unberechtigt Angst hat, dass der Betroffene seine Kollegen ansteckt,” kritisiert Chatzomorakis. Die Rechtsabteilung von Kentro Zois bearbeit derzeit eine ganze Reihe solcher Fälle.

Rafael Bilidas ist einer von wenigen Betroffenen, die offen über die Krankheit sprechen

Noch 2013 erließ der damalige Gesundheitsminister Adonis Georgadis einen Erlass, mit dem die Polizei nach eigenem Ermessen Jagd auf potenziell HIV-Positive im Rotlichtmilieu machen konnte. Daraufhin kam es zu Verhaftungen. Diejenigen, die tatsächlich positiv waren, wurden mit Foto und Namen in der Zeitung veröffentlicht. Einige Medien stigmatisierten weiter und errechneten, dass es zwischen diesen Frauen zu sexuellen Kontakten mit etwa 4000 Männern gekommen sei. Kein Wort dabei von der Verantwortung der Freier selbst, sich vor HIV und anderen Geschlechtskrankheiten zu schützen.

Unter der heutigen Regierung findet diese Diskriminierung nicht mehr statt. Trotzdem lebt der überwiegende Großteil der HIV-Positiven versteckt und in Angst davor, entdeckt zu werden. Nur wenige Betroffene, wie Rafael, trauen sich, offen über ihr Leben mit dem Virus zu reden. Es sei Zeit, endlich Gesicht zu zeigen – auch in den Medien. Früher hätte man HIV-Positive nur anonym gefilmt, doch das habe das Stigma nur verstärkt. “Die Wissenschaft hat beim Thema HIV und AIDS große Fortschritte gemacht. Es wird Zeit, dass die Gesellschaft folgt. Deswegen ist es wichtig, dass wir offen über HIV und ein Leben mit HIV reden.”