Erster deutscher Strafprozess im Dieselskandal

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Fünf Jahre nach Aufdeckung des VW-Dieselskandals beginnt in Deutschland der erste Strafprozess. Unter den Angeklagten sind der frühere Audi-Chef und der Leiter der Motorenentwicklung des VW-Konzerns.

Der Prozess gegen den früheren Audi-Chef Rupert Stadler (Artikelbild) und drei Mitangeklagte findet im Gefängnis statt. Dies sei jedoch kein Omen, sagte ein Gerichtssprecher, sondern allein den Hygiene- und Abstandsregeln in Coronazeiten geschuldet. Der größte Saal, der dem Landgericht München zur Verfügung steht, sei eben in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim, so der Sprecher.

Nur 20 Zuschauer dürfen hier wegen der Ansteckungsgefahr Platz nehmen, dabei gibt es allein schon 280 Journalisten, die sich akkreditiert haben und berichten wollten.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten “Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung” vor. In rund 180 Verhandlungstagen, immer dienstags und mittwochs, wollen die Richter klären, was an den Vorwürfen dran ist. Gut 40.000 Seiten umfassen die Ermittlungsakten, allein die Verlesung der Anklage am Eröffnungstag wird fünf bis sechs Stunden dauern.

Das Urteil wird im Dezember 2022 erwartet. Ob dann wirklich klar ist, wer für den 2015 in den USA aufgedeckten Dieselskandal verantwortlich ist, wird sich zeigen müssen.

Wer wusste was und wann?

Laut Anklage waren es Mitarbeiter von Audi, die ab 2007 Verfahren entwickelten, um bei Abgastests zu tricksen und Grenzwerte einzuhalten. Dabei erkannte eine illegale Software in der Motorsteuerung, die sogenannte Abschalteinrichtung, ob sich ein Wagen auf einem Prüfstand oder im echten Straßenverkehr befand. Nur auf dem Prüfstand hielten die Dieselmotoren die gesetzlich geltenden Abgaswerte ein, auf der Straße war der Ausstoß von gesundheitsschädlichen Stickoxiden um ein Vielfaches höher.

Sauber auf dem Prüfstand, schmutzig im Verkehr: einer der manipulierten Motoren, ein 2.0-Liter TDI

So reichte dann offiziell ein kleinerer Tank für das Harnstoffgemisch namens AdBlue, das in Dieselmotoren die Abgase reinigt. Die Autofahrer mussten die Flüssigkeit nicht selbst nachfüllen, das wurde bei den regulären Wartungen erledigt. Darauf sollen die Vertriebsleute und die Chefs bestanden haben.

In mehr als 400.000 Fahrzeugen der Marken Audi, Porsche und VW, die alle zum Volkswagen-Konzern gehören, war diese Abschalteinrichtung verbaut, so die Anklage.

Rupert Stadler, der von 2007 bis 2018 Chef der VW-Tochter Audi war, wird vorgeworfen, im September 2015 von den Manipulationen zwar gewusst, den weiteren Verkauf der manipulierten Fahrzeuge aber nicht gestoppt zu haben. Der Manager bestreitet die Vorwürfe. 2018 musste er bereits für vier Monate in Untersuchungshaft, nachdem Ermittler seine Telefonate abgehört hatten und befürchteten, er könne die Aufklärung behindern. Audi hatte sich daraufhin von ihm getrennt.

Zwei Ingenieure belasten ihre Chefs

Den drei anderen Angeklagten, allesamt Ingenieure, wirft die Staatsanwaltschaft vor, die Motoren mit der illegalen Abschalteinrichtung entwickelt zu haben. Einer von ihnen ist Wolfgang Hatz, früher Porsche Vorstand und für die Motorenentwicklung im gesamten Volkswagen-Konzern verantwortlich. Wie Stadler hat auch Hatz schon Monate in Untersuchungshaft gesessen, und auch er bestreitet die Vorwürfe.

Wolfgang Hatz, Porsche-Vorstand und Leiter der Aggregatentwicklung im Volkswagen-Konzern

Dagegen sind der Motorenentwickler Giovanni P. und sein früherer Mitarbeiter Henning L. geständig. Beide hatte im Ermittlungsverfahren die Vorstände belastet, von ihren Aussagen hängt im Prozess daher einiges ab.

“Unser Mandant wird wie bisher umfassend aussagen”, kündigte Walter Lechner, der Verteidiger von Giovanni P., an. Sein Mandant sei kein Entscheidungsträger gewesen, sondern drei Ebenen unter dem Vorstand: “Er hat getan, was von oben abgesegnet und angewiesen wurde.”

Warten auf Winterkorn

Bei einer Verurteilung drohen den Angeklagten bis zu zehn Jahren Haft. In den USA wurden bereits zwei VW-Mitarbeiter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Auch der frühere Volkswagen-Konzernchef Winterkorn muss bald vor Gericht

In Deutschland hat die Klärung der Strafbarkeit im Dieselskandal inzwischen Fahrt aufgenommen. Jüngst wurden vier weitere Audi-Manager in München angeklagt. In Braunschweig hat das Landgericht die Anklage gegen den langjährigen VW-Konzernchef Martin Winterkorn zugelassen. Der war bis 2007 Stadlers Vorgänger als Audi-Chef. Der Prozesstermin für Winterkorn ist noch offen.

Den VW-Konzern hat der Dieselskandal mit elf Millionen manipulierten Autos bisher 32 Milliarden Euro gekostet – für Schadenersatz, Nachrüstungen, Strafzahlungen. Auch für die Angeklagten könnte es noch sehr teuer werden, sollten sie schuldig gesprochen werden: Laut Strafprozessordnung tragen sie dann die Kosten des Verfahrens – samt Gutachter- und Reisekosten etwa für Zeugen aus den USA. Audi dürfte dann außerdem Abfindungen zurückfordern und von den Vorständen Schadenersatz verlangen.

bea/hb (dpa, reuters, afp)


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    Autorin/Autor: Henrik Böhme (mit dpa)