Prozess gegen SS-Wachmann begonnen

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Justiz

Prozess gegen SS-Wachmann begonnen

Ein ehemaliger SS-Wachmann des Konzentrationslagers Auschwitz steht seit diesem Donnerstag vor dem Detmolder Landgericht. Er ist wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen angeklagt.

Der heute 94-Jährige soll 1943 und 1944 als Angehöriger des SS-Totenkopfsturmbanns Auschwitz im dortigen Stammlager eingesetzt worden sein. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe unter anderem bei Massenerschießungen und der “Selektion” von KZ-Insassen vor. Mit seinem Einsatz als Wachmann habe er zum Funktionieren der Maschinerie beigetragen, heißt es in der Anklageschrift.

Internationale Aufmerksamkeit

Der Angeklagte hat bereits im Vorfeld eingeräumt, im Stammlager eingesetzt gewesen zu sein, eine Beteiligung an Tötungshandlungen aber bestritten. Dutzende Journalisten aus dem In- und Ausland sowie frühere KZ-Insassen waren zum Prozessauftakt in die nordrhein-westfälische Stadt gereist.

Besucher und Journalisten stehen Schlange vor Prozessbeginn

Wegen des großen Interesses findet die Verhandlung des Landgerichts Detmold im Saal der Industrie- und Handelskammer statt. Für den Prozess sind zunächst zwölf Verhandlungstage bis Ende Mai vorgesehen. Am ersten Prozesstag soll die Anklageschrift verlesen und ein erster Zeuge angehört werden. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass keiner der Zeugen den Angeklagten selbst kannte.

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Spät, aber nicht zu spät

Nebenkläger und ihre Anwälte berichteten am Mittwoch in Detmold bei einer Pressekonferenz, es sei für sie von besonderer Bedeutung, vor einem deutschen Gericht schildern zu können, was der Holocaust ihnen und ihren Familien angetan habe. “Dieser Prozess hätte schon vor 40, 50 Jahren stattfinden müssen. Aber auch jetzt ist es nicht zu spät, um darzustellen, was einmal war”, sagte Justin Sonder, der heute 90-Jährige hatte als Jugendlicher das nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager nur knapp überlebt.

Erstmals sei der arbeitsteilig organisierte Massenmord in Auschwitz in seinem ganzen Umfang angeklagt, sagte Nebenkläger-Anwalt Cornelius Nestler. “Wachmänner haben dafür gesorgt, dass die gesamte Vernichtungsfabrik Auschwitz gesichert wurde”, sagte er. Die Beihilfe zum Mordsystem umfasse nicht nur das Bewachen der Deportationszüge, sondern auch das Aufrechterhalten unmenschlicher Zustände, von Hunger und das Ermöglichen von Massenerschießungen.

bri/sti (dpa/epd)