Jungstar im Kabinett als Schachzug Abes

0
221

Mit Shinjiro Koizumi hat Japans Premier Abe einen populären aufstrebenden Politiker ins Kabinett geholt – und eine kritische Stimme. Abe will sich so breite Unterstützung für sein Projekt der Verfassungsänderung sichern.

Einen “aufgehenden Stern” nennt ihn “Mainichi Shimbun”, “Der Öffentlichkeit ist er wohlbekannt”, hebt “Yomiuri Shimbun” hervor, und “Asahi Shimbun” kommentiert: “Jetzt wird seine politische Integrität getestet.” Die drei auflagenstärksten Tageszeitungen Japans behandeln den Mann, der gerade auf seinen ersten Ministerposten – im Umweltressort – berufen wurde, schon jetzt wie einen Politstar. Immerhin wurde Shinjiro Koizumi in einer Umfrage unter der japanischen Öffentlichkeit im Mai zum beliebtesten Kandidaten als nächster Premierminister erklärt.

In einer Kabinettsumbildung, die der seit nun fast sieben Jahren regierende Premier Shinzo Abe (Amtszeit bis 2021) am Mittwoch verkündete, hat die Benennung von Koizumi für eine seltsame Mischung aus erfüllter Erwartung und Überraschung gesorgt. Erwartet war die Beförderung einerseits, weil Shinjiro Koizumi für einen Politiker untypisch populär ist. Er gilt als gutaussehend, charismatisch und mit einer spitzen Zunge gesegnet. Zudem ist er der Sohn des Ex-Premiers Junichiro Koizumi (2001-20006), eines wirtschaftsliberalen Reformers, der bis heute für seinen modernen Auftritt geschätzt wird. Dass Koizumi junior, der 2009 seinen Wahlkreis vom Vater erbte und seitdem im Parlament sitzt, in die oberste Politikerriege aufsteigen würde, galt nur als eine Frage der Zeit.

Koizumis Vater Junichiro wollte 2001 als Premier frischen Wind in Japans Politik bringen. Aber auch er besuchte – wie später sein Sohn – den umstrittenen Yasukuni-Soldatenschrein.

Konservativ und modern zugleich

Dass diese Beförderung aber jetzt geschehen würde, ist eine politische Sensation. Japan ist eine altershierarchisch organisierte Gesellschaft, insbesondere die Politik ist dafür verschrien, junge Stimmen zu überhören. Shinjiro Koizumi ist mit seinen 38 Jahren der drittjüngste Minister der Nachkriegsgeschichte des Landes. Und obwohl er alleine durch seine Mitgliedschaft in der LDP zum konservativen Establishment gehört und durch Besuche am Yasukuni-Schrein seine patriotische Gesinnung bekundet hat, ist Koizumi auch durch seine weltoffene und moderne Einstellung aufgefallen.

Koizumi hat in New York studiert, in Washington DC für einen Think Tank gearbeitet und ist mit der populären Nachrichtensprecherin Christel Takigawa, mit der er Anfang nächsten Jahres ein Kind erwartet. Er kündigte an, dann in Vaterschaftszeit gehen zu wollen, was in Japan, wo unter anderem durch Druck am Arbeitsplatz kaum sechs Prozent der Männer diesen Schritt wagen, für reichlich mediales Aufsehen erregte. Zudem forderte er, dass Frauen künftig doch die Möglichkeit haben sollten, nach einer Eheschließung ihren Mädchennamen zu behalten.

Der politische Jungstar hat sich bereits als Kritiker der Regierung präsentiert. Wie sein Vater ist er nach der Atom-Katastrophe von Fukushima 2011 zu einem erklärten Gegner der Atomenergie geworden. Nach seiner Benennung zum Umweltminister erklärte Koizumi zum Umgang mit alternden Kernkraftwerken nun: “Ich werde herausfinden, wie man sie abreißen kann, anstatt sie weiter zu behalten.” Darin war auch eine klare Botschaft an den Premierminister zu hören, der lieber längere Laufzeiten und neue Kraftwerke hätte.

Stapellauf des japanischen Lenkwaffenzerstörers “Maya”: Trotz Anti-Kriegs-Verfassung ist Japans Militär hochmodern und einsatzbereit

Projekt Verfassungsänderung

Für Premier Shinto Abe ist die Beförderung Koizumis in die Regierung ein strategischer Schachzug. Er dient dem Ausgleich von Interessen innerhalb der konservativen Liberaldemokratischen Partei, die sich stark in Fraktionen unterteilt. Indem sich Abe nun einen Kritiker zum Partner macht, erhofft er sich eine Stärkung seiner eigenen Vorhaben, für die er breite Unterstützung benötigt.

Denn Abes größtes Ziel ist eine Umschreibung der pazifistischen Verfassung, die nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich von den USA geschrieben wurde und dem Land unter allen Umständen die Kriegsführung verbietet. Artikel 9, der dem Land theoretisch auch eine Armee verbietet, würde Abe am liebsten streichen oder zumindest abschwächen. Nationalisten wie er sind der Auffassung, dass Japan eine Verfassung ohne aus dem Ausland diktierte Elemente benötige, um ein wirklich souverän agierender Staat zu sein.

Nach der Havarie des Atomkraftwerks in Fukushima 2011 ist die Atomkraft in Japan weiterhin umstritten. Zuständig ist jetzt Shinjiro Kozumi als Umweltminister.

Koizumis Ernennung soll Gegner besänftigen

Chinas dominantes Auftreten und die Unberechenbarkeit Nordkoreas kommen Abes Vorhaben zwar zupass. Trotzdem gestaltet sich die Sache seit Jahren schwierig. Für eine Verfassungsänderung bräuchte Abe Zweidrittelmehrheiten in beiden Kammern des japanischen Parlaments sowie eine einfache Mehrheit bei einem Volksentscheid. Derzeit verfügt er nur in einer Kammer über die nötigen Verhältnisse. Zudem wollen die meisten Japaner die Verfassung, die für sie eine Friedens- und Wohlstandsgarantie bedeutet, in ihrem aktuellen Zustand beibehalten. Erst im Juli gaben in einer Befragung wieder 56 Prozent an, dass sie gegen eine Verfassungsänderung sind.

Mit Shinjiro Koizumi im Regierungskabinett signalisiert Abe nun so etwas wie Dialogbereitschaft, was nicht nur ins Parlament, sondern auch bis ins Wählervolk strahlen soll. Schließlich ist Abe in der Vergangenheit eher durch seine Kompromisslosigkeit aufgefallen. Ein Sicherheitsgesetz, durch das Whistleblowing und Berichterstattung über zu Staatsgeheimnissen erklärte Themen mit Gefängnis bestraft werden kann, drückte er ebenso gegen Widerstand durch wie eine “Neuinterpretierung” der Verfassung im Sinne einer größeren Freiheit zu Militäreinsätzen im Ausland. Letztere wohlgemerkt nur als Vorstufe zu der angestrebten “richtigen” Verfassungsänderung.