Wo Jugendliche ihren Glauben neu erleben

0
323

Die christlichen Kirchen sind nach wie vor getrennt. Aber im französischen Ort Taizé, rund hundert Kilometer nördlich von Lyon, beten junge Christinnen und Christen aus aller Welt gemeinsam. Aus Taizé Christoph Strack.

Die Brüder der Gemeinschaft vor dem Chorraum

“Es war für uns und unsere Geschichte ein sehr bedeutender Moment. Aber wir feiern ihn nicht groß”, sagt Frère (französisch für “Bruder”) Jasper. Der 34-jährige Niederländer ist einer von rund 100 Brüdern der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé. Es sind Männer aus verschiedenen Kirchen gemeinsam in einer Gemeinschaft. Das ist beispiellos. Protestanten, Reformierte, Katholiken.

In dieser alten Dorfkirche in Taizé begann alles am 17. April 1949

70 Jahre liegt es an diesem Mittwoch zurück, dass die ersten sieben Männer Gelübde für ein “lebenslanges Engagement” ablegten und sich zu Armut, Keuschheit und Gehorsam verpflichteten. Was an jenem Tag, dem Ostersonntag des Jahres 1949, begann, machte aus dem Dorf im Südosten Frankreichs einen der wichtigsten Orte der Ökumene, des Miteinanders der lange verfeindeten christlichen Kirchen. Jahr für Jahr kommen über hunderttausend junge Leute in das Dorf. In diesen Tagen sind an die 3000 Gäste in Zelten und kleinen Holzhäusern. Sie kommen aus europäischen Ländern, aber auch aus Indien, Südkorea, Japan – oder aus El Salvador.

Hoffnung und Offenheit

Mario Ernesto Cornejo verbringt die Ostertage in Taizé.

Mario Ernesto Cornejo (38) ist Jesuit aus El Salvador und mit Freunden für die Ostertage nach Taizé gekommen. Er spricht von einer “spirituellen Erfahrung”. So viele junge Leute sprächen hier offen über ihr Leben und ihren Glauben und beteten gemeinsam. “Das macht mir Hoffnung”, sagt er.

“In Taize”, sagt die 18-jährige Kira aus Finnland, “kann ich mein Leben mal anhalten und bedenken, was mir wichtig ist. Hier kann ich wirklich ich selbst sein.” Sie hat bereits zum zweiten Mal den weiten Weg aus dem Norden Europas nach Burgund gewählt. Und auch der 17-jährige Xavier aus Bordeaux, gleichfalls zum zweiten Mal zu Gast, betont die religiöse Offenheit, die er erlebe – und sagt, sehr ernst: “Ich bete für den Frieden.”

Elke Wolters aus Rostock ist eine derer, die seit Jahrzehnten nach Taizé kommen. “Ich habe hier als Jugendliche ganz tiefe Glaubenserfahrungen gemacht und möchte das weitergeben. Es fasziniert mich einfach, dass Jugendliche aus aller Welt hierherkommen und ihren Glauben teilen.”

Elke Wolters aus Rostock war schon mehrfach in Taizé

Existenzängste und Klimawandel

Frère Jasper schildert, welche Probleme die Jugendlichen seiner Meinung nach mitbringen. Wer aus dem Süden Europas komme, spreche häufig Existenzängste an. Selbst wer gut ausgebildet sei, finde selten einen Ausbildungsplatz oder einen Job. Und häufig komme das Gespräch bei allen Gästen auf den Klimawandel, die Lage Europas und die Sorge um die Zukunft. “Wir sehen aber auch eine Menge an Ideen und ermutigen jeden Gast, daran mitzuwirken, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.” 75 Prozent der Gäste sind seinen Angaben nach unter 30 Jahre alt, dabei dominieren 15- bis 20-Jährige.

Stille

Beim gut 40-minütigen Mittagsgebet sind neben knapp 70 Brüdern wohl an die 2500 junge Leute in der “Kirche der Versöhnung”. Ruhiger,  getragener Gesang in acht Sprachen, ein Bibeltext, dazwischen einige einfache Sätze verschiedener Brüder. Impulse. Und Stille. Minutenlang Stille, kein Kichern, kein Smartphone-Klingeln.

Geschätzt 2500 junge Leute in der Kirche. Die hinteren Reihen sind knapp hundert Meter vom Chorraum entfernt.

Die eingängigen Melodien kann auch mitsingen, wer eigentlich nicht singen kann. Das ist Taizé-Stil seit Jahrzehnten. Und das, was gesagt wird, hat die jungen Leute und deren Suche nach Gott, nach Bindung im Blick – nicht Kirche oder Kirchen. Es gibt kein “du sollst” oder “du darfst nicht”.

Das mag auch erklären, warum die Brüder den 70. Jahrestag der ersten Gelübde nicht groß feiern. “Wir gehen mit den jungen Leuten auf Ostern zu und werden gemeinsam die Auferstehung Jesu feiern”, sagt Frère Jasper. Und – auch das ist typisch Taizé – man wolle nicht zu sehr die eigene Geschichte feiern. Das habe man 2015 getan, als der Gründer und erste Vorsteher der Gemeinschaft, Frère Roger, (1915 bis 2005) 100 geworden wäre und dessen erste Ankunft im Ort Taizé 75 Jahre zurücklag.

Kirche, nicht Konfession

Seit zwölf Jahren in Taizé: der Niederländer Frère Jasper

Immerhin: Einen Zeitzeugen gibt es noch. Frère Daniel, einer der ersten sieben, ist heute 97 Jahre alt und lebt zurückgezogen im Haus der Brüder. Daniel ist, wie auch einst die anderen sechs, protestantischer Christ. Erst 1969 kam der erste Katholik hinzu. Heute kommen dutzende Brüder, auch der jetzige Vorsteher der Gemeinschaft, der deutsche Frère Alois, aus der katholischen Kirche. Aber über seine Konfession definiert sich hier keiner der Gäste. Sie sind auf der Suche. “Wir sollten wirklich mehr auf die jungen Leute hören, auf ihre Träume, ihre Hoffnungen”, sagt Frère Jasper.