So nah, so fremd

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Sanja und Elona, zwei Journalistinnen aus Serbien und Albanien, reisten zusammen. Sie begegneten vielen Menschen in Südserbien und Nordkosovo und sprachen mit ihnen über ihren Alltag, ihre Ängste und Hoffnungen.

Sanja Kljajic (links, aus Serbien) und Elona Elezi (aus Albanien) auf der gemeinsamen Reportage-Reise

Eine Woche waren die beiden DW-Korrespondentinnen Sanja Kljajic, eine Serbin, und Elona Elezi, eine Albanerin, unterwegs in einer komplizierten Region – im Grenzgebiet zwischen Serbien und Kosovo. Dort leben Serben und Albaner zusammen, und doch getrennt. 

 

Sanja Kljajic (Serbin): Eine Grenze, die es nicht gibt…und doch ist sie da!

“Pass auf dich auf”, “sei vorsichtig”, “gib acht”, sagten mir alle, meine Freunde, meine Familie, vor meiner Reise in den Süden. Es gibt keinen Grund zur Sorge, wiederholte ich ständig. Mein Ziel ist nur ein paar hundert Kilometer weit weg von der Vojvodina, im Norden Serbiens, wo ich wohne – was kann da eigentlich “anders” sein?

Alles – nur die Menschen nicht, wie es sich herausstellte. Die Kultur ist anders, die Erziehung ist anders, die Sprachen sind anders. Nur die Menschen sind genauso wie alle anderen auf dem Balkan – klein, traurig, kümmerlich.

Schon am Ortseingang war mir klar, dass Preševo mit Serbien nicht viel zu tun hat. Die serbische Sprache existiert noch auf kommunalen Schildern und in Wettbüros, oder auf Firmentafeln älterer Handwerker, die in den alten jugoslawischen Zeiten zweisprachig beschriftet wurden. In den Modegeschäften sind nur lange Kleider und Kopftücher zu sehen, in den Cafés hört man albanische Volksmusik.

In einer Bäckerei frage ich, ob die Pita Käse- oder Fleischfüllung hat. Die Verkäuferin blickt verwirrt. “Käse!”, antwortet einer aus der Schlange, und ich bedanke mich höflich. Elona hilft mir als Dolmetscherin beim Zahlen.

Ich begreife, wie schlecht ich das Leben kenne, wenn ich in einem Laden Damenbinden in Zeitungspapier verpackt bekomme, damit niemand sehen kann, was ich gekauft habe. So etwas habe ich in der Vojvodina seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Ich habe gedacht, wenigstens diese Ebene der Emanzipation hätten wir schon längst erreicht. Nein, haben wir nicht. Das erkennt man auch daran, dass in den Cafés nur Männer zu sehen sind. Und daran, dass keine einzige Frau an unserer Umfrage teilnehmen möchte.

Schöne Grüße aus Slavujevac in Südserbien: Selbst Phantasieren ist schwierig

Die Gesellschaft ist geteilt aufgrund des Geschlechtes, der Religion, der Sprache und der Geschichte. Im Preševo-Tal sagt man, die albanischen Dörfer seien im Westen – in Richtung Kosovo – und die serbischen seien im Osten – in Richtung Serbien. Eine Grenze gibt es nicht, aber uns wurden interne Landkarten gezeigt, wo diese Grenze trotzdem zu sehen ist.

Auch in Mitrovica gibt es keine Grenze, aber die Brücke am Ibar steht dort wie ein Phantom vor dem alle weglaufen. Warum sollen wir uns integrieren, fragen sich die Leute, warum sollen wir uns selbst in Schwierigkeiten bringen, wenn die Politiker heute von Integration reden und morgen alles wieder anzweifeln. Und wir – wir müssen uns mal auf Harmonie, mal auf Konfrontation einstellen. Als wären wir Aufziehpuppen.

Und auf beiden Seiten – müde Gesichter. Müde vom Streit, von der Politik. Alle wünschen sich eine Lösung. Bei den einen: euphorische Stimmung wegen Ankündigungen, dass sie sich dem Kosovo anschließen können. Bei den anderen: euphorische Stimmung, weil sie sich vom Kosovo abkoppeln könnten. Bringt das was? Besseres Leben, sagen sie. Glück. Gesundheit. Sogar Liebe, wie eine ältere Dame meint. Alle sind überstolz auf ihre Anführer.

Auf beiden Seiten – gequälte Gesichter. Wegen des Elends. Eine Frau in Slavujevac sagt, sie sei glücklich, weil sie jetzt, nachdem sie ein kleines Zimmer für die Kinder dazu gebaut habe, alles besitze, was sie wolle. Selbst Phantasieren ist schwierig, wenn das Leben einen belehrt, dass es besser nicht gehen kann. 

 

Elona Elezi (Albanerin): Von Rauchschwaden, die keine Lösung verkünden

Die Einreise von Kosovo ins benachbarte Preševo-Tal führt über einen 140 km Umweg via Mazedonien. Das war die erste Regel, die ich lernte, als ich meine Reise in die serbische Provinz plante, in der 95 Prozent der Einwohner Albaner sind. Der Grund war einfach. Ich durfte nicht durch die Grenzstadt Gjilan ins Preševo-Tal einreisen, weil Serbien den Staat Kosovo nicht anerkennt und seine Grenzen als nicht legal ansieht. Und so würde auch mein Grenzübertritt von dort aus als illegal gelten.

An der serbisch-mazedonischen Grenze war die erste Herausforderung der Polizist mit seiner getrübten Mimik, als er in seinen Händen meinen albanischen Pass hielt. Zunächst fragte er wohin ich gehen wolle, dann folgten weitere bohrende Fragen: Wen würde ich dort treffen, was würde ich dort machen. Ich sagte, ich werde eine Kollegin aus Novi Sad treffen. Die Tatsache, dass eine albanische Staatsbürgerin zum Preševo-Tal reist, um sich mit einer serbischen Staatsbürgerin zu treffen, schien ihn am meisten zu verwirren.

Ich ging hin, um von dort aus zu berichten. Es war der Höhepunkt der Debatte über den Gebietstausch oder die Grenzkorrektur zwischen Kosovo und Serbien. An jenen Tagen war gar nicht klar, worüber sich die Regierungen untereinander austauschten. Und heute es ist immer noch so…

Die Brücke in Mitrovica: Übergang zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen, Mentalitäten und Sprachen

Zwischen all den Stopps und vielen Kilometern, die meine Kollegin Sanja Kljajic und ich bereisten, und dabei hunderte Menschen trafen und unzählige Interviews führten, waren die Stadt Preševo und die Brücke von Mitrovica in Kosovo die eindrucksvollsten.

Preševo, weil sie eine in Vergessenheit geratene Stadt ist und dennoch voller Hoffnung, sich eines Tages dem Kosovo anzuschließen. Unter den vielen Idealisten und Träumern traf ich auch einen Andersdenkenden. Valon Arifi, ein Menschenrechtsaktivist. Er glaubt nämlich nicht, dass die Staaten, die sich auf ethnischer Basis trennen, erfolgreicher seien. Die verschiedenen Ethnien eines Staates seien eine Bereicherung für ein Land, auch wenn sie zerstritten seien, sagte er mir.

In Preševo traf ich viele Menschen, die sich wunderten, weil ich auf Albanisch bestellte und Sanja auf Serbisch. Eines Tages, fiel dies der Tochter der Verkäuferin in einem Supermarkt auf. “Schau Mama”, sagte die Kleine verwundert, “die eine spricht Albanisch, die andere Serbisch und untereinander sprechen sie Englisch.” Ihr Staunen ist mir in Erinnerung geblieben.

Im Nordkosovo sah ich hingegen zwei Welten die durch eine Brücke getrennt wurden. Wenn man von Südmitrovica nach Nordmitrovica geht, sieht man, dass das Wort Grenze hier größte und kleinste Bedeutung zugleich annehmen kann. 

Die Überquerung der Brücke ist der Übergang zwischen zwei total unterschiedlichen Kulturen, Mentalitäten und Sprachen. Doch leben sie hier seit Jahren miteinander, auch wenn die Politik sie in zwei Extreme zerrt. Die Menschen vor Ort, insbesondere die jüngere Generationen sind müde von der Politik, von der Brücke, von den Barrikaden, von dieser Debatte, die sie nutzlos nennen und von den Rauchschwaden, die niemals eine Lösung verkünden.