Kommentar: Merkel, die Frau hat Nerven!

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​​​​​​​Die Bundeskanzlerin will auf ihre Kritiker in der Partei zugehen, ein bisschen. Um bleiben zu können, was sie ist: Die Chefin. Die Chancen stehen gut, dass sie das schafft, findet Jens Thurau.

Soll man den Auftritt von Angela Merkel am Sonntagabend im “Zweiten Deutschen Fernsehen” nun bewundern, oder soll er den Beobachter fassungslos machen? Merkel blickt auf eine beispiellose Woche zurück: Sie hat sich mit den Sozialdemokraten auf eine Koalition verständigt, in der die CDU so gut wie alle relevanten Jobs in der neuen Regierung der SPD überlässt, außer dem Kanzleramt versteht sich.

Außenamt und Finanzministerium gehen an die SPD, obwohl doch die CDU die klare Wahlsiegerin bei den Bundestagswahlen im September war. Ein eigentlich spektakulärer Erfolg für die SPD, der die Sozialdemokraten aber nicht daran hindert, sich in aller Öffentlichkeit zu zerlegen. Auch die CDU ist nicht zufrieden: Es hagelt Kritik an Merkels Verhandlungsführung, so heftig wie selten in einer Partei, der die Treue zu ihren Vorsitzenden und schon gar ihren Kanzlern in die DNA  geschrieben ist.

DW-Korrespondent Jens Thurau

Und jetzt steht Merkel da und spricht einige Sätze von bewundernswerter Klarheit: Nur mit den sehr schmerzhaften Zugeständnissen an die SPD (“auch für mich”) sei es überhaupt möglich gewesen, sich zu einigen. “Zwölf Stunden haben wir nur über die Ressortverteilung gesprochen”, plaudert sie Interna aus, und wirkt dabei so, als habe sie das Ganze quasi unbeteiligt verfolgt. Fast nebenbei erteilt sie dann allen hysterischen Debatten in ihrer Partei eine Absage, inklusive der Mutmaßungen um die Zeit nach ihr: Sie will vier Jahre im Kanzleramt bleiben und hält auch nichts davon, den CDU-Vorsitz aufzugeben.

Unangefochten trotz aller Kritik

Immerhin: Dass es rumort in ihrer CDU, hat die Chefin dann doch mitbekommen. Sie kennt also die jungen, vornehmlich konservativen Parteifreunde wie Jens Spahn oder Julia Klöckner, die jetzt schon laut nach Erneuerung und klarem Profil rufen, nach all den quälenden Jahren, in denen Merkel als Parteichefin eigentlich SPD-Politik betrieben hat. Mal ganz pauschal erklärt sich die Kanzlerin nun bereit, die jungen Wilden bei der Postenvergabe in der neuen Regierung zu berücksichtigen. Dass Klöckner etwa Chancen auf das Landwirtschaftsministerium hat, war schon zuvor bekannt geworden. Aber schon dieses Zugeständnis der Chefin wurde von der Jungen Union mit lautem Jubel aufgenommen. So schnell kann Merkel die Ihren auf ihre Seite bringen. Anders ausgedrückt: So groß ist ihre Macht denn doch noch.

So bräsig der Auftritt Merkels auch wirkt: Kein Mensch außerhalb Deutschlands würde es verstehen, wenn es den Politikern auch diesmal nicht gelänge, eine Regierung auf die Beine zu stellen. Und die weidwund geschlagene SPD, von Wahlkatastrophe und internen Meucheleien an den Rand den Wahnsinns getrieben, braucht eben reiche Beute, um die Koalition überhaupt bei ihren Mitgliedern durchzusetzen. Also gibt Merkel nach, bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus. So ist das halt, signalisiert ihr stoischer Gesichtsausdruck. Die Frau hat Nerven!

Methode Merkel 

Die hat sie tatsächlich, das hat die Kanzlerin hundertmal bewiesen. Natürlich besteht die Gefahr, dass sie es mit ihrer Gelassenheit und dem kalten Realismus übertreibt. Aber wundern würde es mich auch nicht, wenn sie es auch jetzt noch einmal mit der Methode Merkel schafft: Die SPD sagt unter großen Schmerzen Ja zur Großen Koalition, die Gemüter beruhigen sich, Merkel spricht vielleicht mehr als bislang mit ihren Kritikern und bleibt im Gegenzug, was sie ist: Parteichefin und Kanzlerin, vier Jahre lang. Mal ehrlich: Das ist doch immer noch die wahrscheinlichste Variante, oder? Prickelnd ist das nicht, aber immer noch besser als das große Chaos mit dem Namen Neuwahlen.

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