Psychosomatik: Wenn die Seele Bauchweh hat

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Kopf- und Bauchweh, Schwindel- und Ohnmachtsanfälle. Körperliche Symptome können auch seelische Ursachen haben. Wenn Kinder unter psychosomatischen Schmerzen leiden, dann oft deshalb, weil der Leistungsdruck zu groß ist.

Als ich zehn Jahre alt war, wurden die Bauchschmerzen so schlimm, dass ich eine Woche im Krankenhaus verbracht habe. Nach zahlreichen Untersuchungen war klar: Körperlich war ich völlig gesund. Deshalb saß ich am Ende meiner Krankenhauszeit vor einer Psychologin. Meine Bauchkrämpfe seien psychosomatischer Natur, hieß es.

Psychosomatisch heißt, dass körperliche Schmerzen, wie Bauchweh, Kopfschmerzen, aber auch Schwindel- und Ohnmachtsanfälle oder Erbrechen keine organische, sondern eine seelische Ursache haben. Nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder können betroffen sein.

Kinder und Jugendliche, die unter solchen Symptomen leiden, werden auf der interdisziplinären Station der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der RWTH Aachen aufgenommen. Ihre Schmerzen rühren häufig von der Angst her, den Anforderungen des Alltags nicht gewachsen zu sein.

“Wir haben viele Patienten hier, die hohe Ansprüche an sich selbst haben, viel von sich verlangen und an ihren eigenen Erwartungen scheitern”, sagt Beate Herpertz-Dahlmann, Leiterin der Klinik. Manche seien mehrere Monate lang nicht mehr in der Schule gewesen.

Mehr dazu: Whatsapp, Instagram und Co.: Soziale Medien setzen Kinder unter Druck

Erst Schul- dann Freizeitstress

Zu dem anstrengenden Schulalltag gesellt sich noch der Freizeitstress. Nach der Schule geht es zum Sport, danach zum Musikunterricht, oft an mehreren Tagen in der Woche.

Laut einer britischen Studie haben 88 Prozent der von den Forschern untersuchten Grundschüler an vier bis fünf Tagen in der Woche einen randvollen Terminplan. Selbst wenn die Hobbies Spaß machen, warnen die Wissenschaftler dennoch vor dem Druck und der Erschöpfung, die ein solcher Alltag mit sich bringt.

Wenn es um die Gesundheit von Kindern geht, sind in erster Linie die Eltern gefragt. Die wollen natürlich meist nur das Beste für die Kleinen. Ihre Sprösslinge sollen die bestmöglichen Voraussetzungen für ihr späteres Berufsleben haben. Deshalb wird der Nachwuchs aufs Gymnasium geschickt, selbst wenn er dort eigentlich nicht hingehört. Außerdem kann es ja wohl nicht schaden, wenn die Kleinen auch noch sportlich, musikalisch oder anderswie künstlerisch versiert sind. Oder?

Kinder in Stuttgart erinnern anlässlich der Uraufführung der Oper “Momo” daran, was oft fehlt: Zeit

Herpertz-Dahlmann sagt, man mache es sich zu einfach, wenn man nur die Eltern für den Druck, den die Kinder spüren, verantwortlich zeichne. “Ich kenne viele Eltern, die ihre Kinder überhaupt nicht unter Druck setzen. Aber dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man hauptsächlich an dem gemessen wird, was man leistet, das spüren auch schon Kinder.”

Zu wenig Zeit, um zuzuhören

Laut der aktuellen KiGGs-Studie, einer Langzeitstudie des Robert Koch-Instituts zur Kinder- und Jugendgesundheit in Deutschland, leiden etwa 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter verschiedenen psychischen Störungen. Seit Beginn der Studie im Jahr 2003 hat sich diese Zahl nicht merklich verändert. 

Viele Ärzte haben jedoch einen anderen Eindruck, wenn es um psychosomatische Erkrankungen geht. “Die Zahl der Kinder, die wegen einer psychosomatischen Störung Hilfe suchen, ist merklich gestiegen”, sagt Herpertz-Dahlmann.

Der Kinderarzt und Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, stellt fest, dass viele Eltern selbst kaum mehr fähig sind, ihre Kinder zu unterstützen. Mein Vater sagte mir zwar auch immer, ich solle mich für die guten Noten in der Schule nicht so unter Druck setzen. Doch seine Worte hatten auch deshalb wenig Wirkung, weil er sich selbst ebenfalls vor allem an seinen guten Leistungen im Job maß.

Oft fehle es auch an Unterstützung innerhalb der Familie, durch Oma und Opa beispielsweise. “Deshalb wird viel häufiger als früher Hilfe in Anspruch genommen.”

“Wir brauchen mehr Zeit für Patienten mit psychosomatischen Störungen”, sagt Thomas Fischbach

Kinderärzte stehen immer wieder vor einem Dilemma, gerade wenn es um psychosomatische Beschwerden geht. Bei Schmerzen jedweder Art sei es natürlich erstmal wichtig, eine organische Ursache auszuschließen, sagt Fischbach.

Um die Psyche des jungen Patienten zu erkunden braucht es allerdings vor allem eines: Zeit. “Die wenigsten Menschen plappern einfach darauf los, wenn es um seelischen Belastungen geht”, sagt Fischbach. Deshalb sei Vertrauen wichtig – doch das erfordert Ruhe und Geduld. Ein Luxus, den sich viele Kinderärzte nicht leisten können, denen ein volles Wartezimmer im Nacken sitzt. 

Ohne Eltern geht es nicht

In der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Aachen gibt es eine Station, die sich ausschließlich mit psychosomatischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Kinderärzte arbeiten dort Hand in Hand mit Psychotherapeuten.

Zwei Dinge seien wichtig, um den Kindern zu helfen, sagt Herpertz-Dahlmann. “Wir schauen einmal, was im Umfeld der Kinder verändert werden muss.” Eventuell müsse der Druck in der Schule reduziert oder ein, zwei Sport- oder Musikaktivitäten von der Liste gestrichen werden, um den jungen Patienten wieder Luft zu verschaffen.

“Außerdem lernen die Kinder bei uns, wie sie ganz konkret mit ihren Schmerzen umgehen können”, beschreibt Herpertz-Dahlmann die zweite Säule ihrer Behandlungsstrategie. Trotz der Bauchschmerzen wenigstens für zwei Stunden in die Schule zu gehen, ist bereits ein Erfolg.

Die Eltern sind natürlich besonders gefragt. Vor allem dann, wenn ihre Kinder krank sind. Herpertz-Dahlmann erzählt, dass die Eltern eng in die Therapie ihrer Kinder eingebunden sind. 

In speziellen Elterngruppen erfahren die Erwachsenen nicht nur, wie sie ihren Söhnen und Töchtern beistehen können. Auch ihre Ängste und Überforderungen finden hier Gehör. “Wenn sie Mutter oder Vater eines Kindes sind, das seit Monaten nicht mehr in die Schule geht und das Schmerzen hat, ist das auch für die Eltern sehr belastend.”

Fischbach und Herpertz-Dahlmann sind sich einig, dass Eltern psychosomatischen Störungen ihrer Kinder am besten vorbeugen können, wenn sie wissen, was in ihren Sprösslingen vorgeht. Miteinander sprechen, zuhören, die Sorgen und Ängste der Kinder ernst nehmen. Auch das braucht Zeit. Und vielleicht ein Hobby im Verein weniger. 


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    Autorin/Autor: Elizabeth Grenier (bb)