Ig-Nobelpreis: Kannibalismus lohnt sich nicht

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Die Energiebilanz zeigt: Wer viel Hunger hat, sollte besser ein Bison oder ein Pferd aufessen als andere Menschen. Für diese wichtige wissenschaftliche Erkenntnis erhält ein Brite den Spaß-Nobelpreis für Ernährung.

Der Appetit auf Menschenfleisch kann viele Gründe haben. Hannibal Lecter hat seine ganz persönlichen…

Es gibt Fragen im Leben, die völlig albern klingen, aber trotzdem auch seriöse Wissenschaftler beschäftigen. Beispielsweise diese: Ist Kannibalismus eine gute Alternative zum Verzehr von Hirschen, Rindern und anderen Tieren? Sprich: Lohnt sich das aus einer rein nährwerttechnischen Sicht?

Und wenn wir schon mal dabei sind: Welche Körperteile des Menschen liefern besonders viele Kalorien? Diesen Fragen ist der Archäologe James Cole von der britischen Universität Brighton in seiner Studie nachgegangen. 

Sein Ergebnis: Menschen sind keine besonders ergiebigen Fleischlieferanten. Das liegt daran, dass ein Mensch im Mittel nur 65,9 Kilogramm wiegt, davon sind gerade mal 24,9 Kilogramm Muskelfleisch. Der Nährwert des Fleischs ist mit 1300 Kalorien pro Kilogramm zudem relativ gering. “Ein einziges Pferd liefert viel mehr Kalorien als fünf oder sechs Menschen zusammen”, erklärt James Cole der DW ganz ernsthaft. “Außerdem: Menschen wehren sich und sind ziemlich gefährliche Beutetiere.”

James Cole erforscht den Lebensstil ausgestorbener Menschenarten – und kommt deshalb am Kannibalismus nicht vorbei.

Das spricht eindeutig gegen den Kannibalismus und könnte ein Grund dafür sein, dass sich der Verzehr menschlicher Artgenossen in der Evolution einfach nicht durchgesetzt hat. Für geübte Jäger waren schon in früheren Zeiten Mammuts einfach lohnendere Ziele. Die verhältnismäßig meisten Kalorien liefert übrigens das menschliche Fettgewebe – was aber sicherlich nicht so gut schmeckt. Wer sich für einen Körperteil entscheiden muss, sollte die Hüften wählen, die machen Coles Berechnungen nach gut ein Zehntel des gesamten Nährwerts eines Menschen aus.

Hannibal Lecter und Co.

Als James Cole am Wochenende seine Ergebnisse bei der Ig-Nobelpreis-Vorlesung am Massachusetts Institute of Technology (MIT) im US-amerikanischen Cambridge vor breitem Publikum vorstellt, erntet er großes Gelächter. Am MIT sind die diesjährigen Ig-Nobelpreisträger zusammengekommen: Sie alle haben einen Spaß-Nobelpreis bekommen für ihre skurrilen Erkenntnisse,”die dich zuerst lachen und dann nachdenken lassen”.  Am letzten Donnerstag (13.09.2018) wurden zehn Teams mit dem Satirepreis ausgezeichnet.

Ein Bild von dem bekanntesten Kannibalen der Filmgeschichte − Hannibal Lecter aus dem Hollywood-Streifen “Das Schweigen der Lämmer” − darf bei Coles Vortrag natürlich nicht fehlen. Genauso wenig die Definition von Kannibalismus als “Verzehr von Gewebe von Individuen der eigenen Art.” Im Tierreich ist das durchaus üblich – nur bei Menschen eben nicht. Allerdings kommt es auch bei uns immer wieder mal vor, wie Cole hervorhebt: Sei es aus purer Überlebensnot, aus kriegerischer Absicht oder bei Verrückten wie Hannibal Lecter.

Der Forscher versichert übrigens, “dass bei seiner Studie keine Menschen zu Schaden gekommen sind”. Aus dem Publikum kommt die Frage, ob er denn Tipps hätte für den modernen Kannibalen von heute. Das muss der Brite allerdings verneinen.

Durchaus ernstgemeint

So lustig wie für das Publikum sind die Ergebnisse seiner Studie für James Cole übrigens gar nicht. Der Archäologe hat ein ganz seriöses Forschungsziel: Er untersucht den Lebensstil von Neandertalern und anderen ausgestorbenen Menschenarten. Und die aßen durchaus auch Artgenossen – das zeigen fossile Knochenfunde mit entsprechenden Biss-Spuren.

Der Brite will mit seiner Studie zeigen, dass Neandertaler keine bloßen Fressmaschinen waren, die sich mir nichts dir nichts auf Angehörige der eigenen Spezies stürzten. Nur ums Fleisch ist es ihnen wohl ohnehin nicht gegangen. Ihre Motivation, sich andere Menschen einzuverleiben, war vermutlich viel tiefgründiger. Spiritualität könnte eine Rolle gespielt haben. Vielleicht wollten sie ihre Artgenossen über den Umweg des Kannibalismus in sich selbst weiterleben lassen?

“Die Neandertaler waren von ihrer Kultur her sehr vielschichtig, genauso wie der moderne Mensch”, sagt Cole im DW-Interview. “Warum sollten sie nicht auch eine vielschichtige Einstellung zum Kannibalismus gehabt haben, so wie wir heutzutage auch?”

Bleibt die Frage, wie Menschenfleisch eigentlich schmeckt: “Man hat die Textur von Menschenfleisch mit der von Schweinefleisch verglichen”, sagt Cole. “Aber naja, ich und meine Kollegen fragen uns, ob es früher nicht eher Wildfleisch ähnelte. Wir waren damals schließlich viel aktiver als heute.” Ein weiterer Grund heutzutage auf Kannibalismus zu verzichten – zumindest, wenn man zu den Feinschmeckern gehört.  


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