Ukraine zwischen Krieg und Frieden

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Ukraine

Ukraine zwischen Krieg und Frieden

Ein Jahr nach dem zweiten Minsker Abkommen ist es im nördlichen Teil der Front im Regierungsbezirk Luhansk ruhig. Dort lässt sich erahnen wie es aussehen könnte, sollte der Konflikt einfrieren. Aus Luhansk Frank Hofmann.

  • Europas jüngste Grenze

    Schlagbaum und Passkontrolle: Der Personenübergang in Stanica Luhansk ist der einzige Weg entlang der nördlichen Frontlinie, um von ukrainisch gehaltenem Gebiet in die Hochburg Luhansk zu gelangen, wo von Russland unterstützte Separatisten regieren.

  • Nadelöhr zwischen zwei Welten

    Mehr als 3000 Menschen gehen diesen Weg jeden Tag. Manchmal wird noch immer geschossen – doch anders als weiter südlich in der Region Donezk hält hier der Waffenstillstand seit fast sechs Monaten.

  • Suche nach Rebellen

    Trotz strenger Kontrollen will der ukrainische Grenzschutz an diesem Übergang erst einen pro-russischen Rebellen verhaftet haben. Für die Menschen, die zwischen ukrainisch gehaltenem Gebiet und der Rebellenhochburg pendeln, sind die Kontrollen deshalb vor allem Schikane.

  • Ameisenhandel

    Vor allem zum Einkaufen kommen die Menschen aus der Rebellenhochburg Luhansk auf die von der ukrainischen Armee kontrollierte Seite der sogenannten Kontaktlinie, wo sich Soldaten und pro-russische Rebellen gegenüberstehen.

  • Frontlinie

    Monatelang lieferten sich ukrainische Truppen und pro-russische Kämpfer Artillerie-Gefechte zwischen der Rebellen-Hochburg Luhansk. Hier hält der Waffenstillstand derzeit. Doch viele trauen dem Frieden nicht.

  • Abgelegen

    Ohne humanitäre Hilfe wäre Syze aufgeschmissen. Im Süden liegt die Frontlinie zu den Rebellen, im Osten die russische Grenze. Drumherum überall Minen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk bringt warme Kleidung.

  • Neue Mauer

    Ihre Verwandten leben auf der anderen Seite bei den Rebellen. Ostern 2014 haben sie noch in ihren Ferienhäusern in Syze gefeiert. Dann lag plötzlich die Frontlinie zwischen ihnen und ihren Wohnungen in Luhansk.

  • Das Holz geht aus

    Weil im Wald um Syze herum Minen liegen, können die Bewohner kein Holz mehr einschlagen. Hält der ukrainische Winter lange an, werden sie auch Hilfen fürs Heizen von außen benötigen.

  • Pufferzone

    Vor einem Jahr wurde in Minsk der Fahrplan für den Abzug schwerer Waffen festgelegt. Doch auch die ukrainische Armee hat die Vereinbarung nur langsam umgesetzt. Die Einhaltung des Waffenstillstands ist aber Voraussetzung dafür, dass die UNHCR-Hilfe auch zu den Menschen gelangen kann.

  • Gepanzert

    Entlang der nördlichen Frontlinie zwischen ukrainischer Armee und den von Russland unterstützten Rebellen in der Ost-Ukraine fahren auch die Beobachter der OSZE nur mit gepanzerten Fahrzeugen. Seit Wochen wird entlang der Front bei der Rebellenhochburg Donezk wieder verstärk geschossen.

    Autorin/Autor: Frank Hofmann, Kiew

  • Europas jüngste Grenze

    Schlagbaum und Passkontrolle: Der Personenübergang in Stanica Luhansk ist der einzige Weg entlang der nördlichen Frontlinie, um von ukrainisch gehaltenem Gebiet in die Hochburg Luhansk zu gelangen, wo von Russland unterstützte Separatisten regieren.

  • Nadelöhr zwischen zwei Welten

    Mehr als 3000 Menschen gehen diesen Weg jeden Tag. Manchmal wird noch immer geschossen – doch anders als weiter südlich in der Region Donezk hält hier der Waffenstillstand seit fast sechs Monaten.

  • Suche nach Rebellen

    Trotz strenger Kontrollen will der ukrainische Grenzschutz an diesem Übergang erst einen pro-russischen Rebellen verhaftet haben. Für die Menschen, die zwischen ukrainisch gehaltenem Gebiet und der Rebellenhochburg pendeln, sind die Kontrollen deshalb vor allem Schikane.

  • Ameisenhandel

    Vor allem zum Einkaufen kommen die Menschen aus der Rebellenhochburg Luhansk auf die von der ukrainischen Armee kontrollierte Seite der sogenannten Kontaktlinie, wo sich Soldaten und pro-russische Rebellen gegenüberstehen.

  • Frontlinie

    Monatelang lieferten sich ukrainische Truppen und pro-russische Kämpfer Artillerie-Gefechte zwischen der Rebellen-Hochburg Luhansk. Hier hält der Waffenstillstand derzeit. Doch viele trauen dem Frieden nicht.

  • Abgelegen

    Ohne humanitäre Hilfe wäre Syze aufgeschmissen. Im Süden liegt die Frontlinie zu den Rebellen, im Osten die russische Grenze. Drumherum überall Minen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk bringt warme Kleidung.

  • Neue Mauer

    Ihre Verwandten leben auf der anderen Seite bei den Rebellen. Ostern 2014 haben sie noch in ihren Ferienhäusern in Syze gefeiert. Dann lag plötzlich die Frontlinie zwischen ihnen und ihren Wohnungen in Luhansk.

  • Das Holz geht aus

    Weil im Wald um Syze herum Minen liegen, können die Bewohner kein Holz mehr einschlagen. Hält der ukrainische Winter lange an, werden sie auch Hilfen fürs Heizen von außen benötigen.

  • Pufferzone

    Vor einem Jahr wurde in Minsk der Fahrplan für den Abzug schwerer Waffen festgelegt. Doch auch die ukrainische Armee hat die Vereinbarung nur langsam umgesetzt. Die Einhaltung des Waffenstillstands ist aber Voraussetzung dafür, dass die UNHCR-Hilfe auch zu den Menschen gelangen kann.

  • Gepanzert

    Entlang der nördlichen Frontlinie zwischen ukrainischer Armee und den von Russland unterstützten Rebellen in der Ost-Ukraine fahren auch die Beobachter der OSZE nur mit gepanzerten Fahrzeugen. Seit Wochen wird entlang der Front bei der Rebellenhochburg Donezk wieder verstärk geschossen.

    Autorin/Autor: Frank Hofmann, Kiew

Wo einmal Fenster waren gibt es nur noch rußgeschwärzte Löcher. Der Granatbeschuss hat die meisten Wohnungen in dem Plattenbau der Kleinstadt Lysytschansk unbewohnbar gemacht. Und dennoch wohnen hier noch immer zwei Rentner, “im zweiten Stock”, sagt Fjudor Alexandrowitsch draußen auf der Straße, während seine Nachbarin Nina Hutujchowa dazu kommt. Das Schicksal hat die beiden 66-Jährigen auf eigenartige Art und Weise verbunden. “Mein Mann ist 2014 nach schwerer Krankheit gestorben”, sagt sie – so wie Alexandrowitschs Ehefrau. Hutujchowa wohnt ein Stockwerk über ihm, beide sind verwitwet.

Zusammengeschweißt durch den Krieg: Die Nachbarn Fjudor Alexandrowitsch und Nina Hutujchowa

Fließend Wasser gibt es keines mehr. Im Sommer 2014 ist das Gebäude ausgebombt worden, als ukrainische Truppen pro-russische Separatisten aus der Stadt mit ihren 100.000 Einwohnern vertrieben. Es ist eines dieser im Krieg berühmt gewordenen Gebäude, das die meisten Menschen in der Ukraine aus dem Fernsehen kennen. “Strom haben wir wieder”, sagen die beiden. Immerhin. Damit können sie jeder ein Zimmer heizen. Die Stadtverwaltung hatte den beiden 66-Jährigen eine Alternativunterkunft angeboten. “Doch die ist eigentlich für Obdachlose”, sagt die zierliche Nina Hutujchow. Da bleibe sie lieber in dem baufälligen Plattenbau im Stockwerk über ihrem Nachbarn. Beide hoffen noch immer auf Geld vom Staat, “eine Kompensation” für ihre zerstörten Wohnungen. Mit dem Geld könnte jeder eine neue Wohnung kaufen. “Ich möchte sicher sein, dass mir die Wohnung auch gehört”, sagt Fjudor Alexandrowitsch. “Wir haben unserem Bürgermeister geschrieben und auch dem Ministerpräsidenten Jazenjuk.” Keine Antwort. Der Wiederaufbau lässt auf sich warten.

Chance für den Wiederaufbau?

Jeff Wilkinson, Leiter des regionalen UNHCR-Büros

Und so ist das in den meisten Städten entlang der Frontlinie im Regierungsbezirk Luhansk. Zweidrittel des Gebietes sind unter Kontrolle der Kiewer Zentralregierung, die Gebietshauptstadt Luhansk aber ist besetzt von den pro-russischen Separatisten. Die staatliche Verwaltung ist deshalb umgezogen in die Industriestadt Severodonezk nördlich der Frontlinie. Hier leitet Jeff Wilkinson das regionale Büro des UN-Flüchtlingshilfswerkes. Während weiter südlich in der Region Donezk jeden Tag der Waffenstillstand gebrochen wird, sieht der Kanadier hier oben Chancen für den Wiederaufbau. “Es gibt tausende Familien, die von diesem Konflikt betroffen sind und möglicherweise öffnet sich jetzt die Tür einen Spalt, damit den Menschen geholfen werden kann.” Noch vor einem Jahr sei das auch hier im Nordosten der Ukraine wegen der heftigen Kämpfe unmöglich gewesen.

Allein im Luhansker Regierungsbezirk leben nach UN-Angaben mit 244.000 mehr als ein Viertel der innerhalb der Ukraine vertriebenen Flüchtlinge. Doch während der Ukraine-Konflikt international in Vergessenheit gerät, kümmert sich auch die Kiewer Regierung kaum um die Menschen entlang der Front.

Russland wird bleiben

Die Bewohner der frontnahen Straße von Stanitsa Luhansk haben schlimmste Bombardierungen überstehen müssen

Im Auftrag des UN-Flüchtlingshilfswerks hat die Nichtregierungsorganisation Norwegischer Flüchtlings Rat (NRC) ein Wiederaufbauprogramm südlich der neuen Gebietshauptstadt Severodonezk aufgelegt. Zwei neue Häuser konnten bislang wieder aufgebaut werden. “Wir beginnen mit einem Pilotprojekt”, sagt Tatiana Stepykina, für 30 reiche das Geld insgesamt. Die Anglistin ist selbst Vertriebene aus der Rebellenhochburg Luhansk, wo sie an der Universität gearbeitet hat.

Sie und ihre Kollegen gerieten zu Beginn des Konfliktes vor zwei Jahren schnell in den Blick der pro-russischen Rebellenchefs. “Ich fürchte, Russland ist in unser Land gekommen, um zu bleiben”, sagt sie ohne Illusionen. Wenn die Ukraine wolle, könnte sie das besetzte Gebiet vielleicht sogar zurück erobern. “Doch das ist politisch nicht gewollt.” Es wäre wohl auch nur mit weiteren fürchterlichen Kämpfen möglich – wenn Russland wieder mit Truppen dagegen hält wie wohl schon vor einem Jahr als in Minsk das zweite Friedensabkommen unter deutscher und französischer Aufsicht verhandelt worden war. Bleibt also die Vorstellung, dass die Frontlinie für längere Zeit eine innerukrainische Grenze bleibt – im besten Fall mit Übergängen für die Zivilbevölkerung.

Stundenlanges Anstehen

Nicht mehr Krieg aber auch kein Frieden: Bewohnerin in Stanitsa Luhansk

Im äußersten Nordosten ist so ein Übergang eine Brücke zwischen der ukrainisch gehaltenen Kleinstadt Staniza Luhansk und der alten Gebietshauptstadt Luhansk weiter südlich. Bei Temperaturen unter null Grad stehen die Menschen Schlange. Nicht selten warten sie mehr als drei Stunden. “Zum Glück gibt es ein Zelt zum Aufwärmen”, sagt einer auf der von ukrainischen Grenzsoldaten kontrollierten Seite.

Sie lassen immer nur drei, vier der Wartenden durch, die nach dem Besuch von Verwandten wieder auf die Rebellenseite wollen. Ihre Pässe werden kontrolliert, dann die Tüten mit den Einkäufen. “Ich habe Lebensmittel und Kleidung gekauft. Wir haben dort drüben in Luhansk zwar alles, ist aber teurer als hier. Von dem Geld das wir bekommen kann man nicht überleben”, sagt der Mann. Mit Kriegsbeginn 2014 sei alles teurer geworden. Viele holen auch ihre Rente ab. Manche erhalten jetzt zwei Renten “eine russische”, sagen sie hier in der Warteschlange, und “die ukrainische”.

Kritik an den Rebellen

Seit der Wirtschaftsblockade der Kiewer Regierung gegenüber den besetzten Gebieten Ende 2014 ist das der einzige Weg. Bank-Transfers wurden schon damals gesperrt. Zuvor hätten die Rebellen aber schon alles geklaut, sagt Lubow Awertschelko. “In Luhansk haben sie alles kaputt gemacht, die Bankautomaten und gleich die ganzen Banken.” Die Rentnerin ist mutig und hält sich mit ihrer Kritik gegenüber dem Rebellen-Regime nicht zurück. Sie lebt mittlerweile auf beiden Seiten der inner-ukrainischen Grenzlinie, in Luhansk ist die Wohnung der Familie. Ihre Kinder seien aber längst auf der ukrainisch kontrollierten Seite der Front.

Irgendwie muss das Leben weitergehen. Vor dem zerbombten Plattenbau in Lysytschansk denkt daran auch Nina Hutujchowa. Die 66-jährige Rentnerin, die mit ihrem Nachbarn auf etwas Geld vom Staat hofft, damit sie sich eine neue Wohnung kaufen kann. Nur ganz leise spricht sie über eine Idee, die ihrem Schicksal eine neue Wendung geben könnte: “Wenn wir beide unsere Renten zusammen legten, könnten wir uns vielleicht ja eine Wohnung mieten”.