Textilindustrie: Der globalisierte Corona-Schock

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Während Europas Textilbranche versucht, mit den Folgen der Corona-Krise klarzukommen, kämpfen die Produzenten in asiatischen Billiglohnländern ums Überleben. Am schlimmsten trifft es Myanmar, Kambodscha und Bangladesch.

“Jeden Tag bekommen wir Stornierungen herein, fast schon im Minutentakt”, sagt Rubana Huq, Chefin der Bangladesh Garment Manufacturers & Exporters Association (BGMEA), einer der führenden Verbände der Textilbranche in Bangladesch.

Das südasiatische Land ist wie kaum ein anderes von einer weltweit florierenden Textilkonjunktur abhängig: Geht es den Mode-Unternehmen, die in Bangladesch nähen lassen, gut, dann verdienen auch die Fabrikeigentümer gutes Geld – und die Arbeiterinnen können sich und ihre Familien mit ihren Jobs als Näherinnen einigermaßen über Wasser halten. Doch wenn Kontakte wegen der Corona-Pandemie eingeschränkt, Menschen zu Hause bleiben und Läden dichtgemacht werden müssen, dann geht es auch den Auftraggebern in Europa oder den USA schlecht. Und immer mehr Konzerne wie Gap, H&M, Zara oder Primark stoppen die Aufträge für Jeans und Pullis, die sich schlicht und einfach nicht mehr verkaufen lassen, solange ihre Läden wegen der Corona-Krise geschlossen sind – mit massiven Folgen für Länder wie Myanmar, Kambodscha oder Bangladesch.

Bangladeschs große Abhängigkeit

Bangladesch ist nach China die weltweite Nummer Zwei unter den Bekleidungsproduzenten. Allein in diesem Geschäftsjahr droht dem Land ein Verlust von rund sechs Milliarden Dollar an Exporterlösen, weil immer mehr große Markenhersteller und Textil-Einzelhandelsketten im Westen ihre Aufträge stornieren.

Das geht aus den Berechnungen der beiden größten Verbände der Textilbranche in Bangladesch hervor, die die große Mehrheit der Hersteller von Konfektionskleidung und Strickwaren im Land vertreten. Die Zahlen bergen erheblichen sozialen Sprengstoff: Je nach Länge der wirtschaftlichen Zwangspause könnten Millionen von Menschen in Bangladesch ihre Jobs verlieren.

Niedrige Löhne waren der Treibstoff beim Aufbau der Bekleidungsindustrie des südasiatischen Landes. In den den rund 4000 Fabriken arbeiten etwa vier Millionen Menschen. Allein im letzten Geschäftsjahr, das im Juni 2019 zu Ende ging, machten die Textilausfuhren im Wert von 34,1 Milliarden Dollar 84 Prozent der Gesamtexporte von Bangladesch aus.

Im laufenden Geschäftsjahr ist daran nicht zu denken, sagt Mohammad Hatem. “Wir haben durch die Krise mehr als drei Milliarden Dollar verloren. Alle unsere Bestellungen bis Juli 2020 wurden annulliert oder storniert”, beklagt der Vizepräsident des Verbandes der Strickwarenhersteller und Exporteure von Bangladesch (BGMEA).

“Verschobene Aufträge werden am Ende storniert. All diese Bestellungen wurden für den Sommer aufgegeben, und es dauert drei Monate, bis die Ware geliefert wird. Wenn unsere Auftraggeber jetzt keine Lieferungen annehmen, dann werden sie erst recht keine Ware annehmen, wenn der Sommer vorbei ist”, sagt Hatem. “Viele Fabriken werden dicht machen müssen, wenn das so weitergeht.”

Unter vorgehaltener Hand bestätigt ein Brancheninsider, dass große Textileinzelhandelsketten wie Gap aus den USA, Zara aus Spanien oder die irisch-britische Primark zu den Unternehmen gehören, die Aufträge storniert haben. Gap und Zara schweigen bislang zu den Vorgängen, während der Textildiscounter Primark den Schritt bestätigt hat.

Seit alle Primark-Geschäfte geschlossen seien, verliere das Unternehmen pro Monat mehr als 800 Millionen Dollar, hieß es in einer Erklärung des Unternehmens, dessen Mutterkonzern Associated British Foods in London ist.

“Wir haben große Mengen an Ware in unseren Geschäften, in unseren Lagern und auf dem Transportweg, für die wir bezahlt haben”, erklärt Primark. “Hätten wir diese Maßnahme nicht ergriffen, würden wir Ware ordern, die wir nicht verkaufen können.”

Für die Bekleidungshersteller in Bangladesch ist das ein Desaster, warnt Rubana Huq, vom Branchenverband BGMEA. Etwa 1048 Fabriken, die Mitglied im BGMEA sind, haben laut Huq angegeben, dass die Bestellungen von mehr als 900 Millionen Kleidungsstücken im Wert von 2,9 Milliarden Dollar storniert wurden oder sich in der Warteschleife befinden.

H&M tritt auf die Kostenbremse

Der schwedische Textileinzelhändler H&M gab gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters an, dass das Unternehmen schon frühzeitig weniger Ware bestellt habe, aber kein erteilter Auftrag storniert worden sei. Außerdem werde H&M für alle bestellten Waren wie vereinbart bezahlen, teilte das Unternehmen mit. “Der erhebliche Rückgang bei der weltweiten Nachfrage hat signifikante Auswirkungen auf unsere Auftragsvergabe an Lieferanten”, hieß es weiter. “Wir erteilen Aufträge auf der Grundlage aktueller Prognosen und werden die Situation weiterhin täglich bewerten.” Mittlerweile bereitet der schwedische Textilriese seine Mitarbeiter auf Kurzarbeit und Beurlaubungen vor, wie die schedische Zeitung “Dagens Industri” berichtete.  

Näherinnen in der Textilfabrik in der Nähe von Phnom Penh, Kambodscha

Kambodschas doppeltes Problem

In Kambodscha sieht es nicht viel besser aus: Mindestens 91 Bekleidungsfabriken haben dort wegen der Auswirkungen der Coronakrise die Arbeit eingestellt, 61.500 Beschäftigte seien davon betroffenen, gab ein Sprecher des Arbeitsministeriums in der Hauptstadt Phnom Penh in dieser Woche bekannt.

Fast jede sechste Fabrik in Kambodschas sieben Milliarden Dollar schwerer Bekleidungs- und Schuhindustrie habe bereits geschlossen. Hier lassen globale Marken wie H&M, Adidas, Puma und Levi Strauss produzieren. Mit etwa 850.000 Beschäftigten ist die Branche größter Arbeitgeber des Landes. Der Sprecher des Arbeitsministeriums, Heng Sour, kündigte an, dass die kambodschanische Regierung für den Ausfall der Gehälter der betroffenen 61.500 Beschäftigten wenigstens zum Teil aufkommen will.

“Dies sind außergewöhnlich herausfordernde Zeiten, doch Bekleidungsmarken, die vor schwierigen Geschäftsentscheidungen stehen, um die COVID-19-Krise zu überstehen, sollten die Fabrikarbeiterinnen, die ihre Markenprodukte herstellen, nicht im Stich lassen”, fordert Aruna Kashyap von Human Rights Watch (HRW).

“Die großen Marken sollten Maßnahmen ergreifen, um die verheerenden wirtschaftlichen Folgen für die Bekleidungsarbeiterinnen in ihren globalen Lieferketten und für ihre Familien, die zum Überleben auf dieses Einkommen angewiesen sind, zu minimieren”, fordert die Frauenrechtlerin.

Die Coronakrise ist aber nicht das einzige Problem für die Textilarbeiterinnen in dem südostasiatischen Land. “Für die Beschäftigten in Kambodscha kommt erschwerend hinzu, dass die Europäische Union dem Land ab Mitte des Jahres die Zollvorteile der Everything but Arms-Initiative (EBA) entzogen hat”, erklärt Sofie Jokerst von der Nichtregierungsorganisation Südwind. Die Regelung ermöglicht armen Ländern die zollfreie Einfuhr von allen Waren außer Waffen in die EU. Wenn die Regierungen der Partnerländer aber gegen demokratische Grundsätze oder die Einhaltung der Menschenrechte verstoßen, kann der EBA-Status jederzeit von Brüssel widerrufen werden.

Selbst wenn die Corona-Krise in der zweiten Jahreshälfte 2020 vorbei sein sollte, sei es schon deshalb unwahrscheinlich, dass Kambodscha an die Exportzahlen der Jahre vor der Krise anknüpfen kann. “Ein Fünftel der kambodschanischen Exporte in die EU müssen dann verzollt werden und werden teurer”, so Jokerst.

Sorgen auch in Myanmar

Auch Myanmar ist von der weltweiten Absatzflaute für Bekleidung betroffen. Nach Angaben von Human Rights Watch hätten dort bereits 20.000 Frauen und Männer ihre Stelle verloren. Nach Japan ist Deutschland der wichtigste Absatzmarkt für Textilien “Made in Myanmar”.

In Kambodscha kursieren Schätzungen, wonach die Jobs von 200.000 Menschen in der Textilindustrie bedroht sind. Und in Bangladesch sollen HWR zufolge bereits etwa eine Million Arbeiterinnen und Arbeiter in der Textilindustrie entlassen oder vorübergehend freigestellt worden sein.

In Bangladesh versucht die Regierung, ihre wichtigste Exportbranche am Leben zu halten. Bei dem von den Behörden für die 160 Millionen Einwohner bis zum 11. April verlängerten Lockdown ist der Textilsektor – zusammen mit der Pharmabranche des Landes – ausdrücklich ausgenommen.

“Wenn die Besitzer der Textilfabriken das wollen, können sie ihre Produktionsstätten weiter laufen lassen, solange die angemessenen Gesundheitsbestimmungen eingehalten werden”, gab Handelsminister Tipu Munshi bekannt. Ohne Aufträge dürfte diese Ausnahmeregelung aber weder die Eigentümer noch ihre Beschäftigten trösten.