Flughafen Tegel: Das Volk und der Volksentscheid

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Berliner haben am Sonntag gleich zweimal die Wahl: Neben der Bundestagswahl sind sie nach ihrer Meinung zur Zukunft des Flughafens Tegel gefragt – ein Dauerthema in der Hauptstadt.

Berliner lieben die Auseinandersetzung. Und seit der Luftbrücke in den Jahren 1948 und 1949 haben sie auch ein enges Verhältnis zu ihren Flughäfen. So ist es wenig überraschend, dass der am 24. September stattfindende Volksentscheid über die Offenhaltung des Flughafens Tegel hitzig diskutiert wird, während der Bundestagswahlkampf vergleichsweise lauwarm zu Ende geht.

“Die Bundesregierung hat sich die Aufgabe gegeben, das Volk zu sedieren”, sagt Helmut Metzner, Leiter der Landesgeschäftsstelle der Freien Demokraten (FDP). “Hier in Berlin setzt das Thema Tegel den einzigen Akzent.”

Der Volksentscheid hat keine bindende Wirkung, weil die Berliner nicht über einen spezifischen Gesetzentwurf abstimmen dürfen. Stattdessen sollen sie entscheiden, ob der Senat, die Stadtregierung Berlins, seine Schließungsabsichten aufgeben und den unbegrenzten Betrieb des Flughafens sicherstellen soll.

Der Volksentscheid hat die Stadt zweigeteilt. Viele Berliner schätzen die Zweckmäßigkeit des vergleichsweise zentral gelegenen Flughafens, der seit den späten 1960er Jahren der Hauptflughafen West-Berlins war; sie befürchten, dass der neue Flughafen BER, der Jahre hinter dem Zeitplan herhinkt und Milliarden mehr kostet als geplant, den Anforderungen der deutschen Hauptstadt nicht genügt. Nachbarn des Flughafens in Tegel und Umweltaktivisten weisen dagegen darauf hin, dass der Beschluss, Tegel nach der Eröffnung von BER dichtzumachen, endgültig ist und die Idee eines größeren Flughafens im Stadtgebiet überholt sei.

“Ja für TXL”: Wahlplakat der Berliner FDP

Die Parteien haben Tegel zu einem Hauptthema ihres Berliner Wahlkampfes gemacht. Die FDP hat das Thema als Sprungbrett für den Wiedereinzug in das Berliner Abgeordnetenhaus im vergangenen Jahr genutzt und versucht dasselbe im Bundestagswahlkampf wieder; die Grünen dagegen stellen sich als Vorkämpfer der Flughafengegner dar.

Totes Pferd oder teure Doppel-Lösung?

Die Tegelbefürworter, die in Meinungsumfragen mit 55 Prozent vorne liegen, sehen den Volksentscheid als Chance der Wähler, einen Fehler der rot-rot-grünen Koalition im Berliner Senat zu korrigieren. Die FDP argumentiert, dass BER, geplant vor mehr als einem Jahrzehnt, zu klein würde, weil die Vorhersagen über das Wachstums Berlin als Metropole und Touristenmagnet viel zu vorsichtig getroffen worden wären. “Da sind die Menschen in Berlin sehr viel pragmatischer als rot-rot-grün, die erst einmal von dem toten Pferd Single-Airport-Konzept absteigen müssen,” sagt Helmut Metzner der Deutschen Welle.

Die Pro-Tegel-Fraktion behauptet außerdem, dass die Verfügbarkeit von mehr als einem Flughafen der deutschen Hauptstadt erlauben würde, flexibel auf Unwetter, Terrorangriffe oder ähnlich schwere Störungen zu reagieren. Der Vorsitzende der Berliner Grünen Werner Graf nennt das “Unsinn” und weist darauf hin, dass man “nicht gleichzeitig in zwei Flughäfen landen” könne.

Ein einziger Flughafen kostet weniger

“Ein Doppelbetrieb kostet auch Geld”, sagt Graf. “Man braucht zweimal eine Feuerwehr, zweimal ein Tower, die doppelte Anzahl von Lotsen und viel mehr Personal, und das kostet bis zu 200 Millionen Euro.” Das andere Argument für die Schließung Tegels ist, die Nerven der 300.000 Menschen zu schonen, die in der Nachbarschaft des Flughafens wohnen. “500 Flüge jeden Tag, 185.000 Starts und Landungen jedes Jahr müssen 300.000 Leute aushalten”, rechnet Graf vor. “In allen anderen Städten, in die Sie fliegen, München, Paris oder London, sind die innerstädtischen Flughäfen weiter weg, als der BER in Zukunft bei uns sein wird.”

Der Billigflieger Ryanair möchte künftig von Tegel aus fliegen

Die Debatte wird mit einer verwirrenden Vielzahl von Fakten und Zahlen geführt, und es ist nicht einfach zu sagen, welche Seite die richtigen hat – wenn überhaupt. Stellt sich die Frage: Werden einfache Bürger überhaupt in der Lage sein, bei der Stimmabgabe am Sonntag zu einer richtigen Entscheidung zu kommen?

Volksentscheide im Allgemeinen und Besonderen

Neben der Debatte über den Flughafen Tegel wird deshalb noch eine andere geführt – die über die Rolle der direkten Demokratie im System der Volksvertretung im Berliner und im deutschen Parlament. Direkte Demokratie hat in Deutschland nicht immer gut funktioniert. Ständige Volksabstimmungen haben beispielsweise die Autorität verschiedener Regierungen in der Weimarer Republik unterhöhlt und zu politischer Instabilität geführt.

Tegel-Gegner bezeichnen die Volksabstimmung als zahnlos, weil sie keine rechtlichen und gesetzgeberischen Mechanismen vorsieht, mit denen die Schließung des Flughafens widerrufen werden kann.

“Ich bin überhaupt nicht gegen die Tatsache, dass das Volk mitredet”, sagte Graf zur Deutschen Welle. “Die Frage ist nur: Verarscht man das Volk mit so einem Entscheid oder macht man das ernsthaft. Am Ende ist es leider nicht so einfach. Wenn die Bürger etwas entscheiden, muss es auch konkret sein. Das ist leider bei der Tegelfrage nicht der Fall.”

Die Tegel-Befürworter geben zu, dass die Abstimmung am Sonntag nicht bindend ist, sagen aber auch, dass der Ausdruck des Volkswillens nützlich sein könnte.

“Ein starkes Votum mit 800.000 Unterstützern des Flughafens wäre auch ein Signal an die Landesregierung, die selbst bei der Abgeordnetenhaus-Wahl nur etwa 800.000 Stimmen hatte”, sagt FDP-Mann Metzner. “Sie halten sich zwar für Helden, sind aber wahrscheinlich nicht so heldenhaft, ein solches starkes Bürgervotum zu ignorieren. Das hält man politisch nicht aus.”

Sind Volksentscheide automatisch populistisch?

Volksbefragungen gibt es in Deutschland nur auf Ebene der Länder und Kommunen. Aber es gibt starke Forderungen, Elemente der direkten Demokratie auch auf Bundesebene einzuführen. Was sagen die Vertreter der direkten Demokratie zum Tegel-Volksentscheid? Oliver Wiedmann, Sprecher der Bewegung Mehr Demokratie, sagt, dass die Berliner Behörden, die in Sachen Flughafen ohnehin zu Fehlern neigten, auch mit dem Volksentscheid ungeschickt umgingen.

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Lachnummer BER – eine Chronik

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Lachnummer BER – eine Chronik

“Was ein bisschen falsch gelaufen ist bei dem ganzen Verfahren, ist die ganze rechtliche Debatte, ob der Volksentscheid überhaupt umsetzbar ist”, sagt Wiedemann der DW. “Es ist eine unbefriedigende Situation für die Abstimmenden. Ist es umsetzbar oder nicht? Keiner weiß es. Wenn das nicht umgesetzt wird, wird Frust zurückbleiben und wird sich negativ auf das Instrument [des Volksentscheides – d.Red.] selbst auswirken.”

Alle großen Parteien in Deutschland – mit Ausnahme der CDU – unterstützen die Idee von Volksentscheiden auf Bundesebene. Die rechtspopulistische AfD macht sie sogar zu einem ihrer Haupt-Wahlkampfthemen. Haben die anderen Parteien ein Problem damit, eine Forderung mit den Populisten teilen zu müssen?

“Wenn man ein positives Thema besetzt, muss man sich manchmal Beifalls von der falschen Seite erwehren,” sagt Metzner. Wiedemann dagegen stellt die Frage, ob die AfD direkte Demokratie im Allgemeinen gut finde, oder ob die Partei nur von Unzufriedenheit und Ängsten der Wähler profitieren will. “Die AfD tendiert dazu, direkte Demokratie mit Themen zu verknüpfe wie dem Euro oder der Obergrenze zum Beispiel”, sagt er. “Und die AfD bringt direkte Demokratie sehr stark in Stellung gegen die parlamentarische Demokratie. Das ist nicht unser Ansatz. Wir sagen, das ist eine Ergänzung. Eigentlich sollten die Bevölkerung und gewählte Parlamentarier zusammenarbeiten.”