Frankfurt will vom Brexit profitieren

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20 neue Hochhäuser, 300.000 Quadratmeter Bürofläche in der Planung: Frankfurt rüstet sich für den Exodus der Londoner Finanzbranche – ein Jahr nach der Brexit-Abstimmung der Briten.

Ob es ein harter oder weicher Brexit wird, das steht nach der Unterhauswahl in Großbritannien noch nicht fest. Frankfurt richtet sich jedenfalls auf einen Austritt der Briten aus der Europäischen Union ein, und die Zeit spielt der Stadt in die Hände. Denn verschiedene Finanzinstitutionen müssen bald Entscheidungen treffen, ob sie an der Themse bleiben oder doch in den Euroraum ziehen. Und dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass einige die Stadt am Main wählen werden.

Drei Entscheidungen würden der Stadt zugutekommen: Erstens, wenn die Abwicklung von auf in Euro lautenden Finanzgeschäften, das so genannte Euroclearing, von der Themse nach Frankfurt abwandern würde, zweitens, wenn die bisher noch in London angesiedelte Europäische Bankenaufsicht EBA nach Frankfurt käme, und drittens, wenn weitere ausländische Banken mit ihren Europazentralen an den Main übersiedeln würden.

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Knackpunkt Euroclearing

“Das Euroclearing ist die zentrale Frage”, glaubt Hubertus Väth, Geschäftsführer der Lobbyvereinigung Frankfurt Main Finance, in der sich das Land Hessen, die Stadt Frankfurt, Banken, die Deutsche Börse, Wissenschaftler und Dienstleister zusammengeschlossen haben. Täglich werden in diesen Clearing-Häusern Handelsgeschäfte im Volumen von etwa einer halben Billion Euro abgewickelt. Banken sichern sich mit solchen Wertpapieren gegen Währungsschwankungen oder Zinsänderungen ab. Aber auch exportorientierte Unternehmen nutzen die Derivate als Rückversicherung gegen Schwankungen an den Finanzmärkten.

Die Bedeutung dieses Geschäfts erkennen inzwischen auch die Politiker, die sich lange mit öffentlichen Forderungen zurückgehalten hatten. Dabei geht es um die Frage, wo die Aufsicht über diese Geschäfte aus dem Euroraum angesiedelt sein soll. London hatte vor dem Europäischen Gerichtshof erstritten, dass das Euroclearing innerhalb der EU angesiedelt sein müsse, aber nicht unbedingt innerhalb des Euroraums. Vor allem geht es um die Durchgriffsrechte der Aufsichtsbehörden. Denn im Zusammenhang mit der letzten Finanzkrise ist deutlich geworden, dass man am Clearing von Derivaten schon Risiken für das Finanzsystem erkennen kann. Das Geschäft habe zentrale Bedeutung für die Finanzmarktstabilität, erklärt Väth.

Nach Ansicht von Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, sollte das Clearing aus London abgezogen werden. Denn selbst wenn die Briten europäisches Recht und den EUGH vollständig anerkennen würden, wäre die Frage der Aufsicht über diese Geschäfte nicht geklärt: Die Risiken, die für Kontinentaleuropa entstehen, müssten auch aus der EU heraus kontrolliert werden: “Das bedeutet entweder einen Durchgriff des Regulierers nach London und Großbritannien oder eben eine Durchführung der entsprechenden Geschäfte hier, innerhalb der EU”, sagte Meister im Mai – und da erstmals mit solcher Deutlichkeit.

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Flucht vor dem Brexit

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Flucht vor dem Brexit

EU-Kommission mit eigenen Vorschlägen

Die EU hat in der vergangenen Woche entsprechende Vorschläge auf den Tisch gelegt. Danach soll die EU-Kommission die Befugnis bekommen, einen Teil des milliardenschweren Geschäfts mit auf Euro laufenden Wertpapieren aus der britischen Hauptstadt abzuziehen. Ohne eine gesonderte Vereinbarung zwischen der EU und London würden britische Anbieter ihre Lizenz für den EU-Clearinghandel nach dem für 2019 geplanten Austritt aus der Union verlieren.

Angesichts des Ausscheidens “eines der größten EU-Finanzzentren müssen wir bestimmte Anpassungen bei unseren Regeln vornehmen”, erklärte Vizekommissionspräsident Valdis Dombrovskis am vergangenen Dienstag. Tatsächlich verzichtet seine Behörde nun aber darauf, eine in der Londoner City zunächst befürchtete automatische Verlagerung der Clearing-Stellen auf den Kontinent zu verlangen.

Nach dem Kommissionsvorschlag soll es künftig möglich sein, “eine begrenzte Zahl” von Clearing-Häusern zu verpflichten, von innerhalb der EU aus zu agieren. Dies gelte für Anbieter, die von so großer Bedeutung für die Stabilität des Finanzsystems seien, dass die Regeln zur Überwachung außerhalb der EU nicht ausreichten, um mögliche Risiken einzudämmen.

Tausende Arbeitsplätze in Sicht

Da Clearinghäuser nicht nur systemrelevant, sondern auch sehr lukrativ sind, dürfte der Widerstand dagegen auf der Insel erheblich sein. Doch wenn das Geschäft in den Euroraum geholt werden sollte, habe Frankfurt als Standort eine gute Ausgangsposition, meint Hubertus Väth von Frankfurt Main Finance. Denn es gebe mit der Eurex Clearing am Standort schon eine entsprechende Institution, die sowohl über die entsprechende Technologie als auch über die Lizenzen verfüge. Die Konsequenz einer Standortverlagerung wären “tausende Arbeitsplätze”, so Väth.

Auch für die Übersiedlung der Bankenaufsicht EBA sind die Chancen Frankfurts gut. Ende Mai erst bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den deutschen Volks- und Raiffeisenbanken den Anspruch Deutschlands auf die europäische Behörde, die 189 Menschen beschäftigt. Für deren Umzug nach Frankfurt spricht auch die Nähe zur Europäischen Zentralbank. Immer noch gibt es ja Überlegungen, die beiden Teile der Bankenaufsicht zusammenzufügen. Die EBA ist für die Regelsetzung, die EZB für die direkte Aufsicht zuständig. 

Die Auswahlkriterien für den künftigen Standort der EBA, die aktuell auch auf dem EU-Gipfel in Brüssel Thema sind, kommen Frankfurt entgegen. Zum Beispiel die gute Erreichbarkeit: Frankfurt hat den größten Flughafen des Kontinents, den Rhein-Main-Flughafen, und die Stadt hat die erforderlichen Immobilien. 300.000 Quadratmeter Bürofläche seien in Entwicklung, Zwanzig neue Hochhäuser sollen in den nächsten fünf Jahren entstehen, sechs davon schon bis 2020, sagt Hubertus Väth.

Gute Voraussetzungen

Wohnraum werde auch geschaffen, da die Stadt mit einem Wachstum um 15.000 bis 20.000 Menschen pro Jahr rechne. Denn inzwischen haben sich auch einige Banken entschieden, ihre Europa-Zentrale an den Main zu verlegen. Außereuropäische Banken benötigen einen so genannten EU-Pass, damit sie Geschäfte innerhalb der EU tätigen können. Haben sie ihre Lizenz in Großbritannien erworben, dürfen sie nach einem Brexit in keinem EU-Land mehr tätig sein.

Deshalb der Drang vieler Banken nach Frankfurt, obwohl die Stadt dabei mit Dublin, Paris und Amsterdam konkurriert. Klar ist bisher, dass die amerikanischen Banken JP Morgan und Goldman Sachs ihre Präsenz am Main ausbauen, auch die Silicon Valley Bank hat sich für die Finanzmetropole am Main entschieden. Die russische VTB will sich hier ansiedeln, die koreanische Woori-Bank, die bisher noch nicht in Europa aktiv war, kommt nach Frankfurt, ebenso die britische Standard Chartered.

Ein bis zwei japanische Banken werden sich offenbar in Kürze entscheiden, ebenso eine weitere britische Bank. Ein Grund für die Entscheidung: “Von Investmentbanken ist zu hören, dass die deutsche Finanzaufsicht einen guten Job macht”, sagt etwa Gerhard Wiesheu, Partner des Bankhauses Metzler. Er vermutet zudem, dass die Banken erst allmählich Arbeitsplätze in Frankfurt aufbauen würden: “Zunächst wird man nur 50 bis 100 schicken”, vermutet er. Doch später würden es mehr werden als erwartet, vermutet man nicht nur bei Metzler.