Frodeno-Coach Dan Lorang: “Der Ironman auf Hawaii ist nicht planbar”

0
293

Mit Anne Haug und Jan Frodeno starten zwei aussichtsreiche Triathleten von Coach Dan Lorang bei der Ironman-WM auf Hawaii. Was sie auszeichnet und warum das Rennen nicht planbar ist, erklärt Lorang im DW-Interview.

So schnell können Träume auf Hawaii platzen: Jan Frodeno mit Rückenproblemen 2017

Deutsche Welle: Herr Lorang, gleich zwei ihrer Athleten sind bei der Ironman-WM in Kailua-Kona ( am 12.10.2019 hier im DW-Liveticker) am Start: der zweimalige Hawaii-Sieger Jan Frodeno (2015, 2016) und die Vorjahresdritte Anne Haug. Wenn wir zuerst auf das Rennen der Frauen blicken, erwarten sie da die nächste Solo-Show von Vierfachsiegerin Daniela Ryf aus der Schweiz?

Ich denke im Normalfall wird es natürlich schon so sein, dass der Sieg erneut über sie geht. Dahinter hat die Leistungsdichte zugenommen. Ein paar Athletinnen, vielleicht sogar auch die Debütantin Laura Philipp, können näher herrankommen. Aber es gibt momentan nichts, was dagegen sprechen würde, dass Daniela hier wieder ein starkes Rennen abliefert und die dominierende Frau sein wird. Die Frage ist einfach nur: Was passiert dahinter? Da spielt auch die Renntaktik eine große Rolle. Es wird ein sehr spannendes Rennen um jede Position. Eine Prognose zu treffen, ist extrem schwierig.

Anne Haug war verletzt und konnte erst im August in Kopenhagen eine Langdistanz absolvieren, die allerdings in einer fantastischen Zeit. Was trauen Sie ihr zu?

Dan Lorang trainiert Hawaii-Topfavorit Jan Frodeno

Ihr dritter Platz als Hawaii-Debütantin im vergangenen Jahr war super und hat ihr Selbstvertrauen gegeben, dass sie auch unter diesen Hitzebedingungen Leistung bringen kann. Dass sie nun erst so spät ihren Startplatz in Kona sichern konnte, war nicht unsere Strategie. Da muss man auch im Training vorsichtig sein, damit die Sportlerin gesund an den Start kommt. Das heißt im Klartext: Sie hat jetzt nicht hundertprozentig das machen können wie im vergangenen Jahr. Trotzdem ist sie sehr gut drauf, was sie auch gezeigt hat. Durch ihre Verletzung konnten wir ein bisschen mehr auf dem Rad arbeiten. Wir hoffen, dass sie damit beim Radfahren noch ein bisschen stärker geworden ist. Ob es dann beim Laufen schlussendlich reicht, wird man erst im Wettkampf sehen.

Blicken wir auf die Männer: Anders als im vergangenen Jahr steht Ihr Athlet Jan Frodeno diesmal topfit an der Startlinie, Sebastian Kienle ebenfalls. Vorjahressieger Patrick Lange ist dagegen eine Wundertüte. Er hatte eine schwache Saison, dennoch darf man ihn in Kona nicht abschreiben, oder?

Würde man die Geschichte der vergangenen Jahre nicht kennen, würde man Patrick vielleicht nicht zu den Topfavoriten zählen, weil dieses Jahr andere Athleten deutlich bessere Leistungen gezeigt haben. Aber er hat eben schon bewiesen, dass er sich extrem auf diesen Höhepunkt konzentrieren kann. Dort herrschen Bedingungen, die ihm sehr gut liegen. Deshalb muss man ihn auf der Rechnung haben. Fest steht: Es gibt viele gute Männer, die dieses Jahr fabelhafte Zeiten abgeliefert haben. Das Männer-Rennen wird eine ganz enge Kiste. Ich glaube, da wird auch sehr viel mental passieren: Wie geht jeder mit dem Druck um, auch mit den unterschiedlichen Situationen im Rennen? Wer ist bereit, Risiko zu gehen und mehr zu investieren?

Das wird  taktisch sehr spannend. In einer Gruppe zu fahren, würde dem Lauf-Ass Lange zugutekommen. Heißt das, die guten Radfahrer müssen auf der Strecke attackieren?

Auf jeden Fall. Das ist sicherlich das Ziel, eine Lücke aufzureißen. Es gibt ja mehrere starke Läufer im Feld. Es werden sich auch Profis finden, die es auf dem Rad vielleicht allein versuchen, wie Sebastian Kienle oder der Australier Cameron Wurff. Doch zunächst wird bekanntermaßen geschwommen, und daraus ergibt eine gewisse Ausgangsposition. Erstmal zwei Minuten Rückstand aufzuholen, kostet auch Energie. Meiner Meinung nach gilt in diesem Jahr mehr als je zuvor: Der kompletteste Athlet wird gewinnen. Derjenige, der imstande ist seine Kräfte am besten einzuteilen, der dabei auf die Bedingungen Rücksicht nimmt und daran seine Taktik orientiert. 

Wie teilt Doppelweltmeister Jan Frodeno seine Kräfte ein – gibt es da von Ihnen als Coach genaue Vorgaben?

Das ist unterschiedlich. Es gibt Athleten, die eine ganz klare Ansage wollen und sich dann zu 90 Prozent daran halten. Und dann gibt es Athleten, mit denen wir vorher darüber sprechen, was möglich ist. Jan ist ein Sportler, der sich genau mit seinen Daten beschäftigt. Wir besprechen gewisse Taktiken. Im Wettkampf entscheidet er je nach Situation selbst. Er hat ein sehr gutes Körpergefühl und kann flexibel reagieren. Vor allem bei dem Rennen in Kona ist es extrem schwer, Vorhersagen so genau zu treffen, dass man beispielsweise Watt-Vorgaben für die Leistung auf dem Rad machen kann. Wenn es etwas wärmer oder kühler ist als gedacht, oder sich etwas an der Luftfeuchtigkeit ändert, macht das einen großen Unterschied. Ein Rennen in Europa ist planbarer.

Lorang-Schützling Emanuel Buchmann: Auf Augenhöhe mit der Weltspitze im Radsport

Sie betreuen auch Radprofi Emanuel Buchmann, den Dritten der diesjährigen Tour de France. Ebenfalls eine extreme Ausdauerleistung. In diesem Zusammenhang haben Sie die Bedeutung der mentalen Komponente betont. Mit steigender Wettkampfdauer wird sie immer wichtiger. Gilt das auch für den Marathon auf Hawaii?

Auf jeden Fall. Man muss sich vor Augen halten, dass die Spanne der Leistungsfähigkeit der Topathleten in den einzelnen Disziplinen vielleicht größer ist, aber in der Gesamtleistung nicht weit auseinander liegt. Der Unterschied kommt durch das Mentale. Wie kann ich über acht Stunden an meinem Limit performen? Wie gehe ich damit um, wenn etwas passiert, das ich mir vorher nicht ausgemalt habe? Ich würde sogar behaupten, es wird nicht unbedingt der Athlet gewinnen, bei dem man im Labor feststellen würde, dass er die höchste Leistungsfähigkeit hat. Es wird vielmehr der gewinnen, der vom Kopf her an diesem Tag am besten eingestellt ist. Der mit dieser Situation umgehen kann und eben das Optimale aus sich herausholt. Der konzentriert bleibt, keine Fehler macht, sich kühlt, sich ernährt und eben auf sehr viele Dinge achtet, obwohl er im Wettkampf ist.

Über Jan Frodeno haben Sie mal gesagt, dass er Ihnen als Trainer stets das Gefühl gibt, immer gewinnen zu wollen. Wie äußert sich das?

Eigentlich immer, wenn man mit ihm spricht. Man könnte ja auch mit Blick auf ein Rennen zu ihm sagen: “Schau erst mal, und wenn du dann aufs Podium kommst, ist es gut.” In einem solchen Fall würde er wahrscheinlich die Zusammenarbeit relativ schnell beenden. Er will gewinnen, und so muss man auch auf der anderen Seite denken und handeln. Wenn er seine Bestleistung abrufen konnte und es trotzdem nicht gereicht hat, kann er das sicher anerkennen. Zufrieden wird er aber nicht sein. Dafür muss man auch im Training ehrlich sein. Das ist auch mein Part, da ich das relativ nüchtern betrachte. Das Ziel ist klar: Er will gewinnen, egal ob beim Feld-Wald-und-Wiesen-Triathlon oder in Kona. Erschwerend kommt hinzu: Er kann ja eigentlich nur verlieren. Er braucht den Druck. Er mag das, und das kitzelt noch mal das Letzte aus ihm raus. Aber das erzeugt auch immer eine große Anspannung für ihn und sein ganzes Umfeld.

Dan Lorang (40), ist einer der gefragtesten Ausdauertrainer in Deutschland. Als “Head-of-Innovation” betreut er das Radsportteam Bora-hansgrohe und ist darüber hinaus Trainer der beiden Triathleten Jan Frodeno und Anne Haug. Der Luxemburger studierte Sportwissenschaft an der TU München und wurde später Bundestrainer der deutschen Triathlon-Union. In dieser Zeit hat seine Zusammenarbeit mit Haug und Frodeno ihre Wurzeln. Frodeno zählt zu den erfolgreichsten Triathleten der Geschichte. 2008 in Peking wurde er Olympiasieger, 2015 und 2016 gewann er den WM-Titel auf der Langdistanz auf Hawaii. In den vergangenen beiden Jahren hatte er mit Verletzungen zu kämpfen. Anne Haug ist Vize-Weltmeisterin auf der Kurzdistanz und wurde bei ihrem Hawaii-Debüt 2018 Dritte.    

Das Interview führte Jens Krepela.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Lange knackt Acht-Stunden Marke

    Patrick Lange 2018 auf seinem einsamen Weg zum Triumph. Trotz der Hitze wird er wie im Vorjahr Ironman-Weltmeister auf Hawaii. Diesmal aber mit besonderer Note: Lange legt eine Gesamtzeit von sieben Stunden und 52 Minuten hin. Erstmals unter acht Stunden! Ein optimaler Tag – im Ziel macht er seiner Freundin Julia einen Heiratsantrag.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Frodeno dominiert auf Hawaii

    Frodeno gewinnt 2015 (Bild) und auch gleich 2016 den Ironman Hawaii – quasi mit Ansage. Nach seinem Olympiasieg 2008 ist das der endgültige Durchbruch von “Frodo” in der Szene. 2015 ist der Kölner der fünfte Deutsche, der den prestigeträchtigen Wettbewerb gewinnen kann. 120.000 US-Dollar sind zusätzlicher Ansporn, die körperlichen Strapazen auf sich zu nehmen.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Aus Respekt für das Rennen

    2017 muss Frodeno alle Hoffnungen auf einen Sieg begraben. Rückenprobleme machen einen schnellen Marathonlauf unmöglich. Die Konkurrenz zieht locker vorbei. Statt aufzugeben, spaziert, walkt und joggt der Doppelweltmeister ins Ziel. “Aus Respekt für das Rennen”, wie er später sagt.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Amateure und Profis in einem Rennen

    Besonderheit der Ironman-WM – Alle starten auf der gleichen Strecke. So wie die 67-jährige Peggy McDowell-Cramer im Jahr 2008 kämpfen sie sich über Stunden ins Ziel und werden dort auch spät in der Nacht noch begeistert empfangen. Ein Teil des “Mythos Hawaii” in der Triathlon-Szene.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Ausdauer-Pioniere

    Bei der Premiere 1978 sind es gerade einmal 15 Extremsportler, die an den Start gehen. Zwölf erreichen das Ziel. Bis zu 40 Grad Celsius, kaum Schatten, die berüchtigten Mumuku-Winde und mehr als acht Stunden Sport am Limit – das kann in den Anfangsjahren der US-Amerikaner Dave Scott am besten. Er siegt zwischen 1980 und 1987 sechs Mal.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Ein legendäres Duell

    Nur ein Triathlet kommt auf genauso viele Siege: Mark Allen. 1989 liefert er sich mit Dave Scott das wohl berühmteste Triathlon-Duell aller Zeiten, von der Presse als “Ironwar” tituliert. Beide schwimmen, fahren und laufen den ganzen Tag immer in Sichtweite, bis sich der jüngere Allen absetzt und knapp gewinnt.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Hell on wheels

    1997 gewinnt mit Thomas Hellriegel erstmals ein Deutscher. Sein Schlüssel zum Erfolg: seine starke Radzeit von 4:24:50 Stunden – ein Hawaii-Rekord, der Hellriegel den Spitznamen “Hell on wheels” einbringt und elf Jahre halten soll, bis ihn ein anderer Deutscher bricht: Norman Stadler.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Deutsche Dominanz

    Drei Jahre lang kommt niemand an den Deutschen vorbei in Kona: 2004 und 2006 gewinnt Normann Stadler (l.), 2005 Faris Al-Sultan (r.). Ein Duell zweier Ausnahme-Sportler, die gegensätzlicher kaum sein könnten: der eher glatte Vorzeige-Athlet Stadler gegen den unangepassten Querdenker al Sultan.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Zweiter im “Ironwar 2.0”

    2010 liefern sich Andreas Raelert und der Australier Chris Mc Cormack ein episches Duell auf der Laufstrecke. Seite an Seite laufen sie wie einst Dave Scott und Mark Allen beim “Ironwar” 1989 bis wenige Kilometer vor das Ziel gemeinsam. Dann kann sich McCormack absetzen und gewinnt. Raelert wird Zweiter. Von 2009 bis 2013 schafft er es immer aufs Podium, aber nie nach ganz oben.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Australische Festspiele auf Hawaii

    Seit 2007 ist Hawaii fest in australischer Hand. Die Insel gehört zwar schon noch zu den USA. Doch den wichtigsten Sportwettbewerb dort dominieren die Australier: Chris McCormack gewinnt zweimal und Craig Alexander dreimal. 2007 und 2011 feiern die Sportler aus Down Under sogar Doppelsiege.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Wenn aus Eisenwaden Gummi wird

    Während für die Top-Profis nur der Sieg zählt, geht es für die meisten Starter schlicht ums Ankommen. Das gelingt bei brütender Hitze in der Lavalandschaft von Hawaii nicht allen. Rund 10.000 Kilokalorien verbrauchen die Athleten während des Wettkampfs – wer unterwegs nicht genügend isst, muss dafür schnell bezahlen.


  • Mythos Ironman Hawaii

    Eiserne Lady am Boden

    Nein, diese Dame hat keinen Hungerast, sie hat schlicht Zeit für einen ungewöhnlichen Zieleinlauf: Siegerin Leanda Cave rollt sich ins Ziel und ist 2012 die Beste der mittlerweile 575 Starterinnen.

    Autorin/Autor: Jens Krepela