Rainer Werner Fassbinder: tabulos, kontrovers, genial

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In nur 37 Jahren, die Regisseur Rainer Werner Fassbinder vergönnt waren, wurde er zum Aushängeschild des “Neuen Deutschen Films” – dabei ist sein Werk gerade in Deutschland umstritten. Vor 75 Jahren wurde er geboren.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Früh verstorbenes Kinogenie

    Fassbinder wurde nur 37 Jahre alt. Doch in seiner kurzen Schaffenszeit drehte er 44 Filme. Er gehört zu den wichtigsten Filmregisseuren der deutschen Nachkriegsgeschichte. Und obwohl seine Filme einzigartig sind, ist Fassbinder doch Teil der internationalen Kinogeschichte. Er hatte filmische Vorbilder – und beeinflusste Regisseure nachfolgender Generationen im In- und Ausland.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Vorbild Douglas Sirk

    Fassbinders größtes Vorbild war der Hamburger Detlef Sierck. Sierck drehte 1937 mit Zarah Leander in Deutschland Filme wie “Zu neuen Ufern” und “La Habanera”. Weil er mit einer Jüdin verheiratet war, verließ er Nazi-Deutschland und ging in die USA. In Hollywood gab er sich den Namen Douglas Sirk und drehte Melodramen wie “Die wunderbare Macht” (1954) mit Jane Wyman und Rock Hudson.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Douglas Sirk – Meister des Melodramas

    Sirk habe Filme gemacht, “die alle so waren, wie ich sie selber gern gemacht hätte”, hat Fassbinder einmal gesagt. Im Winter 1970/71 besuchte er sein großes Vorbild in Ascona, wo Sirk damals lebte. An den Melodramen Sirks – hier “Was der Himmel erlaubt” – habe er geschätzt, dass dieser Regisseur die Menschen geliebt und sie niemals karikiert habe, so Fassbinder in einem Interview.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Auf den Spuren Fassbinders: Pedro Almodóvar

    So wie Fassbinder Elemente aus dem Werk Sirks aufleben ließ, so griffen europäische Regisseure wie Pedro Almodóvar (hier eine Szene aus “Labyrinth der Leidenschaften”) wiederum Stilmittel Fassbinders auf. Der Spanier entdeckte Fassbinders Filme in jungen Jahren in Madrid und war fasziniert. Insbesondere dessen Einsatz von Schauspielern gegen eingefahrene Rollenerwartungen schätzte Almodóvar.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Wirrwar der Gefühle bei Almodóvar

    Vor allem Almodóvars Frühwerk erinnert an die Filme Fassbinders. Starke und aufgedrehte Frauen, Männer zwischen maskulinem Anspruch und versteckter Sensibilität – auf all das trifft man in den Filmen beider Regisseure. Das Thema Homosexualität und die Spannung zwischen den Geschlechtern sind stets präsent – nicht selten werden diese grell und überspitzt, aber immer auch menschlich dargestellt.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Blühende Gefühlswelten bei François Ozon

    Ist Almodóvar Fassbinders größter Fan aus dem spanischsprachigen Raum, so heißt sein französisches Pendant François Ozon. Auch hier trifft man, insbesondere im Frühwerk des Regisseurs, auf viele filmische und thematische Parallelen. Der Film “Tropfen auf heiße Steine” (2000) entstand sogar nach einem Fassbinder-Bühnenstück aus dem Jahr 1966.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Starke Frauen auch bei Ozon

    Auch ein Film wie Ozons “8 Femmes” hat viel mit dem filmischen Kosmos des Deutschen zu tun. Starke, energiegeladene Frauen, divenhaftes Auftreten, kapriziöses Benehmen – ganz unterschiedliche Charaktere, die freilich alle eines eint: pure Emotion, mal offen ausgelebt, mal verhüllt hinter maskenhaftem Auftreten. Ozons weibliche Protagonisten erinnern an so manche Charaktere aus Fassbinders Filmen.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Fassbinder auch in Hollywood anerkannt: Todd Haynes

    Schaut man in die USA, wo das Werk Rainer Werner Fassbinders in Filmkunstkinos schon früh präsent war und vielen Filmstudenten nahegebracht wurde, trifft man schnell auf den Regisseur Todd Haynes. Auch er ist ein Fan des Deutschen, auch Haynes Figuren erinnern immer wieder an Fassbinders vor allem weibliche Charaktere. Hier eine Szene mit Cate Blanchett und Rooney Mara aus dem Melodrama “Carol”.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Indirekter Einfluss: Michael Ballhaus und Martin Scorsese

    Wie beeinflusst ein deutscher Filmregisseur Hollywood? Die Antwort ist einfach. Der Kameramann Michael Ballhaus (l.) war jahrelang für Fassbinder tätig und entwarf innovative Einstellungen. Dann ging er in die USA und wurde zum Stammkameramann von Martin Scorsese. Manche Kameraeinstellungen übernahm der amerikanische Meisterregisseur. Und so ist Fassbinder auch in einigen Scorsese-Filmen präsent.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Fassbinder strahlt auch nach Asien aus: Wong Kar-Wai

    In Asien ist es der in Shanghai geborene Regisseur Wong Kar-Wai, der Fassbinder am nächsten steht. Der für seine wunderschönen Bild-Tableaus bekannte Regisseur (“In the Mood for Love”) sagte einst in einem Interview auf die Frage, was er am Deutschen am meisten schätzte: “Wie er seine Frauen inszeniert. Es sind starke Frauen, und er verwickelt sie stets in ein melodramatisches Geschehen.”

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Fassbinder-Fan Bong Joon-ho

    Auch Bong Joon-ho ist ein Bewunderer des deutschen Regisseurs. Für “Parasite” (unser Bild) über unterschiedliche Familienentwürfe gewann er 2019 die Goldene Palme sowie mehrere Oscars. In einem Interview mit der Zeitung “SZ” sagte der Regisseur: “Mangel, Lust und Gier beeinflussen Menschen und Familien.” Das sei ein gutes Thema, das Fassbinder beherrscht habe. Er bewundere den Regisseur sehr.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Auf Fassbinders Spuren in Deutschland: Fatih Akin

    Und in der Heimat? Auch hier lassen sich natürlich Spuren im Werk so mancher Regisseure nachverfolgen. Fatih Akin zum Beispiel besetzte die Hauptrolle in seinem Film “Auf der anderen Seite” (2007) mit der Fassbinder-Schauspielerin Hanna Schygulla – kein Zufall: “Er hat mich an den jungen Fassbinder erinnert”, sagte Schygulla bei der Premiere: Beeindruckt habe sie “diese Wildheit, diese Naivität”.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Kraftfeld Emotionen bei Akin

    Kraftvoll, von wilder Emotion – die Filme Fassbinders haben viel mit den Melodramen des Fatih Akin zu tun. Auch thematisch lassen sich Parallelen entdecken. Akin, Sohn türkischer Eltern, aufgewachsen in Hamburg, widmete sich in seinen Filmen dem Zusammenprall der Kulturen – wie hier in “Aus dem Nichts”. Fassbinders “Angst essen Seele auf” war 1974 einer der ersten Filme, der das Thema aufgriff.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Im Geiste Fassbinders: Oskar Roehler

    Doch es ist ein anderer deutscher Regisseur, den viele Experten als Fassbinder am nächsten stehend bezeichnen: Oskar Roehler. Und in der Tat: Roehlers Filme sprudeln vor Emotionalität, schießen manchmal übers Ziel hinaus. Charaktere und dramaturgische Linien haben oft etwas Überdrehtes, manchmal Manieriertes. Und doch sind es – wie bei Fassbinder – Filme über bundesdeutsche Gefühlswelten.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Männer in Leder: “Tod den Hippies! Es lebe der Punk!”

    Nein, das ist nicht der junge Fassbinder, es ist der Schauspieler Frederick Lau in Roehlers Film “Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!”. Fassbinders liebstes Utensil war die Lederjacke: Die Charaktere in Roehlers Film sind ferne Verwandte des 1982 verstorbenen Regisseurs. “Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!” spielt zu Beginn der 80er Jahre, seine rohe Künstlichkeit verstrahlt Fassbinder-Charme.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Fassbinder-Film von Oskar Roehler

    Und so ist es auch kein Zufall, dass Oskar Roehler Episoden aus dem Leben des deutschen Filmregisseurs Rainer Werner Fassbinder als Spielfilm in Szene gesetzt hat. “Enfant Terrible” heißt sein über zweistündiges Fassbinder-Porträt, in dem der Schauspieler Oliver Masucci den Regisseur überzeugend darstellt. “Enfant Terrible” greift die frühen Jahre Fassbinders auf und kommt im Oktober in die Kinos.

    Autorin/Autor: Jochen Kürten


  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Früh verstorbenes Kinogenie

    Fassbinder wurde nur 37 Jahre alt. Doch in seiner kurzen Schaffenszeit drehte er 44 Filme. Er gehört zu den wichtigsten Filmregisseuren der deutschen Nachkriegsgeschichte. Und obwohl seine Filme einzigartig sind, ist Fassbinder doch Teil der internationalen Kinogeschichte. Er hatte filmische Vorbilder – und beeinflusste Regisseure nachfolgender Generationen im In- und Ausland.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Vorbild Douglas Sirk

    Fassbinders größtes Vorbild war der Hamburger Detlef Sierck. Sierck drehte 1937 mit Zarah Leander in Deutschland Filme wie “Zu neuen Ufern” und “La Habanera”. Weil er mit einer Jüdin verheiratet war, verließ er Nazi-Deutschland und ging in die USA. In Hollywood gab er sich den Namen Douglas Sirk und drehte Melodramen wie “Die wunderbare Macht” (1954) mit Jane Wyman und Rock Hudson.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Douglas Sirk – Meister des Melodramas

    Sirk habe Filme gemacht, “die alle so waren, wie ich sie selber gern gemacht hätte”, hat Fassbinder einmal gesagt. Im Winter 1970/71 besuchte er sein großes Vorbild in Ascona, wo Sirk damals lebte. An den Melodramen Sirks – hier “Was der Himmel erlaubt” – habe er geschätzt, dass dieser Regisseur die Menschen geliebt und sie niemals karikiert habe, so Fassbinder in einem Interview.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Auf den Spuren Fassbinders: Pedro Almodóvar

    So wie Fassbinder Elemente aus dem Werk Sirks aufleben ließ, so griffen europäische Regisseure wie Pedro Almodóvar (hier eine Szene aus “Labyrinth der Leidenschaften”) wiederum Stilmittel Fassbinders auf. Der Spanier entdeckte Fassbinders Filme in jungen Jahren in Madrid und war fasziniert. Insbesondere dessen Einsatz von Schauspielern gegen eingefahrene Rollenerwartungen schätzte Almodóvar.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Wirrwar der Gefühle bei Almodóvar

    Vor allem Almodóvars Frühwerk erinnert an die Filme Fassbinders. Starke und aufgedrehte Frauen, Männer zwischen maskulinem Anspruch und versteckter Sensibilität – auf all das trifft man in den Filmen beider Regisseure. Das Thema Homosexualität und die Spannung zwischen den Geschlechtern sind stets präsent – nicht selten werden diese grell und überspitzt, aber immer auch menschlich dargestellt.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Blühende Gefühlswelten bei François Ozon

    Ist Almodóvar Fassbinders größter Fan aus dem spanischsprachigen Raum, so heißt sein französisches Pendant François Ozon. Auch hier trifft man, insbesondere im Frühwerk des Regisseurs, auf viele filmische und thematische Parallelen. Der Film “Tropfen auf heiße Steine” (2000) entstand sogar nach einem Fassbinder-Bühnenstück aus dem Jahr 1966.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Starke Frauen auch bei Ozon

    Auch ein Film wie Ozons “8 Femmes” hat viel mit dem filmischen Kosmos des Deutschen zu tun. Starke, energiegeladene Frauen, divenhaftes Auftreten, kapriziöses Benehmen – ganz unterschiedliche Charaktere, die freilich alle eines eint: pure Emotion, mal offen ausgelebt, mal verhüllt hinter maskenhaftem Auftreten. Ozons weibliche Protagonisten erinnern an so manche Charaktere aus Fassbinders Filmen.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Fassbinder auch in Hollywood anerkannt: Todd Haynes

    Schaut man in die USA, wo das Werk Rainer Werner Fassbinders in Filmkunstkinos schon früh präsent war und vielen Filmstudenten nahegebracht wurde, trifft man schnell auf den Regisseur Todd Haynes. Auch er ist ein Fan des Deutschen, auch Haynes Figuren erinnern immer wieder an Fassbinders vor allem weibliche Charaktere. Hier eine Szene mit Cate Blanchett und Rooney Mara aus dem Melodrama “Carol”.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Indirekter Einfluss: Michael Ballhaus und Martin Scorsese

    Wie beeinflusst ein deutscher Filmregisseur Hollywood? Die Antwort ist einfach. Der Kameramann Michael Ballhaus (l.) war jahrelang für Fassbinder tätig und entwarf innovative Einstellungen. Dann ging er in die USA und wurde zum Stammkameramann von Martin Scorsese. Manche Kameraeinstellungen übernahm der amerikanische Meisterregisseur. Und so ist Fassbinder auch in einigen Scorsese-Filmen präsent.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Fassbinder strahlt auch nach Asien aus: Wong Kar-Wai

    In Asien ist es der in Shanghai geborene Regisseur Wong Kar-Wai, der Fassbinder am nächsten steht. Der für seine wunderschönen Bild-Tableaus bekannte Regisseur (“In the Mood for Love”) sagte einst in einem Interview auf die Frage, was er am Deutschen am meisten schätzte: “Wie er seine Frauen inszeniert. Es sind starke Frauen, und er verwickelt sie stets in ein melodramatisches Geschehen.”

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Fassbinder-Fan Bong Joon-ho

    Auch Bong Joon-ho ist ein Bewunderer des deutschen Regisseurs. Für “Parasite” (unser Bild) über unterschiedliche Familienentwürfe gewann er 2019 die Goldene Palme sowie mehrere Oscars. In einem Interview mit der Zeitung “SZ” sagte der Regisseur: “Mangel, Lust und Gier beeinflussen Menschen und Familien.” Das sei ein gutes Thema, das Fassbinder beherrscht habe. Er bewundere den Regisseur sehr.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Auf Fassbinders Spuren in Deutschland: Fatih Akin

    Und in der Heimat? Auch hier lassen sich natürlich Spuren im Werk so mancher Regisseure nachverfolgen. Fatih Akin zum Beispiel besetzte die Hauptrolle in seinem Film “Auf der anderen Seite” (2007) mit der Fassbinder-Schauspielerin Hanna Schygulla – kein Zufall: “Er hat mich an den jungen Fassbinder erinnert”, sagte Schygulla bei der Premiere: Beeindruckt habe sie “diese Wildheit, diese Naivität”.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Kraftfeld Emotionen bei Akin

    Kraftvoll, von wilder Emotion – die Filme Fassbinders haben viel mit den Melodramen des Fatih Akin zu tun. Auch thematisch lassen sich Parallelen entdecken. Akin, Sohn türkischer Eltern, aufgewachsen in Hamburg, widmete sich in seinen Filmen dem Zusammenprall der Kulturen – wie hier in “Aus dem Nichts”. Fassbinders “Angst essen Seele auf” war 1974 einer der ersten Filme, der das Thema aufgriff.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Im Geiste Fassbinders: Oskar Roehler

    Doch es ist ein anderer deutscher Regisseur, den viele Experten als Fassbinder am nächsten stehend bezeichnen: Oskar Roehler. Und in der Tat: Roehlers Filme sprudeln vor Emotionalität, schießen manchmal übers Ziel hinaus. Charaktere und dramaturgische Linien haben oft etwas Überdrehtes, manchmal Manieriertes. Und doch sind es – wie bei Fassbinder – Filme über bundesdeutsche Gefühlswelten.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Männer in Leder: “Tod den Hippies! Es lebe der Punk!”

    Nein, das ist nicht der junge Fassbinder, es ist der Schauspieler Frederick Lau in Roehlers Film “Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!”. Fassbinders liebstes Utensil war die Lederjacke: Die Charaktere in Roehlers Film sind ferne Verwandte des 1982 verstorbenen Regisseurs. “Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!” spielt zu Beginn der 80er Jahre, seine rohe Künstlichkeit verstrahlt Fassbinder-Charme.

  • Inspiration und Inspirierter: Rainer Werner Fassbinder

    Fassbinder-Film von Oskar Roehler

    Und so ist es auch kein Zufall, dass Oskar Roehler Episoden aus dem Leben des deutschen Filmregisseurs Rainer Werner Fassbinder als Spielfilm in Szene gesetzt hat. “Enfant Terrible” heißt sein über zweistündiges Fassbinder-Porträt, in dem der Schauspieler Oliver Masucci den Regisseur überzeugend darstellt. “Enfant Terrible” greift die frühen Jahre Fassbinders auf und kommt im Oktober in die Kinos.

    Autorin/Autor: Jochen Kürten


Deutschland hat Fassbinder nie übermäßig geliebt. Nicht seine Filme und wohl auch nicht seinen Lebensstil. Natürlich weiß man auch hierzulande von der Bedeutung des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder, der nach einem kurzen und produktiven Leben mit 37 Jahren starb. Über 40 abendfüllende Filme hat er in den Jahren 1969 bis zum Tod 1982 gedreht, eine kaum vorstellbare Produktivität.  Abgerungen hat sich Fassbinder diese Arbeitswut mit viel Alkohol und Drogen. Das hatte seinen Preis. 

Rainer Werner Fassbinder und der “Neue Deutsche Film”

Fassbinder wendete sich gegen das alte kommerzielle Kino der Bundesrepublik, das stilistisch wie inhaltlich dem Kino der 1950er Jahre verhaftet war: Es dominierten Winnetou- und Sexfilme, Heimatschnulzen und Streifen über den Zweiten Weltkrieg, die keine ehrliche Aufarbeitung zuließen.

Der “Neue Deutsche Film”, wie jene ästhetisch-inhaltliche Film-Revolution genannt wird, wäre ohne den Namen Fassbinder nicht denkbar.

Geboren vor 75 Jahren, am 31. Mai 1945 im bayrischen Bad Wörishofen, besuchte Fassbinder nie eine Filmschule. Er wurde zum Autodidakten. Vielleicht hat gerade das ihn stark und mutig gemacht. Fassbinder machte, was er wollte. Seine Filme waren ästhetisch radikal und oft von großer Künstlichkeit. Das Publikum wollte ihm lange nicht folgen. Erst mit seinen letzten Filmen änderte sich das.

Fassbinder eckt an – auch mit seiner Homosexualität

Weder in seine filmischen Konzepte noch in seinen Lebensstil, ließ er sich hineinreden. Fassbinders Homosexualität, die sowohl in seinen Filmen als auch in der Öffentlichkeit thematisiert wurde, stieß im gesellschaftlichen Klima im Deutschland der 1970er Jahre auf viele Vorbehalte. Fassbinder war ein radikaler Außenseiter in einer bürgerlichen Gesellschaft.

1969 inszenierte er seinen ersten Spielfilm “Liebe ist kälter als der Tod”, da hatte er schon einige Theatererfahrungen hinter sich. Fassbinder war ein Allroundgenie: Er inszenierte Filme und Theaterstücke, schrieb Dramen und Drehbücher, machte Hörspiele und trat zudem als Schauspieler auf. Fassbinder tanzte in seiner kurzen, intensiven Schaffenszeit auf sehr vielen künstlerischen Hochzeiten.

TV, Kino, Theater, Bücher, Hörspiele – aber immer etwas anders

Auf diese ungeheure Vielfalt und permanente Bereitschaft, etwas Neues zu entwickeln, weist der Fassbinder-Experte Michael Töteberg im DW-Gespräch hin: “Er hat sehr viele Medien bespielt, aber immer mit Blick auf das Medium, immer etwas anders gemacht, als das Genre es vorgab.” Er habe nie eine Art “Zweitverwertung” betrieben, nach dem Motto: Aus einem Theaterstück mache ich jetzt auch einen Film, aus einer Fernsehserie stelle ich eine Kinofassung her. So unterschieden sich beispielsweise die Film- und die TV-Version von “Bolwieser” (1976) erheblich.

“Bolwieser” mit Kurt Raab, einem Lieblingsschauspieler Fassbinders

Heute allerdings stehe Fassbinder vor allem für filmische Melodramen über deutsche Geschichte, was schade sei, sagt Töteberg. Schließlich sei Fassbinders Werk “sehr umfangreich und sehr vielfältig”.

International entdeckt wurde Fassbinder beim Festival in Cannes

Im Ausland sei dies früh und wohl auch besser verstanden worden, meint Michael Töteberg: “Ich denke, er hat im Ausland eine größere Bedeutung als hierzulande.” Ausgerechnet beim Filmfestival im französischen Cannes, wo die Deutschen normalerweise nicht hoch gehandelt werden, feierte Fassbinder 1974 mit “Angst essen Seele auf” den internationalen Durchbruch. Auch in den USA sei das Werk des Deutschen früh und intensiv rezipiert worden, sagt Töteberg.

Michael Töteberg

Nach der “Angst essen Seele auf”-Premiere in Cannes habe man sich in Deutschland die Augen gerieben und sich überrascht gefragt: “Ach, das interessiert auch die Leute im Ausland?” Heute könne man sagen: “Das Deutschlandbild im Ausland ist deutlich von Fassbinder geprägt.”

Hat nicht auch das ungestüme Leben Fassbinders mit Drogenkonsum und dem Ruf, am Set ein Wüterich zu sein und Freund wie Feind zu beschimpfen, das Bild des Künstlers Fassbinder verdeckt? Da sei sicher etwas dran, wiegelt Töteberg ab. Mit so einem “Klischee des genialen Monsters” komme man dem Phänomen Fassbinder aber nicht wirklich näher.

Themen wie Sexualität wurden von Fassbinder tabulos in Szene gesetzt

“Es ist erstaunlich, wie weit er doch seiner Zeit auch thematisch voraus war.” Viele Dinge, “die jetzt erst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind”, habe Fassbinder früh thematisiert, so der Fassbinder-Experte, der sich schon lange mit dem Künstler beschäftigt. “Wer hatte denn damals, in der Zeit des Films ‘In einem Jahr mit 13 Monden’ (1978, Anm. d. Red.), außerhalb einer Randgruppe tatsächlich von Transsexuellen gehört?” Das sei als “völlig bizarr und exotisch” wahrgenommen worden.

Thema Geschlechterwechsel: Volker Spengler in “In einem Jahr mit 13 Monden”

Fassbinder hat sich in vielen Filmen mit deutscher Historie und dem aktuellen Zeitgeschehen beschäftigt. Er habe dabei “nie Propaganda für diese Sachen gemacht, weder für linke noch für andere Politik, sondern, er hatte immer schon eine sehr distanzierte und kritische Haltung”, so Töteberg. Er sei in dieser Hinsicht nie naiv, keinen Illusionen aufgesessen gewesen.

Fassbinder: zwischen Arthouse und Kino für das große Publikum

Fassbinder habe zudem immer auch das große Publikum im Auge gehabt, sagt Töteberg, der bei seinen Forschungen Zugriff auf die Fassbinder-Archive hatte: “Er hatte vor, Johannes Mario Simmel (populärster deutscher Unterhaltungsschriftsteller zu Fassbinders Zeiten, Anm. d. Red.) zu verfilmen und zwar nicht in einer ironischen Haltung.”

Hanna Schygulla übernahm die Hauptrolle in “Die Ehe der Maria Braun”

Erwartungshaltungen hat Fassbinder nach Auffassung Tötebergs aber nie bedienen wollen: “Wenn er einen kommerziellen Erfolg hatte, hat er als nächstes einen Film gemacht, der eher verstörend war. Wenn die Leute gedacht haben: ‘Ach, er ist jetzt ja wirklich im Arthouse angekommen’, machte er etwas fürs Publikum. Das war durchgängig!”

Fassbinder sah sich selbst nicht als Genie

“Fassbinder hat selbst immer gesagt: Ich mache Sachen aus Sachen. Ich bin selbst nicht so ergiebig”, sagt Michael Töteberg.

Und was würde Rainer Werner Fassbinder heute machen, im digitalen Zeitalter 75 Jahre nach seiner Geburt? Serien drehen oder die “Sozialen Medien” bespielen? “Er würde so ziemlich alles machen”, sagt Töteberg: “Ich kann mir jedenfalls Rainer Werner Fassbinder, 75 Jahre alt, nicht als Rentner im Garten vorstellen.”

 

Zum Weiterlesen: “Rainer Werner Fassbinder transmedial”, herausgegeben von Werner C. Barg und Michael Töteberg, Schüren, 224 Seiten, ISBN 978-3-7410-0362-2.