Ukraine vor dem Machtwechsel?

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In der Ukraine wollen tausende Menschen gegen die Politik der Regierung auf die Straße gehen. Im DW-Interview äußert Oppositionspolitiker Michail Saakaschwili die Hoffnung, dass Präsident Poroschenko auf das Volk zugeht.

DW: Was erwarten sie von der Protestaktion am 17. Oktober in Kiew, bei der Tausende dem Aufruf Ihrer Partei folgen könnten, um gegen die Politik des Präsidenten und der Regierung zu demonstrieren?   

Michail Saakaschwili: Das ist der Beginn eines Prozesses, der sicher zu einem politischen Machtwechsel in der Ukraine führen wird. Ich bin viel unterwegs und kenne die Stimmung. Da die Regierung keinen Dialog mit den Bürgern führen will, müssen die Bürger den ersten Schritt tun. Zunächst werden einige Leute auf die Straße gehen, ihre Sorgen zum Ausdruck bringen und Forderungen stellen. Dann werden es immer mehr. Irgendwann wird die Obrigkeit reagieren müssen. Sollte diese Reaktion unzureichend sein, werden die Bürger über das Schicksal dieser Obrigkeit entscheiden. Doch alles soll im Rahmen eines demokratischen Dialogs ablaufen: friedlich und ruhig. Die Ukraine braucht keine neuen Maidan-Revolutionen!

Dieser Dialog kann nur ein Ende haben: Wechsel der politischen Klasse und des politischen Systems. Sollte sich der Präsident Petro Poroschenko dafür entscheiden, sich an die Spitze dieses Prozesses zu stellen und entsprechende Veränderungen einzuleiten, dann soll er eine Chance bekommen. Vielleicht gibt ihm das Volk diese Chance. Doch ich glaube, dafür ist es zu spät.

Wie stellen sie sich einen solchen Dialog vor?

Die Bürger wollen, dass der Präsident sein Versprechen einhält. Er hat versprochen, seine besten Freunde hinter Gitter zu bringen. In Wirklichkeit sind seine engsten Geschäftspartner in allen Wirtschaftszweigen präsent. Zweitens hat er versprochen, seine Firmen zu verkaufen. In Bereichen, wo der Präsident vertreten ist, hat kein anderer Geschäftsmann eine Chance, erfolgreich zu sein. Das gilt für das Bankengeschäft, die Autoindustrie, die Landwirtschaft, die Süßwarenindustrie, usw. Und drittens soll er das Wahlsystem ändern und aus den Wahlkommissionen die Schurken rauswerfen, die seit der Janukowitsch-Zeit geblieben sind und nur eins können: die amtierende Regierung bedienen und fälschen. (…)

Am 10. September hat der frühere georgische Präsident Michail Saakaschwili trotz eines Verbots die Grenze zur Ukraine überschritten

Manche befürchten, sie werden versuchen, das Parlament zu stürmen, um an die Macht zu kommen. Haben Sie das vor?

Das wäre ein großer Fehler, etwas zu stürmen. Es gibt dafür keine legitime Grundlage. Dann würden Gegner von Veränderungen sagen, es handele sich um einen Haufen Radikale. Das ist nicht so. Wir vertreten eine Mehrheitsmeinung. 

Wollen Sie vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen erzwingen?

Das hängt vom Präsidenten und dem Parlament ab. Wenn sie den Forderungen des Volkes entgegenkommen, dann braucht man keine Neuwahlen. Sollte der Präsident dafür sein und das Parlament dagegen, dann soll der Präsident das Parlament auflösen. Sollte es umgekehrt sein, soll das Parlament den Rücktritt des Präsidenten fordern.

Ihr Büro ist umringt von Mitarbeitern des ukrainischen Geheimdienstes SBU und Polizisten, die sie oft überwachen. Was sagen Sie dazu?

Das ist unschön für die Ukraine. Poroschenko benutzt den SBU für politische Zwecke. Das ist schlecht für die Sicherheit des Landes, weil Ressourcen so gebunden werden. Und außerdem macht man in einem europäischen Land so etwas nicht, man spioniert nicht offen Politikern nach. 

Michail Saakaschwili, 49, ist ukrainischer Oppositionspolitiker und ehemaliger Präsident Georgiens. Er galt lange als Verbündeter des Präsidenten Petro Poroschenko, fiel jedoch in Ungnade und trat 2016 als Gouverneur des Gebiets Odessa zurück. Im Sommer ließ Poroschenko Saakaschwili aus formellen Gründen ausbürgern, doch der Oppositionelle kehrte trotzdem in die Ukraine zurück. Der Oppositionelle gründete in der Ukraine eine eigene Partei, “Bewegung neuer Kräfte”, die in Umfragen bei rund 3,6 Prozent liegt.

Das Gespräch führte Oleksandra Indyukhova