Seit dem 2. Weltkrieg verrotten Unmengen Bomben und Granaten auf dem Grund von Nord- und Ostsee. Dass sie explodieren könnten, ist noch die kleinste Sorge.
Bernstein zu suchen, gehört zum Ostsee-Urlaub wie die Wellen zum Meer. Er ist zwar nicht leicht zu finden, aber wenn, dann stecken in dem anfangs matten Schmuckstein oft große Überraschungen. Die offenbaren sich, wenn das karamellfarbene Harz poliert ist und den Blick freigibt auf das, was innen liegt – oft schlummern darin fossile Einschlüsse aus der Urzeit.
Darauf war auch ein 67-jähriger Steinesammler aus, der vor drei Jahren am Strand östlich von Kiel spazieren ging und etwas aufsammelte, das er für Bernstein hielt. Es hätte ihn fast das Leben gekostet.
Wenn Phosphor am Strand angespült wird, kann es leicht mit Bernstein verwechselt werden.
Was er in den Händen hielt, war ein Stück weißer Phosphor. Wenn der an den Küsten angeschwemmt wird, wirkt er harmlos. Sobald er trocknet, entzündet er sich aber von selbst – und das mit großer Wucht. Phosphor brennt mit etwa 1300 Grad und lässt sich mit Wasser nicht löschen. Versucht man das, bildet sich Phosphorsäure, die zu schweren Verätzungen führt. Der Phosphor, ein Relikt aus den Bomben des 2. Weltkriegs, brennt einfach weiter.”
Nach dem Ende des 2. Weltkriegs sollte das damals noch existierende Deutsche Reich entwaffnet werden. Dazu gehörte eben auch, Munitionsbestände schnellstmöglich zu beseitigen”, erklärt Ingo Ludwichowski – Geschäftsführer des NABU Schleswig-Holstein.
Dazu wurde die Munition einfach auf ein Schiff verladen, aufs Meer gefahren und über Bord geworfen. Die Praxis war so gängig, dass heute etwa 1,6 Millionen Tonnen Kampfstoffe in den deutschen Meeren liegen – 1.3 Millionen in der Nordsee, 300.000 in der Ostsee.
Kein ernstes Problem, hieß es lange Zeit von Seiten der Behörden.
Der lange Kampf um die Wahrheit
Nach dem 2. Weltkrieg sollten Bomben möglichst schnell verschwinden. Heute wird das zu einem Problem, sagt Ingo Ludwichowski vom NABU.
Wie groß das Ausmaß des Problems aber tatsächlich war, entdeckte zuerst der Meeresbiologe Stefan Nehring. Er arbeitet eigentlich im Bereich invasiver Arten und sollte die Belastung der Küstengewässer der deutschen Nordsee bewerten. “Da ging es um alles mögliche, um Kläranlageneinleitungen und was weiß ich. Und bei den Recherchen dazu bin ich auch auf Munitionsversenkungen gestoßen”, erinnert sich Nehring.
Er wusste, dass Munition in der Nähe der Insel Bornholm im Meer versenkt worden war. Von kleinen Mengen war die Rede, die im Meer gelandet seien. Aber Nehring fand Anzeichen, dass über Jahre hinweg Schiffsladung über Schiffsladung im Meer gelandet waren. Also begann er nachzuforschen.
Im Bundesarchiv in Koblenz, wo er auch lebt, begann er Berge von Dokumenten zu wälzen. Am Ende konnte er belegen, dass die Menge Bomben und Granaten im Meer weitaus größer sein muss. Berechnungen, die auch die Behörden schließlich akzeptieren mussten, schließlich basierten sie auf ihren eigenen Zahlen.
Bomben müssen geborgen werden, wie hier im Bodensee. Werden sie gesprengt, verseuchen ihre chemischen Komponenten die Umwelt.
In die Luft jagen ist keine Lösung
Was soll man aber mit all diesen Bomben tun? Hin und wieder waren sie in der Vergangenheit gesprengt worden. Mit negativen Auswirkungen: “Bei der Sprengung so einer 500-Kilo Bombe werden vielleicht zwei Drittel oder drei Viertel des Sprengstoffes umgesetzt,” sagt Ingo Ludwichowski. “Aber der Rest gelangt zunächst ins Wasser und wird durch die Sprengung dann auch noch weiträumig verteilt.”
Auch die Explosionen selbst haben verheerende Folgen. “Das tötet einen Taucher oder einen Schweinswal, wenn sie ein paar hundert Meter von der Explosion entfernt sind und dasselbe gilt für die Fische”, sagt Ludwichowski. “Und selbst aus mehreren Kilometern Entfernung hat es Auswirkungen auf ihr Gehör.” – Schweinswale und auch einige Fischarten verlassen sich im trüben Wasser oft allein auf ihr Gehör, um zu jagen oder zu navigieren.
Und dann sind da noch die Giftstoffe: Selbst konventionelle Sprengstoffe sind hochgiftig. Hexanitrodiphenylamin oder HND beispielsweise wurden während des 2. Weltkriegs vom deutschen Militär in großem Umfang für den Bombenbau verwendet. “HND verfärbt zunächst mal die Hände, gelangt aber auf diese Art und Weise auch in den Körper und ist krebserregend und erbgutverändernd,” so Ludwichowski.
Wenn heute jemand Bomben entsorgt, dann vor allem Unternehmen, die unter Wasser Leitungen oder Pipelines verlegen.
Zeitbombe
“In den kommenden Jahrzehnten wird das ein riesiges Problem werden”, sagt Stefan Nehring. Weil Bomben aus Metall hergestellt werden und Metall korrodiert. Und über kurz oder lang werden verschiedene giftige Stoffe freigesetzt werden und landen im Ökosystem.
Es gibt Anzeichen, dass das bereits geschieht: In Ostseefischen sind schon mehrfach hohe Arsenkonzentrationen aufgefallen. Giftgasmunition scheint als Quelle wahrscheinlich. “Der Sprengstoff zerbröselt und wird damit so fein, dass er beispielsweise von Muscheln aufgenommen werden kann,” sagt Ingo Ludwichowski. “Muscheln sind entweder Teil der Nahrungskette oder prinzipiell auch für den Menschen verfügbar.”
Die einzige echte Lösung wäre, die Munition so schnell wie möglich zu bergen und zu entsorgen, was angesichts der Mengen ein gigantisches und sehr teures Unterfangen wäre. “Von Staats wegen passiert so gut wie nichts”, sagt Nehring. Es sei denn es soll eine Pipeline am Meeresgrund verlegt oder ein Windpark gebaut werden. “Dann müssen die Betreiber nach Munition suchen und sie entsorgen und die Behörden lehnen sich zurück,” sagt Nehring.
“Das ist Riesenproblem und es wird mit der Zeit immer größer und nicht geringer”, sagt auch Ludwichowki. Nicht nur werden immer mehr Bomben durchrosten und ihre giftige Fracht preisgeben, wenn die Metallhülle weg ist, wird es auch praktisch unmöglich sein, die Sprengstoffe wieder zu finden. Es ist also wirklich ein Wettlauf gegen die Zeit.