Kinder mit Kopftuch – Verbot oder Dialog?

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Mädchen unter 14 Jahren soll das Kopftuch in der Schule verboten werden, das plant die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Die DW hat einen Schulrechtsexperten und eine Islamlehrerin dazu befragt.

“Warum tragen Sie kein Kopftuch?” – diese Frage hat Yasemin Okutansoy von Jungen gehört, deren Mütter Kopftücher tragen. Sie ist Muslima und unterrichtet Englisch und islamische Religion an einer Hauptschule in Bonn. Den Schülern hat sie erklärt, dass sie kein Kopftuch tragen muss. Sie hat die entsprechenden Stellen im Koran mitgebracht und mit ihnen analysiert: Das Tragen eines Kopftuchs hatte aus ihrer Sicht zunächst vor allem kulturelle Gründe in einer Region, in der man sich vor Hitze und Sand schützen wollte. Man könne das natürlich anders sehen, “wir sind ja frei in unserem Denken”. Aber jeder müsse die Meinung der anderen akzeptieren, niemand dürfe zum Tragen eines Kopftuchs gezwungen werden.

Und die Mädchen? An ihrer Schule mit etwa 70 Prozent muslimischen Schülerinnen und Schülern, schätzt Okutansoy, tragen ein bis drei Schülerinnen pro Klasse ein Kopftuch, auch Mädchen unter 14 Jahren. Nach ihrer Beobachtung tragen sie es freiwillig, “auch Schülerinnen, deren Mütter gar keine Kopftücher tragen”.

Islamlehrerin Yasemin Okutansoy erklärt ihren Schülern und Schülerinnen, warum ein Kopftuch keine Pflicht ist

Das Kopftuch sei Teil einer Selbstfindungsphase und in Mode gekommen, stellt sie fest: “Die Mädchen mit Kopftüchern schminken sich, machen das Kopftuch schön, haben die Haare darunter hochgesteckt.” Als die Eltern von Yasemin Okutansoy in den 1960er Jahren aus der Türkei nach Deutschland kamen, war das Kopftuch in türkischen Schulen, Universitäten und Ämtern verboten, das habe sich auch auf türkische Familien in Deutschland ausgewirkt. Jetzt ändere sich das, sagt sie. Zudem lebten manche Familien aus dem arabischen Raum oder Nordafrika in einer anderen Tradition.

Ein Verbot wäre “nicht durchsetzbar”

“Die Zahl der Schülerinnen, die Kopftuch tragen, nimmt zu”, meint auch Thomas Böhm. Er ist Dozent für Schulrecht am Institut für Lehrerfortbildung in Essen und schult Lehrer ebenso wie Schulleiter.

Schulrechtsexperte Thomas Böhm

Es gebe die “erkennbare Tendenz, dass diese Schülerinnen immer jünger werden”, sagt er, Lehrer und Schulleiter würden darüber sprechen. Genaue Zahlen aber hat niemand. Alexander Spelsberg vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Nordrhein-Westfalen, in dem Erzieherinnen und Erzieher ebenso vertreten sind wie Lehrerinnen und Lehrer, sagt der DW, ihm seien keine Fälle bekannt von Kindern, die in Kitas Kopftücher tragen. Das heiße natürlich nicht, dass es sie nicht gebe.

Ein Kopftuchverbot an Schulen hält Thomas Böhm für “nicht durchsetzbar”. Bei einem Verstoß habe die Schule kaum Optionen: Sie könne zwar die Schülerin nach Hause schicken und die Eltern zum Gespräch bitten. Wenn aber keine Einsicht da sei, seien die Möglichkeiten schnell ausgeschöpft: “Eine Parallelklasse wäre sinnlos, eine Entlassung von der Schule käme nicht infrage, weil sie nicht verhältnismäßig wäre.” Es bliebe nur ein schriftlicher Verweis, der aber von Eltern ignoriert werden könnte.

Religionsfreiheit und Erziehungsrecht

Lehrerin Yasemin Okutansoy möchte ihren Schülerinnen gar nicht vorschreiben, was sie anziehen sollen: “Ich habe ja auch nichts gegen Mädchen mit einer Punkfrisur”, sagt sie. Auch bei christlichen Mädchen aus Baptisten-Familien, die keine Hosen, sondern nur lange Röcke tragen dürften, mische man sich schließlich nicht ein: “Wir haben Religionsfreiheit und jeder muss selbst entscheiden, wie er gekleidet sein möchte.”

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Auch Thomas Böhm sagt, dass Eltern sich auf die Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht berufen können. Da es in Deutschland auch Lehrerinnen erlaubt sei, ein Kopftuch zu tragen, sei ein Kopftuchverbot für Schülerinnen schwer zu regeln: “Es ist juristisch aus meiner Sicht eine nicht lösbare Aufgabe.” Eine Debatte über religiöse Symbole oder störende Faktoren durch unterschiedliche Kulturen in der Schule sei wichtig, sagt Böhm, aber das Kopftuchverbot “vielleicht nicht der günstigste Ansatzpunkt”.

Gespräche und Wertevermittlung der Schule

In einer Frage sind sich der Schulrechtsexperte und die Islamlehrerin einig: Entscheidend ist das Gespräch mit den Eltern. Häufig lasse sich so eine Einigung erzielen. “Diejenigen, die eine aggressiv abwehrende Haltung einnehmen, sind nur eine kleine Minderheit”, sagt Böhm. In diesen Fällen hofft er auf die Erziehungsarbeit der Schule. Sie habe viele Jahre Zeit, ihre Werte zu vermitteln: “Was sich durchsetzt, wird man sehen”.

Yasemin Okutansoy sagt, es gebe viel wichtigere Fragen und Sorgen als ein Kopftuchverbot: etwa physische oder psychische Gewalt gegen Kinder. Beim Kopftuch erlebt sie, dass Mädchen es auch wieder ablegen, wenn sie es nicht mehr tragen wollen. An einer Stelle aber ist auch die Islamlehrerin für strengere Regeln: “Man sollte die Vollverschleierung verbieten, wo man das Gesicht nicht erkennt und nicht weiß: Mit wem rede ich überhaupt?” Ihre Schule hat gehandelt: “Bei uns gibt es einen Beschluss, dass wir keine Schülerinnen mit Vollverschleierung aufnehmen, aber auch keine Mütter mit Vollverschleierung die Schule betreten dürfen.”