Tony Blair: “Wir werden uns wieder aufrappeln”

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Der britische Ex-Premier Tony Blair gehört zu den Kritikern des Brexit-Kurses von Regierungschefin May. Ein neues Referendum wäre vernünftig, ein EU-Austritt ohne Deal dagegen eine Katastrophe, so Blair im DW-Interview.

DW: Mr Blair, was halten Sie von Premierministerin Theresa Mays “Plan B”?

Tony Blair: So, wie ich es verstehe, ist die Idee, den Austrittsvertrag zu ändern. Das müsste selbstverständlich zwischen der britischen Regierung und der EU verhandelt werden. Ich und andere im Vereinigten Königreich sind der Meinung, dass dieses Verfahren nichts taugt. Es gibt keinerlei Übereinkunft darüber, wie unsere künftige Handelsbeziehung mit Europa aussehen soll. Eine Gruppe möchte, dass wir eng mit Europa verbunden bleiben, eine andere Gruppe, dass wir gänzlich aus dem europäischen Handelssystem ausscheiden. Das sind sehr unterschiedliche Szenarien, über welche die Bevölkerung entscheiden muss. Denn das Parlament wird sich wohl weiter selbst blockieren. Ich bezweifle, dass Theresa den Deal durch das Parlament bekommt. Es gibt aber für keine andere Form des Brexit eine Mehrheit. Deshalb wäre es vernünftig, die Bevölkerung noch einmal zu fragen.

Was würde ein zweites Referendum ändern?

Es würde insofern etwas ändern, als dass wir dann ein abschließendes Ergebnis hätten. Manchmal fragen Leute, ob ein zweites Referendum nicht der Demokratie schaden würde. Aber wir wenden uns ja erneut ans Volk. Wir fragen niemand anderen, wir fragen die Bürger. Hinter uns liegen 30 Monate Verhandlungen. Es gibt inzwischen ein viel größeres Verständnis davon, was der Brexit und all die damit verbundenen Fragestellungen bedeuten. Unter diesen Umständen ist es nicht unvernünftig, die Bürger zu fragen, ob sie ihre Entscheidung noch einmal überdenken möchten.

Tony Blair im DW-Interview in Davos

Unabhängig davon, ob es ein zweites Referendum gibt oder nicht: Was für einen Brexit wird es Ihrer Einschätzung nach geben?

Im Moment wissen wir es einfach nicht. Ein No-Deal-Brexit wäre eine Katastrophe für alle. Das Problem ist, dass die zwei sinnvollen Brexit-Szenarien sehr unterschiedlich sind. Eines sieht vor, dass wir im Binnenmarkt oder in der Zollunion bleiben. Das würde jedoch bedeuten, dass wir uns an die Regeln Europas halten müssten, aber unser Stimmrecht verlieren würden. Das wäre eine skurrile Entscheidung, denn die Brexit-Befürworter wollen ja aus diesem System ausbrechen. Eine andere Lösung wäre ein Drittstaaten-Freihandelsabkommen, wie es etwa Kanada hat. Das würde aber die britische Wirtschaft zerreißen, die seit viereinhalb Jahrzehnten als EU-Mitglied Geschäfte macht, Handelsbeziehungen knüpft, investiert.

Wir haben also einen Brexit, der sinnlos ist, und einen, der schmerzhaft ist. Das sind keine guten Wahlmöglichkeiten. Deshalb kommt das Parlament nicht weiter. Das Problem mit Mays Deal ist, dass er absolut vage ist, was die Zukunft angeht. Weder für Europa noch für Großbritannien wäre es vernünftig, sich zu trennen, ohne zu wissen, was die Zukunft bringt.

Wie hätten Sie an der Stelle von Theresa May gehandelt?

Man müsste den Menschen die unterschiedlichen Möglichkeiten erklären, der Premierminister als eine Art Lehrer der Nation, der sagt, “schaut mal, dies sind unsere Optionen, und das bedeuten sie. Das Parlament muss nun darüber entscheiden.” Wenn aber das Parlament keine Entscheidung treffen kann, weil die Abgeordneten sich nicht auf einen Brexit einigen können, der aus ihrer Sicht funktioniert, ist es nicht falsch, zu sagen: Bei einer Entscheidung von dieser Größenordnung ist es wichtig, die Bevölkerung zu fragen.

Was haben Sie in Ihrer Amtszeit falsch gemacht, das zu der Angst der Briten geführt haben könnte, die Bedingungen der EU-Mitgliedschaft seien schlecht?

Während meiner Amtszeit gab es in Europa viele Kontroversen, aber wir haben immer dafür geworben, dass Großbritannien ein Teil Europas sein sollte – trotz all unserer Kritik am europäischen System. Die Deutschen kritisieren Europa doch auch, alle tun das. Der Fehler war, uns zu wenig um die Probleme zu kümmern, auf denen die EU-Skepsis gründet: die Einwanderung und die Menschen, die sich durch die Globalisierung abgehängt fühlen. Wenn ich im Amt wäre, würde ich sagen, wir müssen uns mit diesen Punkten befassen. Auch wenn man versucht, den Brexit zu stoppen, sollte man wissen, was den Wunsch so groß gemacht hat, die EU zu verlassen. Man muss sich mit den Kritikpunkten beschäftigen, sonst bekommt man Riesenschwierigkeiten. Das Tragische ist, dass der Brexit keines der zugrunde liegenden Probleme löst. Das ist das Dilemma, in dem sich Großbritannien befindet, und wir müssen einen Ausweg finden.

Wie wird Großbritannien in den nächsten zehn Jahren aussehen? Wird es noch so stark sein?

Schauen Sie, wir erleben in Großbritannien gerade eine ziemlich tiefgreifende und krisengetriebene Debatte. Aber Großbritannien ist ein großartiges Land und die Briten sind großartige Menschen. Wir werden uns wieder aufrappeln. Ich bin ein leidenschaftlicher Brexit-Gegner, aber wenn wir ihn durchziehen, werden wir uns sortieren und uns wieder vorwärts bewegen. Es geht außerdem nicht nur um Großbritannien, sondern auch um Europa. Wenn man eine starke Wirtschaft, einen wichtigen politischen Player aus Europa entfernt, wird Europa geschwächt. Vor Kurzem wurde ein Brief von führenden deutschen Politikern veröffentlicht, der sehr hilfreich und vernünftig war. Briten und Europäer, müssen begreifen: Unsere Zukunft sollte eine gemeinsame sein.

Tony Blair von der Labour-Partei war 1997 bis 2007 britischer Premierminister.

Das Interview führe Ben Fajzullin.