Kommentar: Der bewusste Wandel der Angelique Kerber

0
379

Angelique Kerber hat sich mit dem Wimbledon-Sieg einen Kindheitstraum erfüllt. Zu verdanken hat die 30-Jährige diesen Erfolg ihrem Mut, neue Wege zu beschreiten, kommentiert DW-Reporter Jörg Strohschein.

Die Augen wirkten traurig, der Blick war leer. Es schien nicht mehr weiterzugehen. Angelique Kerber war am Tiefpunkt angelangt. Gerade einmal elf Monate sind seit diesem Zeitpunkt vergangen. Elf Monate, in denen sich die Welt von Kerber vollständig auf den Kopf gestellt hat. Damals saß sie wie ein Häufchen Elend bei der Pressekonferenz bei den US Open. Sie war erneut frühzeitig ausgeschieden und beendete mit feuchten Augen eine Grand-Slam-Saison zum Vergessen.

Sie war von Weltranglisten-Platz eins aus dem Jahr 2016 bis auf Platz 21 gefallen. Dabei hatte sie sich ein Jahr zuvor so mühsam hochgearbeitet, erstmals ein Grand-Slam-Turnier, die Australian Open, gewonnen, später dann noch die US Open. Sie stand bei fünf der sechs wichtigsten Turniere im Finale. Dann folgte der sportliche Absturz, mit dem niemand gerechnet hatte – am wenigsten sie selbst. Alles schien ihr durch die Finger zu rinnen. 

Neuer Trainer, keine Schuldzuweisungen

DW-Reporter Jörg Strohschein

Alles, was sie noch wenige Wochen zuvor so auf dem Platz auszeichnete, war verschwunden: das Selbstbewusstsein, die Gier, das Selbstverständnis, die Sicherheit, die Kampfkraft. Aber spätestens in diesem Moment trat die Eigenschaft zu Tage, die Angelique Kerber zu einem Spitzen-Tennis-Profi, zu einer Grand-Slam-Siegerin, gemacht hatte.

Sie ist eine Kämpferin, die auch in aussichtslosen Momenten nicht aufgibt. Nicht auf dem Tennisplatz. Und auch nicht daneben. Sie musste ihr Umfeld verändern und zögerte nicht. Kerber nahm sich mit Wim Fisette einen neuen Trainer. 

Schuldzuweisungen an ihren Coach Torben Beltz, der sie bis auf eine rund zweijährige Pause ihr ganzes Sportlerleben begleitet hatte, gab es nicht. Vielmehr schien es ihr menschlich überaus leid zu tun. Aus professioneller Sicht war es aber die richtige Entscheidung. Die 30-Jährige brauchte neue Impulse und sie verschaffte sie sich. Vielleicht im letzten möglichen Moment.

Nochmal heraus aus der Komfortzone 

Und dass sie sich aus ihrer Komfortzone herausbewegt hat und trotz ihres recht fortgeschrittenen Sportler-Alters noch einmal neue Wege beschreiten wollte, ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Zumal Kerber allein durch ihr Preisgeld schon zum damaligen Zeitpunkt über 20 Millionen Dollar verdient hatte und es gelassener hätte angehen lassen können.

Aber Kerber hat das Feuer, die Energie und den Willen, die einen echten Champion ausmachen. Sie will noch Titel sammeln. Und sie möchte sich vor allem ihre Träume erfüllen. So wie heute. Ihre Schwächephase hat sie genutzt, um sich selbst zu reflektieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Das Ergebnis dieses keinesfalls selbstverständlichen Mutes zum Wandel kann sich sehen lassen.