Wer ist Jair Messias Bolsonaro?

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Er hat vor wenigen Wochen ein Attentat überlebt, am Sonntag gilt er als Favorit auf das Präsidentenamt. Für was der vermeintliche “Trump Brasiliens“ eigentlich steht, lässt sich nur erahnen.

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Wahl in Brasilien

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Ex-Militär polarisiert bei Wahl in Brasilien

Zweimal täglich berichtete das Albert-Einstein-Krankenhaus in São Paulo in den letzten Wochen über den Gesundheitszustand des Kandidaten Jair Messias Bolsonaro. Anfang September war der bei einer Wahlkampfveranstaltung von einem offenbar geistig Verwirrten mit einem Messer attackiert und lebensgefährlich verletzt worden. Zwar kann Bolsonaro seitdem nicht seine berüchtigten öffentlichen Auftritte hinlegen, bei denen er polemische Attacken gegen den politischen Gegner – sprich: Brasiliens Linke und Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von der linken Arbeiterpartei – Partido dos Trabalhadores (PT) – ritt. Doch seine Leidenszeit hat ihn offensichtlich noch beliebter gemacht. Seit der Attacke legte er in Umfragen von knapp über 20 auf nun über 30 Prozent zu. Sein Sieg bei den Präsidentschaftswahlen wird immer wahrscheinlicher.

Für seine Anhänger ist Bolsonaro schlicht “o mito”, ihr “mythischer Held”, der verhindern soll, dass Brasiliens Fahne einmal rot und ihre Heimat ein zweites Kuba oder Venezuela werden könnte. Der eher auf Gesten denn auf Worte setzende Bolsonaro verdeutlicht dies gerne dadurch, dass er auf Puppen einschlägt, die Ex-Präsident Lula da Silva darstellen. Oder er spreizt seine Finger zu einem Revolver. Peng-peng, der linke Erzfeind wird abgeschossen.

Für seine Anhänger ist er ein “mythischer Held”…

Lange Zeit hat das Polit-Establishment den 63-jährigen Ex-Fallschirmjäger als Clown abgetan. Seit Anfang der 1990er-Jahre sitzt er im Parlament, ein typischer Hinterbänkler. Durch konstruktive Redebeiträge oder Gesetzesinitiativen fiel er nie auf, dafür durch unschöne Verbalattacken. Einer PT-Abgeordneten rief er zu, sie sei “so hässlich, dass sie es nicht einmal verdiene, vergewaltigt zu werden”. Mehrfach musste er sich vor Gericht verantworten, was ihn jedoch nicht bremste. Auch Homosexuelle attackiert er gerne, lieber einen toten als einen schwulen Sohn, sagte er einst. Er ist kein guter Redner, doch er kann böse austeilen.

Sein Votum für die Amtsenthebung der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff (PT), die während der Diktatur (1964-85) brutal gefoltert wurde, widmete er im April 2016 dem Folterer Carlos Alberto Brilhante Ustra. Der quälte während der Herrschaft der Militärs rund 40 Oppositionelle zu Tode – und ist das große Vorbild für den Reservemilitär Bolsonaro. Auch dessen Fans feiern die Diktatur – was seien ein paar Hundert tote Oppositionelle gegen das derzeitige Chaos mit jährlich über 60.000 Ermordeten, fragen sie.

Beliebt trotz Widersprüchen

Schuld an der heutigen Misere und der grassierenden Korruption hätten Lula und die PT. Lange war der Ruf nach Lulas Verhaftung Bolsonaros zugkräftigstes Argument. Seit April sitzt Lula nun wegen Korruption und Geldwäsche hinter Gittern, am 1. September untersagte ihm das Oberste Wahlgericht die Kandidatur. Nun tritt Lulas Ersatzmann Fernando Haddad, Ex-Bildungsminister und einst Bürgermeister von São Paulo, für die PT an. Doch obwohl Haddad einen Großteil von Lulas Stimmen erbt, liegt er weiterhin fünf bis zehn Prozentpunkte hinter Bolsonaro. Dem ist es geglückt, den anderen rechten Kandidaten wie Geraldo Alckmin (PSDB) und Henrique Meirelles (MDB) scharenweise die Wähler zu stibitzen.

… seine Kritiker werfen ihm Rassismus, Homophobie und schlicht Dummheit vor.

Konkrete Ideen für Brasiliens gigantische Probleme hat Bolsonaro jedoch kaum zu bieten. Er habe keine Ahnung von Wirtschaft, man möge doch bitte den liberalen Ökonomen Paulo Guedes fragen. Der sogenannte “Chicago-Boy” soll sein Wirtschaftsminister werden. Die öffentlichen Schulen will Bolsonaro dem Militär unterstellen, der explodierenden Gewalt setzt er die Bewaffnung der “guten Bürger” entgegen, während Polizisten für jeden getöteten Banditen Prämien erhalten. Zudem mag er traditionelle Familienwerte – obwohl er selbst zum dritten Mal verheiratet ist. Das korrupte Polit-Establishment will er ausmisten – während seine drei Söhne, wie er, Berufspolitiker sind. Gemeinsam hat man Dank der Abgeordnetensaläre ein Millionenvermögen aufgebaut.

Wissen aus Comic-Heften

Solche Widersprüche stören seine Fans nicht. Das erinnert an sein Vorbild, US-Präsident Donald Trump. Doch Bolsonaro ist kein politisches Alpha-Männchen wie der “Selfmade-Milliardär” Trump oder Russlands Wladimir Putin. Wird er nach seinen rassistischen, homophoben oder frauenfeindlichen Äußerungen gefragt, rudert er zurück. Alles nur ein “Scherz”, ein Missverständnis, sagt er dann unschuldig. Vom Krankenbett aus klagte er zuletzt weinend, doch nie jemandem etwas zuleide getan zu haben. Ob die Tränen zum kalkulierten Wahlmodus gehörten?

Viele seiner Kritiker halten Bolsonaro für “dumm”, sein Wissen habe er wohl aus Comic-Heften. Der Sklavenhandel sei einst nicht von den Portugiesen, sondern den Afrikanern selbst betrieben worden, sagte er zuletzt. Auch sein Vize, der Reservegeneral Antonio Hamilton Martins Mourão (64), liebt Derartiges: Bereits 2017 hatte er offen mit einem Putsch der Militärs gedroht. “Wir haben die Trägheit von der indigenen Kultur geerbt, während die Trickserei vom Afrikaner kommt”, sagte Mourão nun. Während Menschenrechtsgruppen protestieren, jubeln Bolsonaros Anhänger in den Sozialen Medien. Der Feldzug gegen die “politische Korrektheit” gefällt und die Kritik des Establishments ist der ultimative Ritterschlag für ihn.

Wichtigster Gegner Bolsonaros: Fernando Haddad

Reale Chancen auf die Macht?

Brasilianer mögen keine Radikalen, deshalb könne Bolsonaro nicht gewinnen, versuchten Experten lange Zeit zu beruhigen. Ohne Wahlkampfgelder und Sendezeit für die TV-Spots sei er den großen Parteien unterlegen, prophezeiten sie. Doch Dank des Attentats bestimmte Bolsonaro die Nachrichten der letzten Wochen. Man müsse sehen, ob er geläutert und versöhnlicher nach dem Attentat sei, bemerkten nun Polit-Beobachter. Doch auch aus dem Krankenhaus heraus bewies Bolsonaro sein Sendungsbewusstsein. Alles andere als sein Sieg sei nicht denkbar, eine Niederlage ihm nur durch Wahlfälschungen zuzufügen. In diesem Fall stünde das Militär bereit, drohte er. 

Und aus der Wirtschaft kam bereits Zustimmung zu Paulo Guedes’ Plänen zur Privatisierung und Verschlankung des Staates. Man sollte Bolsonaro daher nicht unterschätzen oder hoffen, dass im schlimmsten Fall der Kongress einen zu radikalen Präsidenten Bolsonaro ausbremsen würde. Denn auch dort gefallen seine Ideen. Auf die Repräsentanten des Agro-Business, der Waffenlobby sowie die ultra-religiösen Kräfte kann er zählen. B wie “Boi” (Rind), wie “Bala” (Kugel) und “Bíblia” (Bibel) – die mächtige “BBB-Fraktion” war schon maßgeblich am Sturz Dilma Rousseffs beteiligt. Gegen sie ist das Regieren nahezu unmöglich. Mit ihnen aber könnte selbst ein Hinterbänkler wie Bolsonaro seine Ideen verwirklichen.