Verwirrende Debatte um Hydroxychloroquin

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Hilft das Malaria-Mittel tatsächlich gegen COVID-19 oder sind die Nebenwirkungen zu gefährlich? Darüber wird seit Wochen hitzig debattiert und jetzt sorgt eine renommierte Fachzeitschrift für zusätzliche Verwirrung.

Seit Beginn der Coronavirus-Pandemie wird hitzig über den Einsatz von Hydroxychloroquin oder des verwandten Wirkstoffs Chloroquin bei COVID-19-Patienten diskutiert und politisiert.

Sachlich betrachtet lässt sich auch nach ein paar Monaten immer noch nicht abschließend sagen, ob das Malaria-Medikament überhaupt gegen das Coronavirus SARS CoV-2 wirkt oder das Ansteckungsrisiko senkt, welche Dosierung mehr nützt als schadet und ob die teils hochriskanten Nebenwirkungen einen Einsatz rechtfertigen. 

Auf diese Fragen versuchen Forscher derzeit trotzr extremen Zeitdruck faktenbasiert Antworten zu liefern. Antworten, die richtig sein können, aber nicht richtig sein müssen. In normalen Zeiten wäre dies eine normale wissenschaftliche Debatte, aber es sind eben keine normale Zeiten.

Zweifelhafte Datenlage

Für zusätzliche Verwirrung sorgt derzeit eine Hydroxychloroquin-Studie, die am 22. Mai in der renomierten Fachzeitschrift “The Lancet” veröffentlicht wurde und in der es um die Wirksamkeit der Medikamente in Kombination mit dem Antibiotikum Makrolid bei der Behandlung von COVID-19-Patienten ging. 

Laut dieser Studie gebe es keinen Beleg für positive Effekte von Hydroxychloroquin oder des verwandten Wirkstoffs Chloroquin bei COVID-19-Patienten. Stattdessen deuteten die Ergebnisse auf schwere Nebenwirkungen und sogar auf ein höheres Sterberisiko hin. 

Dieses Ergebnis deckte sich mit vorherigen Untersuchungen. Bereits Ende April hatte die US-Lebensmittel- und Arzneibehörde (FDA) vor dem angeblichen Wundermittel gewarnt: Es gebe keine belastbaren Beweise einer Wirksamkeit gegen COVID-19, das Mittel erhöhe aber das Risiko lebensgefährlicher Herzrhythmus-Störungen, hieß es.

Zuvor hatte bereits eine andere US-Studie das Malaria-Mittel nicht nur als weitgehend wirkungslos bei der Bekämpfung des Coronavirus bezeichnet. Im direkten Vergleich liege die Sterberate nach der Behandlung mit Hydroxchloroquin mit 28 Prozent sogar deutlich höher.

Und erst Anfang Juni veröffentlichte die University of Minnesota eine Studie, wonach die Einnahme von Hydroxychloroquin oder des verwandten Wirkstoffs Chloroquin die Ansteckungsgefahr nicht senke.

Nach Bekanntwerden der Studien stoppten zahlreiche Staaten die Behandlung von COVID-19-Patienten mit dem Malariamittel. Und auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) setzte Ende Mai klinische Tests mit Hydroxychloroquin unter Verweis auf die Studien zunächst einmal aus.

Renommierten Rückzieher

So weit, so eindeutig. Doch inzwischen hat sich “The Lancet” sogar mit einem offiziellen Warnhinweis  von der jüngsten Veröffentlichung distanziert. Es gebe schwerwiegende Frage sowohl hinsichtlich der Methodik als auch in Bezug auf die Datenlage. Zudem fehle der Zugang zu den Rohdaten.

So wurden für die Studie etwa mehr COVID-19-Tote aus Australien in die Berechnungen aufgenommen, als es COVID-19-Tote in Australien überhaupt gab. Und auch die verarbeiten Daten von 4402 Patienten aus Afrika wecken Zweifel, weil es eher unwahrscheinlich ist, dass afrikanische Krankenhäuser derart detaillierte elektronische Gesundheitsakten für so viele Patienten zur Verfügung stellen konnten. 

Zweifel an der aus Afrika und Australien übermittelten Datenlage für die Studie

Die für die Studie genutzten Daten stammen von dem US-Unternehmen Surgisphere aus Chicago. Nach eigenen Angaben verfügt die auf Gesundheitsdaten spezialisierte Firma über eine internationale Krankenhaus-Datenbank.

The Lancet forderte die Autoren der Studie auf, diese offenen Fragen schnellstmöglich aufzuklären, um das Vertrauen in die Wissenschaft nicht zu gefährden, so die Fachzeitschrift. Natürlich spielt ganz maßgeblich auch die Glaubwürdigkeit des Fachmagazins auf dem Spiel, denn offenkundig versagte – vielleicht auch aus Zeitdruck – die sonst so gewohnt zuverlässige Überprüfung der Studie vor der Veröffentlichung.

Nötige Versachlichung der Debatte

Inzwischen hat die Weltgesundheitsorganisation die ausgesetzten Tests mit Hydroxychloroquin bei COVID-19-Erkrankten wieder aufgenommen. Schließlich gilt das Malaria-Mittel trotz aller Verwirrung nach wie vor als vielversprechendes Medikament, das in einer von der WHO koordinierten Forschungsreihe mit mehr als 3500 Patienten in 35 Ländern getestet wird.

Immerhin soll der Wirkstoff bei Laborstudien und bei zwei klinischen Studien aus China und Frankreich – mit allerdings nur geringen Fallzahlen – an Zellkulturen eine Hemmung der Vermehrung des neuartigen Coronavirus SARS CoV-2 gezeigt haben, wodurch bei schwereren Krankheitsverläufen die Viruslast der Patienten gesenkt werde. Der Wirkstoff könne deshalb auch antiviral eingesetzt werden, hieß es.

Weiter forschen statt Hydroxychloroquin oder Chloroquin zu verdammen

Auch der Infektiologe Peter Kremsner von der Uni Tübingen warnte im Deutschlandfunk davor, ein Präparat zu verdammen, das seit 30 Jahren sehr hilfreich sei und das nach seiner Einschätzung eine gute Chance als Medikament gegen COVID-19 bietet.

Der Tübinger Wissenschaftler will denn auch zwei von ihm geleitete und derzeit gestoppte Studien zu Hydroxychloroquin fortsetzen. Die Risiken und Nebenwirkungen seien laut Kremsner hinreichend bekannt: Es sei eine Binsenweisheit, dass Hydroxychloroquin älteren Menschen mit schweren Vorerkrankungen schaden könne.

Sicherlich sei Hydroxychloroquin kein Wundermittel, wie es “manche irre Amerikaner” behaupteten, so der Tübinger Infektologe Kremsner, aber “Hydroxychloroquin kann möglicherweise ein Medikament gegen Covid werden”. 


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    Autorin/Autor: Mirjam Benecke (Fotos: Bruno Kelly/Reuters)