Was kann Olympia von den European Championchips lernen?

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Viele Zuschauer, gute TV-Quoten, begeisterte Athleten: Die European Championships sind ein Erfolg. Ist das neue Event damit sogar ein Vorbild für die zuletzt scharf kritisierten Olympischen Spiele?

“Ein richtig cooles Event”, “Mini Olympia”, “Olympia Feeling” – viele Athleten waren begeistert. Die Teilnehmer der ersten European Championships in Berlin und Glasgow lobten Konzept, Umsetzung und Stimmung des Events. Der Veranstalter fühlt sich nach Ende der Multi-EM bestätigt und auch aus Medien und Politik ist das Echo überwiegend positiv. Das Konzept soll weitergeführt und weiterentwickelt werden und sich fest als “Europäische Spiele” etablieren. Ob das dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) sowie dem Europäischen Olympischen Komitee (EOC), das mit den so genannten “Europaspielen” ein direktes Konkurrenzprodukt veranstaltet, gefällt, ist mehr als fraglich.

Konkurrenz oder Vorbild?

Während IOC und EOC die Europaspiele in autokratische Staaten vergeben, die teilweise für aberwitzige Summen und unter Missachtung von Arbeitsrecht und Menschrechten gigantische Wettkampstätten ohne Anschlusskonzept (so wie Aserbaidschan bei der ersten Ausgabe im Jahr 2015) aus dem Boden stampfen, sind die European Championships ein Gegenmodell zum Gigantismus. Möglicherweise auch, weil man aus den Fehlern der Olympischen Spiele gelernt hat. Zahlreiche Olympia-Bewerbungen scheiterten zuletzt am Widerwillen der Bevölkerung, die in Referenden mit “Nein” votieren. Gemeinsam war den Gegenbewegungen stets die Sorge vor Milliardenausgaben für eine Sportveranstaltung, die zudem Arenen und Infrastrukturen hinterlässt, die gar nicht gebraucht werden. “NOlympia” wurde von einer kleinen Bürgerbewegung zum gesellschaftlichen Konsens. So war es in Hamburg, Oslo, Innsbruck oder auch in München und Garmisch.

Die jüngsten Winterspiele gingen nach Südkorea, die kommenden Sommerspiele richtet Tokio aus, ehe Peking nach den Sommerspielen 2008 auch die Winterspiele 2022 ausrichten wird. Das IOC ist derzeit Dauergast in Asien. Höher, schneller, weiter – das gilt sicher nach wie vor in vielen Olympischen Disziplinen. Bewerbungen und Konzepte scheinen diesem Prinzip aber nur noch im boomenden asiatischen Raum folgen zu können – einer Region, in der gerade erst eine neue Mittelschicht wie im Europa der Nachkriegszeit entsteht, in der Olympia-Konzepte im anhaltenden Bauboom (noch) scheinbar mühelos umgesetzt werden, koste es was es wolle. Das ist in vielen Ländern Europas längst nicht mehr so. Nachhaltig muss ein Konzept sein, sonst fällt es bei den Menschen durch. 

“NOlympia” – vielleicht nicht für immer

Das “Nein” zur Olympia-Bewerbung Hamburgs machte das 2015 endgültig deutlich, auch Berlin zog seine Olympia-Ambitionen zuvor (vorerst) endgültig zurück. Jetzt scheint mit den European Championships (EC) der nächste Schritt in Richtung der “Spiele der Zukunft” gemacht. Das Event war kompakt, nutzte vorhandene Sportstätten, bot trotzdem packenden Sport – und: “Das Budget liegt unter zwei Prozent der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro und Tokio”, sagt Paul Bristow, einer der beiden Initiatoren. Das Konzept weckt Interesse: “Über zehn Städte und Regionen” haben Interesse angemeldet, berichtet Bristow, Geschäftsführer des European Championships Management. Berlin und Hamburg sind offenbar dabei. 

Die EC folgen dabei – bewusst oder unbewusst – dem “NOlympia-Geist”. Die Wettkämpfe gehen auf die Bedenken der Bevölkerung ein. Und das könnte Auswirkungen auf andere Sportveranstaltungen haben: “Theoretisch glaube ich, dass mit den European Championships dem Europaspielen der Boden abgegraben wird”, sagt Clemens Prokop, ehemaliger Präsident des deutschen Leichtathletik-Verbandes. Diese Meinung dürften viele teilen, möglicherweise auch in EOC und IOC. Doch statt den neuen Player als Bedrohung wahrzunehmen, könnte man auch von ihm lernen. Die Frage ist, was das IOC mit dieser Erkenntnis anfängt. Sind nachhaltige Spiele dort überhaupt gewollt?

Glasgow war Schauplatz der Wettbewerbe im Turnen, Radsport, Schwim/Wassersport, Golf, Rudern und Triathlon

“Es ist immer klug, sich über Ideen, Konzepte und Erfahrungen auszutauschen. Der Erfolg der European Championships ist in der Sportwelt wahrgenommen worden und wird sicher für zukünftige Veranstaltungsformate diskutiert werden”, erklärt die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, Dagmar Freitag auf Anfrage der Deutschen Welle und plädiert für eine Abkehr vom bisherigen Olympia-Gigantismus: “Die European Championships haben existierende Sportstätten genutzt und somit auf sinnvolle Nachnutzung gesetzt. Natürlich müsste eine zukünftige deutsche Olympiabewerbung darauf setzen, möglichst viele existierende Sportarenen einzubinden – die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass alles andere der Bevölkerung zumindest in demokratischen Gesellschaften nicht mehr vermittelbar ist.” 

Dezentrale Struktur, Weg vom Gigantismus

Die wesentlichen organisatorischen Unterschiede zu Olympia waren bereits im Vorfeld klargemacht worden. Weg von Gigantismus und astronomischen Kosten, Nutzen von vorhandener Infrastruktur, Vermeidung von nach den Spielen ungenutzten Arenen und Wettkampfstätten. “Unser Modell basiert darauf, nicht teure neue Bauten zu errichten. Wir müssen daher nach intelligenten Lösungen suchen.” So formuliert es EC-Mitbegründer und Veranstalter Marc Jörg, der gemeinsam mit dem Briten Paul Bristow die treibende Kraft hinter Idee und Umsetzung der Multi-EM ist. 

“Das Konzept, mehrere Europameisterschaften gemeinsam, aber eben auch dezentral durchzuführen, war ein Experiment, das am Ende sehr viel positive Rückmeldung von Zuschauern, Sportverbänden und den Medienanstalten erfahren hat. Die European Championships waren ein großer Erfolg”, sagt Dagmar Freitag und sieht das Vorbild-Potenzial für Olympia, gleichzeitig aber auch erhebliche Unterscheide bezüglich Organisation und Herausforderungen von “Mini-Olympia” und dem Original: “Ob das Konzept auf eine Olympiabewerbung transferierbar wäre, müsste genauer analysiert werden, denn da geht es doch noch um ganz andere Dimensionen”, so die SPD-Politikerin. Doch das Konzept könnte die Basis für künftige Spiele liefern, die dann auch wieder hierzulande vertretbar und vermittelbar sein könnten. Die dezentralen Spiele als Spiele der Zukunft.

Zumindest von der dezentralen Austragung will man aber bei der höchstwahrscheinlich stattfindenden zweiten Ausgabe im Jahr 2022 wohl abrücken und die European Championships an einem Ort stattfinden lassen. Da die Leichtathletik-EM 2018 bereits vor dem endgültigen EC-Konzept nach Berlin vergeben worden waren, war bei der Premiere die Durchführung an zwei Standorten unumgänglich. “Wir stehen erst am Anfang. In Zukunft kann man noch vieles besser machen”, sagt Marc Jörg. 

Championships 2022 als Olympia-Testlauf in Berlin?

Klingt nicht danach, als wollten sich die Veranstalter auf dem Erfolg und dem Lob ausruhen. Und in der Tat gibt es nach der Premiere natürlich überall Optimierungsbedarf. Vielen Athleten fehlte gerade in Glasgow der Spirit eines Olympischen Dorfes, mancher Athlet in Berlin gab zu, von den Wettbewerben in Schottlands größter Stadt nicht allzuviel mitbekommen zu haben. Doch täuscht auch das nicht darüber hinweg, dass die European Championships eine echte Initialzündung gewesen sein könnten – Weiterentwicklung und Optimierung könnten diesen Weg sehr weit fortführen. 

Das Berliner Olympia-Stadion gilt als Leichtathletik-Tempel Europas

Die Formel für die Zukunft könnte lauten: dezentral ja – aber in einem Land. Vorhandene Infrastruktur und Sportstätten nutzen, die Distanz zwischen den Wettkampfstätten dabei aber so klein wie möglich halten. Vielleicht könnten Berlin mit dem Tempel der Leichtathletik und Hamburg, wo zum Beispiel ein Tennis-Stadion und ein Stadion für Fußball und Co. zur  Verfügung stünde, in einer Allianz doch einmal Olympische Spiele nach Deutschland holen. Für die European Championships 2022 gilt Berlin mit dem Olympia-Stadion bereits als heißer Kandidat. Clemens Prokop brachte die deutsche Hauptstadt gleich nach Ende der Spiele als Ausrichter für 2022 ins Spiel.

Kann Olympia in eine Stadt hineinwachsen?

“Ich habe den Eindruck, dass die Kostenfrage kaum ein Rolle gespielt hat, denn die Öffentlichkeit hat ein Gespür dafür, wenn Mittel zum Fenster hinaus geworfen werden. Das war bei den European Championships ganz offensichtlich nicht der Fall, weil klug geplant und effektiv umgesetzt wurde”, sagt Dagmar Freitag der DW. Es geht also.

Möglicherweise würden die Championships in vier Jahren noch um manche Sportart erweitert werden. In vier Jahren könnte nach einem erfolgreichen Abschluss von “Mini-Olympia” noch viel mehr gewachsen sein: Infrastruktur, Erfahrung, Akzeptanz. Vielleicht kann Olympia in eine Stadt, eine Region oder sogar ein Land hineinwachsen. Dafür braucht es Transparenz, neue Ideen und Zeit. Und die ist in jedem Fall vorhanden, Deutschland und Berlin könnten frühestens 2032 Olympische Spiele ausrichten.