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Rainer Werner Fassbinder: tabulos, kontrovers, genial

In nur 37 Jahren, die Regisseur Rainer Werner Fassbinder vergönnt waren, wurde er zum Aushängeschild des “Neuen Deutschen Films” – dabei ist sein Werk gerade in Deutschland umstritten. Vor 75 Jahren wurde er geboren.



Deutschland hat Fassbinder nie übermäßig geliebt. Nicht seine Filme und wohl auch nicht seinen Lebensstil. Natürlich weiß man auch hierzulande von der Bedeutung des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder, der nach einem kurzen und produktiven Leben mit 37 Jahren starb. Über 40 abendfüllende Filme hat er in den Jahren 1969 bis zum Tod 1982 gedreht, eine kaum vorstellbare Produktivität.  Abgerungen hat sich Fassbinder diese Arbeitswut mit viel Alkohol und Drogen. Das hatte seinen Preis. 

Rainer Werner Fassbinder und der “Neue Deutsche Film”

Fassbinder wendete sich gegen das alte kommerzielle Kino der Bundesrepublik, das stilistisch wie inhaltlich dem Kino der 1950er Jahre verhaftet war: Es dominierten Winnetou- und Sexfilme, Heimatschnulzen und Streifen über den Zweiten Weltkrieg, die keine ehrliche Aufarbeitung zuließen.

Der “Neue Deutsche Film”, wie jene ästhetisch-inhaltliche Film-Revolution genannt wird, wäre ohne den Namen Fassbinder nicht denkbar.

Geboren vor 75 Jahren, am 31. Mai 1945 im bayrischen Bad Wörishofen, besuchte Fassbinder nie eine Filmschule. Er wurde zum Autodidakten. Vielleicht hat gerade das ihn stark und mutig gemacht. Fassbinder machte, was er wollte. Seine Filme waren ästhetisch radikal und oft von großer Künstlichkeit. Das Publikum wollte ihm lange nicht folgen. Erst mit seinen letzten Filmen änderte sich das.

Fassbinder eckt an – auch mit seiner Homosexualität

Weder in seine filmischen Konzepte noch in seinen Lebensstil, ließ er sich hineinreden. Fassbinders Homosexualität, die sowohl in seinen Filmen als auch in der Öffentlichkeit thematisiert wurde, stieß im gesellschaftlichen Klima im Deutschland der 1970er Jahre auf viele Vorbehalte. Fassbinder war ein radikaler Außenseiter in einer bürgerlichen Gesellschaft.

1969 inszenierte er seinen ersten Spielfilm “Liebe ist kälter als der Tod”, da hatte er schon einige Theatererfahrungen hinter sich. Fassbinder war ein Allroundgenie: Er inszenierte Filme und Theaterstücke, schrieb Dramen und Drehbücher, machte Hörspiele und trat zudem als Schauspieler auf. Fassbinder tanzte in seiner kurzen, intensiven Schaffenszeit auf sehr vielen künstlerischen Hochzeiten.

TV, Kino, Theater, Bücher, Hörspiele – aber immer etwas anders

Auf diese ungeheure Vielfalt und permanente Bereitschaft, etwas Neues zu entwickeln, weist der Fassbinder-Experte Michael Töteberg im DW-Gespräch hin: “Er hat sehr viele Medien bespielt, aber immer mit Blick auf das Medium, immer etwas anders gemacht, als das Genre es vorgab.” Er habe nie eine Art “Zweitverwertung” betrieben, nach dem Motto: Aus einem Theaterstück mache ich jetzt auch einen Film, aus einer Fernsehserie stelle ich eine Kinofassung her. So unterschieden sich beispielsweise die Film- und die TV-Version von “Bolwieser” (1976) erheblich.

“Bolwieser” mit Kurt Raab, einem Lieblingsschauspieler Fassbinders

Heute allerdings stehe Fassbinder vor allem für filmische Melodramen über deutsche Geschichte, was schade sei, sagt Töteberg. Schließlich sei Fassbinders Werk “sehr umfangreich und sehr vielfältig”.

International entdeckt wurde Fassbinder beim Festival in Cannes

Im Ausland sei dies früh und wohl auch besser verstanden worden, meint Michael Töteberg: “Ich denke, er hat im Ausland eine größere Bedeutung als hierzulande.” Ausgerechnet beim Filmfestival im französischen Cannes, wo die Deutschen normalerweise nicht hoch gehandelt werden, feierte Fassbinder 1974 mit “Angst essen Seele auf” den internationalen Durchbruch. Auch in den USA sei das Werk des Deutschen früh und intensiv rezipiert worden, sagt Töteberg.

Michael Töteberg

Nach der “Angst essen Seele auf”-Premiere in Cannes habe man sich in Deutschland die Augen gerieben und sich überrascht gefragt: “Ach, das interessiert auch die Leute im Ausland?” Heute könne man sagen: “Das Deutschlandbild im Ausland ist deutlich von Fassbinder geprägt.”

Hat nicht auch das ungestüme Leben Fassbinders mit Drogenkonsum und dem Ruf, am Set ein Wüterich zu sein und Freund wie Feind zu beschimpfen, das Bild des Künstlers Fassbinder verdeckt? Da sei sicher etwas dran, wiegelt Töteberg ab. Mit so einem “Klischee des genialen Monsters” komme man dem Phänomen Fassbinder aber nicht wirklich näher.

Themen wie Sexualität wurden von Fassbinder tabulos in Szene gesetzt

“Es ist erstaunlich, wie weit er doch seiner Zeit auch thematisch voraus war.” Viele Dinge, “die jetzt erst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind”, habe Fassbinder früh thematisiert, so der Fassbinder-Experte, der sich schon lange mit dem Künstler beschäftigt. “Wer hatte denn damals, in der Zeit des Films ‘In einem Jahr mit 13 Monden’ (1978, Anm. d. Red.), außerhalb einer Randgruppe tatsächlich von Transsexuellen gehört?” Das sei als “völlig bizarr und exotisch” wahrgenommen worden.

Thema Geschlechterwechsel: Volker Spengler in “In einem Jahr mit 13 Monden”

Fassbinder hat sich in vielen Filmen mit deutscher Historie und dem aktuellen Zeitgeschehen beschäftigt. Er habe dabei “nie Propaganda für diese Sachen gemacht, weder für linke noch für andere Politik, sondern, er hatte immer schon eine sehr distanzierte und kritische Haltung”, so Töteberg. Er sei in dieser Hinsicht nie naiv, keinen Illusionen aufgesessen gewesen.

Fassbinder: zwischen Arthouse und Kino für das große Publikum

Fassbinder habe zudem immer auch das große Publikum im Auge gehabt, sagt Töteberg, der bei seinen Forschungen Zugriff auf die Fassbinder-Archive hatte: “Er hatte vor, Johannes Mario Simmel (populärster deutscher Unterhaltungsschriftsteller zu Fassbinders Zeiten, Anm. d. Red.) zu verfilmen und zwar nicht in einer ironischen Haltung.”

Hanna Schygulla übernahm die Hauptrolle in “Die Ehe der Maria Braun”

Erwartungshaltungen hat Fassbinder nach Auffassung Tötebergs aber nie bedienen wollen: “Wenn er einen kommerziellen Erfolg hatte, hat er als nächstes einen Film gemacht, der eher verstörend war. Wenn die Leute gedacht haben: ‘Ach, er ist jetzt ja wirklich im Arthouse angekommen’, machte er etwas fürs Publikum. Das war durchgängig!”

Fassbinder sah sich selbst nicht als Genie

“Fassbinder hat selbst immer gesagt: Ich mache Sachen aus Sachen. Ich bin selbst nicht so ergiebig”, sagt Michael Töteberg.

Und was würde Rainer Werner Fassbinder heute machen, im digitalen Zeitalter 75 Jahre nach seiner Geburt? Serien drehen oder die “Sozialen Medien” bespielen? “Er würde so ziemlich alles machen”, sagt Töteberg: “Ich kann mir jedenfalls Rainer Werner Fassbinder, 75 Jahre alt, nicht als Rentner im Garten vorstellen.”

 

Zum Weiterlesen: “Rainer Werner Fassbinder transmedial”, herausgegeben von Werner C. Barg und Michael Töteberg, Schüren, 224 Seiten, ISBN 978-3-7410-0362-2.

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