Kommentar: Von freiem Handel und falschen Freunden

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Es geht um viel mehr als um Strafzölle. Es geht um die Frage, wie die Welt künftig miteinander umgeht. Jeder für sich oder doch lieber miteinander? Henrik Böhme fragt: Schlägt jetzt die Stunde der Globalisierungsgegner?

Man hat schon lange nichts mehr von ihnen gehört oder gesehen: Zu Tausenden und Abertausenden waren sie in den vergangenen Jahren auf Deutschlands Straßen unterwegs mit ihren “Stoppt TTIP!”-Schildern. Das geplante transatlantische Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten – es war ein gefundenes Fressen für die Demonstranten. Für alles das, was schief läuft im System: der entfesselte Kapitalismus, die ungehemmte Profitgier, den sich verschärfenden Nord-Süd-Konflikt, die sich weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich und für den in bestimmten Kreisen schwelenden Anti-Amerikanismus. Für all das musste TTIP herhalten.   

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Es ging um diffuse Ängste: vor einem Durchmarsch des Kapitalismus amerikanischer Prägung, der die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft hinwegfegt. Vor ominösen Schiedsgerichten, die man in Deutschland bis dato nur vom Hörensagen kannte. Ein einziger Fall mit einem Bezug zu Deutschland wird gerade vor einem solchen Gericht verhandelt: Es ist eine Schadensersatzklage des Energiekonzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik wegen der zwangsweisen Stilllegung mehrerer Kernkraftwerke. Das mit den Schiedsgerichten hätte man klären können – und über vieles andere (etwa zur Transparenz solcher Verhandlungen) wurde eine Debatte angestoßen.

Weniger Handelshürden waren das Ziel

Aber was TTIP vor allem sollte: Handelsbarrieren auf beiden Seiten des Atlantiks abbauen, Zölle im Warenverkehr abschaffen! Mittlerweile kennen alle den Steuersatz für Autos, die aus Deutschland in die USA geliefert werden: 2,5 Prozent. Und in die andere Richtung: Zehn Prozent. Solche Dinge sind es, die einen Mann wie Donald Trump erzürnen. Dass es nun kein Freihandelsabkommen gibt, das dürfen sich die Demonstranten auf ihre Fahne schreiben. Ihr zorniger wie kurzsichtiger Protest hat einen nicht unbedeutenden Anteil daran, dass es mit der Obama-Administration keinen TTIP-Deal mehr geben konnte. 

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Nur mal angenommen, es gäbe das Abkommen heute. Freilich hätte ein US-Präsident Trump auch dieses Abkommen kündigen oder neuverhandeln können, wie er es gerade mit dem nordamerikanischen Pendant namens Nafta tun lässt. Aber eben: Verhandeln! Nicht einfach: Strafzölle verhängen. So aber wird ein Donald Trump, seines Zeichens Deal-Maker, Anti-Globalist und Anti-Freihändler zur späten Ikone der TTIP-Protestler und Globalisierungskritiker. Man darf gespannt sein, mit welchen Schildern sich die ersten wieder auf die Straße trauen, sollte Donald Trump irgendwann den Weg nach Deutschland finden. Vorschlag: Danke, Donald!

15 Millionen Jobs

Freilich ist die Aufregung um die Strafzölle extrem groß gewesen in den vergangenen Tagen. Schnell wurde wieder die ganz große Keule vom Handelskrieg ausgepackt, die düstersten Szenarien an die Wand gemalt. Dabei stimmt, worauf Donald Tusk, der EU-Ratspräsident, dieser Tage hingewiesen hat: Die aktuelle Auseinandersetzung betrifft gerade mal 1,5 Prozent des transatlantischen Handels. Das ist Grund genug, die Sache mit Ruhe zu betrachten. Viel wichtiger sind die 15 Millionen Jobs, die auf beiden Seiten des Atlantiks an einem regen wirtschaftlichen Austausch hängen. Und eines hat Donald Trump auch geschafft: Er hat Europäern den Spiegel vorgehalten, und deutlich gemacht, dass sie durchaus keine lupenreinen Freihändler sind, wie sie so gerne von sich behaupten.  

Es wird nun spannend, wie die Reise weitergeht: Gewinnen die Protektionisten die Oberhand, geht die Ära des Freihandels zu Ende? Wird die Globalisierung zurückgedreht? Bitte nicht vergessen: Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen der EU und den USA steht für die Hälfte des Weltsozialprodukts. Will man das aufs Spiel setzen? Andere zeigen gerade, dass freier Handel sehr wohl eine Zukunft hat. Die asiatisch-pazifische Region hat sich Mitte Januar auf ein Freihandelsabkommen geeinigt (ohne die USA, weil Trump nicht mehr mitmachen wollte, und auch ohne die Chinesen, die wollte man nicht am Tisch haben). Und am Mittwoch dieser Woche haben auch 44 afrikanische Länder einen Vertrag über eine Freihandelszone unterschrieben.

Der Aufschub, den die Amerikaner den Europäern nun gewährt haben, er sollte dringend genutzt werden. Und zwar von den Europäern: Es liegt an ihnen, ein Zeichen zu setzen. Sie sollten auf die USA zugehen. Und wenn schon TTIP derzeit nicht kommen kann, dann vielleicht ein Abkommen, mit dem Trump und die Europäer leben können. Mal sehen, was die TTIP-Gegner dann machen. Denen fehlt ja im Moment ein Feindbild. Dafür haben sie einen neuen Freund direkt im Weißen Haus. 

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