Kaminer: “Kreuzfahrten sind eine seltsame Mischung aus Empathie und Schweinerei”

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Für seine Geschichten sucht er mit Vorliebe im Tragischen das Komische. In seinem neuen Buch “Die Kreuzfahrer” erzählt der russisch-deutsche Schriftsteller Wladimir Kaminer vom Massentourismus weit draußen auf dem Ozean.

Wladimir Kaminer gelang der literarische Durchbruch mit seiner Erzählsammlung “Russendisko” (2000). Seit 1990 lebt der in Moskau geborene Schriftsteller in Berlin und zählt längst zu den beliebtesten Autoren Deutschlands. In seinem jetzt erschienenen Buch “Die Kreuzfahrer” erzählt er mit dem ihm eigenen Witz von seiner neu entdeckten Leidenschaft für Schiffsreisen.   

Deutsche Welle: Herr Kaminer, Sie schreiben in Ihrem Buch, Freunde und Familie hätten vor Ihrer ersten Kreuzfahrt versucht, Sie von der Reise abzuhalten. Sie sind dennoch in See gestochen. Warum?

Wladimir Kaminer: Unsere Verwandten und Freunde haben sich sehr gewundert, dass meine Frau und ich uns auf dieses Abenteuer einlassen wollten. Wir waren nie große Fans von Massentourismus und Kreuzfahrten sind nun einmal die Spitze des Massentourismus’. Jeden Tag sitzt man mit fremden Menschen zum Essen an einem Tisch. Mich hat das damals gereizt. Ich hatte das Gefühl, die ganze Menschheit hängt in der Luft und wollte herausfinden, ob da etwas dran ist.

Sie vergleichen Kreuzfahrtschiffe mit der Arche Noah: Während auf dem krisengeschüttelten Festland Weltuntergangsstimmung herrsche, sei die Welt an der Schiffsbar noch in Ordnung. Ist massenhafter Eskapismus die treibende Kraft der Riesendampfer?

Kreuzfahrten sind eine seltsame Mischung aus Empathie und Schweinerei. Tagsüber diskutieren die Menschen über den Klimawandel und globale Ungerechtigkeit. Sie leiden, sie fiebern mit der Welt mit. Abends machen sie Party zu “Atemlos durch die Nacht” bis der Letzte umfällt. Diese Mischung hat für mich den Nerv der Zeit getroffen. Alle Menschen in diesem Buch sind die ganze Zeit leicht angetrunken, alle haben große Sorgen, wollen aber trotzdem feiern.

In Ihrem Buch nennen Sie zwei großen Gruppen in Bewegung: Touristen und Flüchtlinge – freiwillig und unfreiwillig Reisende. Die Gegensätzlichkeit könnte größer nicht sein…

Ich habe schon immer versucht, über die Tragödien und Dramen des Lebens zu lachen. Wenn man nur weint, ist das eine Sackgasse. So kommen wir nicht weiter. Wenn man die Kriegsflüchtlinge, die um ihr Leben fürchten müssen, aus diesem Vergleich herausnimmt, ist die Situation von Touristen und Geflüchteten gar nicht so unähnlich. Sie suchen nach einem anderen Ort, der besser sein soll als der jetzige. Dabei werden sie immer öfter enttäuscht.

Wie zeigt sich die Enttäuschung der Kreuzfahrer?

Buchcover von Wladimir Kaminers “Die Kreuzfahrer”

Wir waren gerade auf einer Kreuzfahrt in der Karibik, wo jede Insel als Paradies angepriesen wurde. Die Ausflüge hießen “Aruba, das karibische Paradies” oder “Guadeloupe, das karibische Paradies”. Dabei waren die Häuser von Hurrikans zerstört, die Menschen hatten keine Zähne und waren in großer Armut. Die Kreuzfahrer dachten sich: “Das soll das Paradies sein? Da bleibe ich lieber gleich am Bord.”

Inzwischen entwickeln sich Kreuzfahrten zu einer Alternative zum irdischen Boden. Das heißt, die Reisen und die Strecken werden immer egaler und die Schiffe immer bombastischer mit noch mehr Möglichkeiten zum Zeitvertreib. Bald, glaube ich, wollen die Kreuzfahrer überhaupt keine interessanten Orte mehr besuchen, sondern raus aufs Meer fahren, je weiter weg vom Festland, desto besser.

Dennoch bezeichnen Sie sich als “Kreuzfahrer aus Leidenschaft”. Was fasziniert Sie an dieser Art des Reisens?

Der Vorteil ist, dass ich in kürzester Zeit unglaublich viele Geschichten erfahre, die mir auf dem Festland nie begegnen würden. Der Nachteil ist, dass ich eben Kreuzfahrten machen muss. Das ist auch anstrengend. Ich habe zum Beispiel die Aufgabe als Unterhalter total unterschätzt. Ich dachte, drei Lesungen in zwei Wochen, das schaffe ich locker. Aber eine Lesung auf dem Schiff ist nicht mit einer Lesung auf dem Festland zu vergleichen. An Bord bleiben dir deine Zuhörer die ganze Zeit erhalten, zum Frühstück, Mittag und Abendessen.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie nach einer mehrwöchigen Kreuzfahrt wieder zurück nach Berlin kommen?

Das fühlt sich so an, als würde ich aus einer kleinen Welt in eine große kommen. Auf dem Festland ist alles anders, man kann da länger duschen zum Beispiel und längere Strecken laufen als auf einem Schiff. Ich möchte beides nicht missen. Aber ein paar Kreuzfahrten möchte ich auch noch machen.

Wie stellen Sie sich die Kreuzfahrt der Zukunft vor?

Ich hoffe, dass der ökologische Fußabdruck kleiner wird, dass die Schiffe irgendwann mal nur mit Sonnenenergie fahren können. Ich stelle mir vor, wie die Menschen im Ozean Beete anlegen und eigenes Gemüse anbauen. Ich glaube, dass auf diesen kleinen Inseln, den Kreuzfahrtschiffen, vieles ausprobiert werden könnte, was vielleicht irgendwann einmal größere Gesellschaftsteile anspricht. Was wir auf dem Festland nicht geschafft haben, können wir auf den Schiffen nochmal versuchen.

Das Gespräch führte Paula Rösler.


  • Liebe, Action, Katastrophen – Kreuzfahrten im Film

    Titanic (1997)

    James Camerons Meisterwerk um den Untergang der weltberühmten Titanic ist sicherlich der erste Film, der einem beim Thema Kreuzfahrten auf der Leinwand einfällt – auch wenn das Luxusschiff genaugenommen ein Linienschiff war. Erzählt wird nicht nur das dramatische Ende des Luxusdampfers, sondern auch die Liebesgeschichte von Rose und Jack. Millionen von Zuschauern schmolzen dahin.


  • Liebe, Action, Katastrophen – Kreuzfahrten im Film

    Das Traumschiff

    Kein Film, aber eine Serie mit Kultstatus in Deutschland. Bereits seit 1981 sticht “Das Traumschiff” im ZDF regelmäßig in See und nimmt Passagiere wie Zuschauer mit an die schönsten Fleckchen der Erde. Die Crew muss meist unter Beweis stellen, dass sie für jede noch so knifflige Situation eine Lösung bereit hält. Ihr Erfolgsgeheimnis steckt in der Mischung aus Spannung, Herzschmerz und Humor.


  • Liebe, Action, Katastrophen – Kreuzfahrten im Film

    Die Höllenfahrt der Poseidon (1972)

    Kurz vor ihrer Verschrottung macht sich die Poseidon ein letztes Mal auf den Weg von New York nach Athen. Die Gäste feiern gerade ins neue Jahr hinein, als das Schiff von einer Riesenwelle erfasst wird und kentert. Kieloben treibt es schließlich im Mittelmeer – ein Überlebenskampf beginnt. Ronald Neames Opus war mehrfach für den Oscar nominiert und gewann in der Kategorie “Spezialeffekte”.


  • Liebe, Action, Katastrophen – Kreuzfahrten im Film

    Bitter Moon (1992)

    Roman Polanskis Streifen handelt von einer verhängnisvollen Liaison zweier Pärchen während einer Kreuzfahrt: Der mit Fiona (Kristin Scott Thomas) verheiratete Nigel (Hugh Grant) fühlt sich von Oscars (Peter Coyote) französischer Frau Mimi (Emmanuelle Seigner) angezogen. Als Mimi jedoch die Nacht mit Fiona verbringt, kommt es zum Showdown. Ein spannendes Psychodrama rund um Sex, Macht und Rache.


  • Liebe, Action, Katastrophen – Kreuzfahrten im Film

    City Hunter (1993)

    Weitaus unbeschwerter geht es in dem Actionfilm “City Hunter” von Wong Jing zu. Aufgezogen nach dem Muster von “Stirb langsam” – allerdings als Parodie – schaltet Jackie Chan in gewohnter Manier mit Kampfeskunst und Slapstick-Einlagen Bösewichte auf einem Luxusdampfer aus. Die Situation zwischen seiner Assistentin Kaorie (Joey Wong, hier im Bild) und ihm ist dagegen komplizierter …


  • Liebe, Action, Katastrophen – Kreuzfahrten im Film

    Speed 2 – Cruise Control

    Vom Bus des ersten Speed-Films (1994) geht es in Speed 2 aufs Kreuzfahrtschiff. Aber auch hier kommt für Annie (Sandra Bullock), die nichts als eine romantische Reise mit ihrem Freund machen wollte, alles anders: Ein rachsüchtiger Tüftler bringt das Schiff unter seine Kontrolle und steuert es auf einen Öltanker zu. Auch Jan de Bonts zweiter Speed-Film steckt voller Action und waghalsiger Stunts.


  • Liebe, Action, Katastrophen – Kreuzfahrten im Film

    Film Socialisme (2010)

    Aerobic-Stunde am Pool, Herumhängen an Spielautomaten, Gedränge in den Selbstbedienungszonen im Bordrestaurant. Im ersten Teil seines essayistischen Filmexperiments zeichnet Jean-Luc Godard ein düsteres Bild von der Kreuzfahrtromantik. Seine Leitfrage dabei lautet: “Quo vadis Europa”? Die Ideen- und Bildsplitter des dokumentarisch-politischen Spielfilms verlangen dem Zuschauer einiges ab.


  • Liebe, Action, Katastrophen – Kreuzfahrten im Film

    Dream Boat (2017)

    Einmal im Jahr sticht das “Dream Boat” in See – eine Kreuzfahrt allein für Schwule. Regisseur Tristan Ferland Milewski hat für seinen gleichnamigen Dokumentarfilm fünf Männer aus Polen, Palästina, Indien, Frankreich und Österreich auf ihrer Reise begleitet. Im Dickicht athletischer Körper und Parties suchen sie nach der großen Liebe, nach Freiheit und einer erfüllten Zukunft. Sehenswert!

    Autorin/Autor: Bettina Baumann