Merkel: “Nicht mit dem Kopf durch die Wand”

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Zum Politischen Aschermittwoch tritt auch die Kanzlerin auf. In ihrer Heimat wirbt sie für die Inhalte des Koalitionsvertrages. Und lässt nur wenige Spitzen auf die Konkurrenz los.

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Klartext beim politischen Aschermittwoch

Werner Kuhn ist ein Naturtalent. Mit Fliege und Zylinder steht er auf der Bühne im “Tennis- und Squash-Center” von Demmin im Nordosten Deutschlands und haut einen Reim nach dem anderen raus. Von der “Sozi-Chaotentruppe”. Vom Kampf gegen den IS, “wir werden Euch kriegen, Ihr werdet die Freiheit nicht besiegen.” Und “wer das Gastrecht bricht in unsrem Haus / der fliegt achtkantig wieder raus. / Man sollte sie in Ketten legen / und ab in die Heimat, Straße fegen.”

Kuhn ist CDU-Abgeordneter im Europäischen Parlament. Heute Abend aber spielt er den Einpeitscher beim nachkarnevalistischen Politkarneval. Er spricht beim Politischen Aschermittwoch der CDU in Mecklenburg-Vorpommern. Was vor vielen Jahrzehnten in bayerischen Bierhäusern mit deftigen Reden und viel Bier begann, gibt es heutzutage bundesweit. Und bei allen Parteien. Sogar im ländlichen Nordosten, der Heimat von Angela Merkel.

Werner Kuhn beim Politischen Aschermittwoch der CDU

Es ist ihr Heimspiel. Zum ersten Mal nach der Verständigung auf die Große Koalition ist die Kanzlerin im Land unterwegs, bei ihrem Landesverband in Demmin, gut 200 Kilometer nördlich von Berlin. “Schön wieder zuhause zu sein”, sagt sie. Zum 23. Mal begehen sie hier diesen Tag, zum 21. Mal sei sie dabei. In der Sporthalle, unter den Werbetafeln für Baustoffrecycling und Heizungsbau, den Optiker und Zahnarzt.

“Die schwarze Null”

“Noch nie gab es zum Aschermittwoch keine neue Regierung”, stellt sie ernst fest. Deshalb müsse sich jede Partei fragen, was sie für das Land tun könne. Und Politiker sollten “dienen” und nicht “herummosern”. “Es ist nicht die Zeit für mit-dem-Kopf-durch-die-Wand, sondern es ist die Zeit für Vernunft und Verstand.” Die Reimform war diesmal wohl ein Versehen.

Knalliger wird’s nicht mit Merkel. Es gibt ein, zwei Seitenhiebe auf die Sozialdemokratie, die nun zwar das Finanzministerium bekämen, aber keine neuen Schulden machen dürften. Auf die “schwarze Null” werde die Union schon achten.

FDP, Linke und Grüne kommen in ihrer Rede erst gar nicht vor, auch nicht die AfD. Dabei waren die Rechtspopulisten in Merkels Wahlkreis, den sie seit 1990 acht Mal in Folge gewann, zuletzt zweitstärkste Kraft.

Angela Merkel beim Politischen Aschermittwoch der CDU

Nein, Merkel appelliert an die eigene Partei, das Erreichte nicht kleinzureden. In der CDU werde bedauerlicherweise kaum über die Inhalte des Koalitionsvertrages diskutiert. Und dann spricht sie über Ärzte für den ländlichen Raum, Wertschätzung für Pflegekräfte, schnelles Internet für Berufsschulen und den Kampf gegen die Kriminalität in Grenznähe. Heiße Themen in ihrer Heimat.

Wirtschaft und Europa

Und Merkel rüffelt jene Christdemokraten, die den Verlust des Finanzministeriums bemängeln. Jahrelang sei über sinkendes wirtschaftspolitisches Profil der Partei geschimpft worden. Nun übernehme die CDU das Wirtschaftsministerium und werde daraus “wieder eine Stätte machen, in der man stolz ist auf Ludwig Erhard” – und erneut gebe es Kritik.

Und Merkel geht betont auf Europa ein, auf gemeinsames Engagement bei Entwicklungshilfe, bei der Bekämpfung von Fluchtursachen, bei der Außen- und Verteidigungspolitik. “Nicht gegen, sondern mit der NATO”, so Angela Merkel.

Ihr Fazit: “Wenn jeder dies alleine macht, werden wir nicht erfolgreich sein.” Europa müsse eine größere Rolle spielen. “Wir können das schaffen, und wir werden das schaffen. Und wir müssen bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.”

“Ich bin überzeugt: Wir schaffen das”, bekräftigt Merkel Momente später noch einmal. Da ist, nach 20 Minuten, ihre Rede auch schon vorbei. Applaus, die Zuhörer erheben sich. Aber der Begriff “standing ovations” ginge an der ruhigen Gemütslage der Menschen hier im Nordosten der Republik vorbei.

Dann gibt es das Pommernlied und das Mecklenburglied. Die Barther Blasmusik, gewiss auch seit über 20 Jahren dabei, gibt alles. Textzettel liegen aus, die Halle singt mit: “… Bis in dir ich wieder finde meine Ruh, send ich meine Lieder dir, o Heimat, zu!” Und schon entschwindet die Kanzlerin.

“Sie ist eine große Inspiration für alle jungen Frauen”, sagt Studentin Charlotte Heise, die kein CDU-Mitglied ist, wie sie betont. Merkel sei “klar in ihrem Kurs”, der brauche gar nicht konservativer zu werden. Auch Silvia Rabethge aus Schwerin äußert sich begeistert. Sie ist vor Jahren wegen Merkel in die CDU eingetreten, und ja, die Partei ist ihr konservativ genug. Von zehn Zuhörern bei einer kurzen Umfrage sagen zwei, dass kritische Fragen an den Kurs zur CDU gehörten, ganz gewiss auch bei der Flüchtlingspolitik. Aber, meint Jörg Miehe von der Insel Poel, die Christdemokraten stellten, anders als die Konkurrenz, nicht alle drei Wochen ihren Kurs in Frage.


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    “Nicht rummosern”

    Das Bierzelt ist nicht ihr natürliches Terrain, die Polemik sicher nicht ihre liebste Disziplin. Trotzdem spricht die Kanzlerin in Demmin in Mecklenburg-Vorpommern zum Politischen Aschermittwoch. Es sei “Aufgabe von Politik zu dienen und nicht rumzumosern.” Es sei nun “Zeit für Vernunft und Verstand”.


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    Nahles prophezeit Merkel-Ende

    Andrea Nahles sprach in Schwerte in Nordrhein-Westfalen. Dabei beschwor sie das nahende Ende der Ära Merkel. “Die Göttindämmerung hat begonnen. Sie wird bereits angezählt von der eigenen Partei”, so Nahles.


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    Abteilung Attacke

    Der designierte bayerische Ministerpräsident Markus Söder bläst zur Attacke: “Nach wie vor sind wir das einzige Land der Welt, in das man ohne Pass hinein-, aber nicht mehr hinauskommt”. Mehr hatte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer (r.) parat: “Tofu predigen, aber dann schnell an die Futter- und Fleischtöpfe kommen: Das sind die Grünen.” Und: “Der neue Draußenminister ist: Martin Schulz.”


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    Salz in die SPD-Wunde

    Auch der AfD-Co-Vorsitzende Jörg Meuthen keilt gegen die SPD. Die Sozialdemokraten näherten sich atemberaubendem Tempo einer Position, “in der sie mehr Mitglieder als Wähler” hätten. Den Zuhörern hat es gefallen.


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    Zwar nicht von einem Balkon, aber vom Bühnenrand giftet FDP-Chef Christian Linder. “Ich beobachte bei Markus Söder eine Veränderung seit einigen Jahren – die kann man feststellen an seinen Faschingskostümierungen: Der war mal Shrek, dann ist er als Edmund Stoiber aufgetreten und neuerdings verkleidet er sich nur noch als Monarch.” Immerhin hat CSU-ler Söder bald ein höheres Amt inne als Lindner…


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    Mit den eigenen Waffen schlagen

    Neben der SPD müssen auch die CSU und ihr Chef Horst Seehofer Attacken einstecken. “Jetzt haben sie vielleicht ihr Ziel erreicht: ein Heimatministerium in Berlin. Und Horst Seehofer wird dahin abgeschoben. So fühlt es sich an, wenn man abgeschoben wird!”, nimmt ihn der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck aufs Korn.


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    Eine Bootsfahrt, die ist lustig

    “Nur weil Christian Lindner einmal mit der Hand vom Balkon gegrüßt hat, ist er noch lange kein Genscher”, sagt Linken-Bundestagsfraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch. “Da fehlt nicht nur der gelbe Pullover.” Eine Anspielung auf die Winke-Bilder der Sondierungen im Herbst, die kein Vergleich zu Hans-Dietrich Genschers legendärem Auftritt auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag 1989 seien.


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    Mit angezogener Handbremse

    Etwas verdrießlich schaut der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz in sein Bierglas. “Nicht nur ein bayerischer Politiker hat wohl den Zenit seiner politischen Karriere überschritten, sondern wohl auch eine Frau aus dem Norden”, sagte Scholz in Anspielung auf CSU-Chef Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel. So ganz raus hat er den Dreh mit dem Poltern noch nicht.

    Autorin/Autor: Uta Steinwehr, Goran Cutanoski (Bild)