Coronavirus: Ist Sport im Freien gesund oder ein Risiko?

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Die Jogging-Runde am Fluss, die Radtour im Wald oder Fitnessübungen im Park: Sport an der frischen Luft ist gesund. Aber gilt das auch in Zeiten der Corona-Pandemie? Fragen und Antworten für alle Sportler.

Ein sonniger Nachmittag in Bonn. Das Wasser des Rheins kräuselt sich im Wind und reflektiert das gleißende Licht der Frühlingssonne. Kaum ein Schiff fährt über die breite Wasserstraße, die zu den verkehrsreichsten der Welt gehört. Am Ufer ist dafür umso mehr los. Die schmale Promenade ist dicht bevölkert: Spaziergänger mit Kinderwagen, Inlineskater, Jogger und Radfahrer schlängeln sich über das mal mehr, mal weniger breite Asphaltband neben dem Fluss. Sie sind allein, zu zweit oder als Familie unterwegs, halten sich ganz überwiegend an die in Deutschland geltende Kontaktsperre. Doch in der Summe sind es hier und da so viele, dass der Platz knapp wird. Social Distancing und Mindestabstand? An manchen Stellen der Rheinpromenade unmöglich.

So wie hier sieht es bei gutem Wetter an vielen Orten in Deutschland aus: Parks und Grünanlagen in den Ballungsräumen sind gut besucht, fast so als gäbe es keine weltweite Coronavirus-Pandemie. Zwar gibt es inzwischen kaum noch Gruppen, die zusammensitzen oder grillen, doch noch immer sind viele Menschen draußen. Der Frühling lockt hierzulande mit seinen milden Temperaturen, viele wollen den Kopf von Homeoffice und Kinderbetreuung in den eigenen vier Wänden frei bekommen. Und Sport an der frischen Luft ist ja gesund – oder etwa nicht?

Darf ich aktuell noch draußen Sport treiben?

Das kommt ganz darauf an, wo man sich befindet. Die Gesetzeslage ist international höchst unterschiedlich. Beispielsweise herrschen in Spanien, Italien, Indien oder Israel strikte Ausgangssperren, die auch Individualsport fast ausnahmslos verbieten. So kontrolliert die spanische Polizei auch Jogger oder Radfahrer und schickt sie umgehend wieder nach Hause – Strafzettel inklusive. Einige Länder oder Regionen wie Belgien oder Bayern erlauben den Bewohnern Individualsport nur noch in ihrem Ort oder Landkreis, was manchen Sportler auf kuriose Ideen bringt: Ein belgischer Radsportler aus Kortrijk fuhr eine 200-Kilometer-Tour im Stadtgebiet und nahm dabei so ziemlich jede Straße und jeden Feldweg mit.

Frankreich und Großbritannien haben ähnliche Bestimmungen, bleiben dabei aber mehr oder weniger schwammig: Auf der britischen Insel ist eine Form von sportlicher Aktivität pro Tag erlaubt, bei der man “lokal bleiben” soll, in Frankreich sei “ein bisschen sportliche Aktivität” erlaubt, betont Staatspräsident Emmanuel Macron, allerdings nur im engen Umkreis ums eigene Zuhause.

Alleine (oder mit Hund) ist Sport vielerorts erlaubt

In anderen Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden oder in Deutschland bleibt Individualsport explizit als Teil der Gesundheitsprävention erlaubt. In Deutschland dürfen maximal zwei Sportlerinnen bzw. Sportler gemeinsam trainieren, sollten aber Abstand einhalten. Sport in Gruppen ist inzwischen in vielen Ländern der Welt untersagt. Fitnessstudios, das Mannschaftstraining im Verein, der Volkslauf am Wochenende – all das gilt als riskant und ist daher von vielen Behörden inzwischen untersagt worden. In der stark vom Coronavirus betroffenen US-Metropole New York wird den Bürgern aktuell nur “nahegelegt”, auf Kontaktsportarten wie Basketball zu verzichten.

Sollte ich aktuell besser ganz auf Sport verzichten?

Nein. Sport und regelmäßige Bewegung sind wichtig für unsere Gesundheit und auch das Immunsystem, das in diesen Tagen gut gewappnet sein sollte. Denn Menschen mit einer robusten Abwehr haben im Falle einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus nach Erkenntnissen von Medizinern weitaus bessere Chancen auf einen milden Verlauf der Krankheit Covid-19. Und genau darum geht es: Da es bislang keine zugelassene Impfung oder Therapie gegen das Virus gibt, muss der eigene Körper diesen Kampf selbst bestehen. Sport kann dazu beitragen, diesen Kampf zu gewinnen. Ohnehin empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO Erwachsenen mindestens 150, besser sogar mindestens 300 Minuten Ausdauersport pro Woche, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck, Krebs oder Depressionen vorzubeugen.

Diese Ratschläge gelten auch und gerade in Zeiten der Pandemie: “Sport ist förderlich für die Gesundheit, auch jetzt”, stellt Prof. Jonas Schmidt-Chanasit im DW-Interview klar. Der Virologe vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg warnt Menschen, die sich zuhause in der Isolation gar nicht mehr bewegen vor “Stress-Situationen, die zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führen können”. Sein Kollege Christian Drosten von der Berliner Charité ergänzt im Corona-Podcast des NDR den mentalen Aspekt der Bewegung: “Es ist wichtig, dass die Menschen Sport machen können, viele Menschen finden darin eine große psychische Stabilität, dass sie alle zwei, drei Tage mal die Laufschuhe schnüren und für eine halbe Stunde oder Stunde laufen gehen.”

Aber ist Sport im Freien nicht ein Risiko?

Die Tatsache, dass manche Staaten auch Sport an der frischen Luft verbieten, legt den Schluss nahe, dass auch davon ein Risiko ausgehen kann. In der Tat führen sportliche Aktivitäten häufig zu sozialen Kontakten, die aktuell unbedingt zu vermeiden sind. Auch atmen Menschen beim Sport tiefer ein und aus, um ihre Muskeln mit dem benötigten Sauerstoff zu versorgen. Ist der vorbeihechelnde Radfahrer oder die schnaufende Joggerin ein paar Meter weiter also ein Viren-Risiko? In den allermeisten Fällen nein.

“Es ist niemand gefährdet, der alleine durch den Park joggt oder einen Spaziergang macht. Davon geht überhaupt keine Gefahr aus”, sagt Schmidt-Chanasit. Es werde immer erst dann gefährlich, wenn sich eine größere Ansammlung von Menschen längere Zeit an einem Ort aufhalte. Das Vorbeilaufen anderer Menschen sei kein Problem, so lange dabei der Abstand gewahrt bleibe, so der Hamburger Virologe. Außerdem wichtig: Nichts anfassen, was viele andere Menschen berühren, also zum Beispiel Trimm-Dich-Geräte oder Fitnessstangen im Park meiden und nach dem Sport die Hände waschen.

Sollte ich beim Sport eine Atemschutzmaske tragen?

Wer es schon einmal versucht hat, stellt schnell fest: Sport mit einer Atemschutzmaske macht in etwa so viel Spaß wie Joggen beim Versuch, die Luft anzuhalten. Wer viel Sauerstoff braucht und schwitzt, kommt mit einer Gesichtsmaske schnell an Grenzen. Aber ist dieser Schutz beim Sport im Freien überhaupt notwendig?

Einige Länder oder Regionen schreiben beim Sport Schutzmasken vor

“Nein”, sagt der Virologe Schmidt-Chanasit. “Das wäre absolut übertrieben. Draußen im Park schweben keine Infektionswolken durch die Gegend.” Wer sich an der frischen Luft bewege und große Menschenansammlungen meide, brauche keine Maske, so der Virologe. Anders sieht es aus, wenn der Gesetzgeber das Tragen der Maske verlangt: So müssen zum Beispiel die Menschen in der Slowakei oder in Vietnam Masken über Mund und Nase tragen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen – also auch beim Sport im Freien.

Wo sollte ich jetzt noch Sport treiben?

Zusammengefasst: Zuhause oder dort, wo nur wenige Menschen sind. Der Fitnesskurs bei Youtube, die Joggingrunde in der frühmorgendlich verwaisten Stadt oder die Mountainbiketour im Wald sind in den Regionen, in denen kein striktes Ausgangsverbot herrscht, nach wie vor möglich und ratsam. Denn nach Meinung nahezu aller Virologen geht es im Kern der Maßnahmen gegen Corona um die Vermeidung von direkten Kontakten, nicht um die Vermeidung von Bewegung.

Zur Not geht es auch mal drinnen…

Problematisch wird es, wenn alle das gleiche tun: Treffen sich – wie am Rhein in Bonn beobachtet – Dutzende Individualsportler auf einem schmalen Weg, fehlt der Platz für die nötige Distanz. Solche Szenen rufen auch die Politik auf den Plan: “Im Moment ist es einfach ein Risiko, wenn sich zu viele Menschen zusammenrotten und joggen gehen, auch wenn sie ursprünglich mal alleine von Zuhause aus losgelaufen sind”, warnt Dagmar Freitag (SPD), die den Sportausschuss im Deutschen Bundestag leitet.

“Im Interesse der Gesellschaft derer, die keine so robuste Gesundheit haben, sind wir alle gut beraten, die derzeitigen Einschränkungen hinzunehmen. Niemand wird gleich krank, wenn er mal vier Wochen lang etwas seltener joggen geht”, so Freitag im DW-Gespräch. Sie verweist darauf, dass die Menschen in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten noch relativ viele Freiheiten genießen. Jeder müsse im Interesse der gesamten Gesellschaft jetzt verantwortlich handeln.

Mitarbeit: Max Merrill