Hamburger SV: Der “Dino” lebt noch

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Seit dem Start der Bundesliga 1963 war der Hamburger SV dabei. Nach der letzten Saison stieg er erstmals ab. Am Freitag beginnt für den Traditionsverein ein neues Kapitel: die erste Spielzeit in der 2. Liga.

Zur Saisoneröffnung gewann der HSV Ende Juli ein Testspiel gegen AS Monaco mit 3:1

57.000 Zuschauer werden da sein. Das Stadion ist ausverkauft. Alles wird sich anfühlen wie Bundesliga – beim Spiel des HSV gegen den Nordrivalen Holstein Kiel. Für die Hamburger soll es der erste Schritt sein auf dem Weg zurück in die höchste deutsche Spielklasse. Der erste von 34 bis zum Mai 2019.

Bundesliga-Absteiger gelten immer als Favoriten für den Aufstieg. Diese Rolle weisen sie in Hamburg jedoch von sich. “Wir werden in dieser Liga kein einziges leichtes Spiel bekommen”, warnt Trainer Christian Titz. “Demut wird in den nächsten Monaten eine unsere wichtigsten Tugenden sein.” An ihrer überheblichen Einstellung beim Start in die unterklassige Liga sind schon einige Mannschaften gescheitert. Sie brauchten Jahre zur Rückkehr in die Bundesliga. Mancher Traditionsverein kehrte nie wieder und spielt heute in der dritte Liga.

Weichen für den Wandel rechtzeitig gestellt

Wenn man sich in diesen Tagen beim HSV umsieht und umhört, spürt man eine Aufbruchstimmung wie seit Jahren nicht. Der “Bundesliga-Dino”, wie der Verein wegen seiner Dauer-Mitgliedschaft in Deutschlands höchster Spielklasse genannt wurde, präsentiert sich runderneuert an Kopf und Gliedern. Vergessen ist der monatelange, quälende Abstiegskampf der letzten Saison, in dem zwei Trainer verschlissen wurden, der Vorstandsvorsitzende und der Sportdirektor ihre Jobs verloren. Geholfen hatte das am Ende alles nicht. 

Christian Titz: “Demut ist angesagt”

Der Wandel begann in den Zeiten der schlimmsten Krise. Mit der Rückkehr von Bernd Hoffmann als Präsident kam wohl der entscheidende Schub, mit der Berufung von Trainer Christian Titz die sportliche Wende. Der vormalige U23-Trainer hätte in seinen acht Bundesliga-Spielen im Frühjahr fast noch den Klassenerhalt geschafft. Nach dem Abstieg begannen Trainer und Klubspitze sofort mit der Neuausrichtung für die 2. Liga. Nichts wird dabei dem Zufall überlassen. Mit Ralf Becker wurde ein neuer Sportvorstand installiert, der die Zweite Liga kennt, als Spieler und als Manager. Mit Holstein Kiel verpasste er in den Relegationsspielen am Ende der vergangenen Saison den Bundesliga-Aufstieg nur knapp.

Mit viel Wissen in die Zweitliga-Saison

Für die anderen begann im Sommer die “Lernaufgabe” 2.Liga. Im Trainingslager mussten die Spieler sich mit ihren künftigen Gegnern wie Erzgebirge Aue, dem 1. FC Heidenheim oder dem 1. FC Union Berlin beschäftigen und Referate halten. “Ich als Trainer kann da viel erzählen. Da bleibt vielleicht wenig hängen. Wenn ich meine Spieler mit einbeziehe, sie den Gegner analysieren und nach Lösungen suchen müssen, sind sie am Ende besser vorbereitet“, begründete Trainer Titz diese Maßnahme. Weil viele Mannschaften gegen den HSV wohl stark defensiv agieren werden, lässt Titz mehrere Spielsysteme einstudieren. Das Hamburger Spiel soll auf “dominierenden Ballbesitz mit zwei Spitzen” ausgerichtet sein.

Mannschaft und Fans stehen wieder zusammen

Abstieg und Neuaufbau bedeuten auch immer einen personellen Umbruch. Das ist in Hamburg nicht anders. Fünf Neue wurden bisher verpflichtet. Wichtige Spieler jedoch blieben: Der neue Kapitän Aaron Hunt, Gotoku Sakai und Lewis Holtby, bester Torschütze im Abstiegsjahr, unterstützten den Wandel im Verein mit konkreten Taten.

Nachwuchstalent Jan-Fiete Arp blieb

“Es ist nicht selbstverständlich in der Gesellschaft, in der wir heute leben, dass Spieler auf Millionen verzichten, um einem Verein die Treue zu halten”, sagt Trainer Titz. “Das hat mir aber gezeigt, wie sie diesen Verein lieben und annehmen.” Auch das größte HSV-Talent Jan-Fiete Arp verlängerte seinen Vertrag vorzeitig, obwohl der FC Bayern um ihn warb.

Auch das Verhältnis der Fans zu Mannschaft und Verein hat sich spürbar verändert. Gab es im Abstiegsjahr oft Pfiffe der zahlenden Kundschaft und wie am letzten Spieltag sogar Ausschreitungen der Ultra-Fans, ist die Unterstützung jetzt wieder riesengroß. Die geplanten 25.000 Dauerkarten sind längst ausverkauft. Die Mitgliederzahl des Hamburger SV wuchs sogar um 7500 an, auf jetzt 84.000. Die Euphorie rund um den HSV ist riesengroß. Sie könnte die Mannschaft über die gesamte Saison tragen.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Remis zum Auftakt

    Der Hamburger SV, im Norden zu jener Zeit noch eindeutig die Nummer eins der Fußballklubs, gilt am ersten Spieltag der neuen Bundesliga am 24. August 1963 in Münster als klarer Favorit. Doch Preußen geht vor 38.000 Zuschauern durch einen verwandelten Elfmeter von Falk Dörr in Führung. HSV-Stürmer “Charly” Dörfel gelingt mit einem Kopfballtor noch der Ausgleich zum 1:1-Endstand.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Uns Uwe

    Uwe Seeler prägt mit seinen Toren das erste Bundesliga-Jahrzehnt der Hamburger. In der ersten Saison wird “Uns Uwe” mit 30 Treffern der erste Torschützenkönig der Liga. Die Vormachtstellung im Norden verliert der HSV zunächst an Werder Bremen, das sich 1965 den Meistertitel holt. Chancen auf den Meistertitel haben die Hamburger erstmals 1975, am Ende werden sie Zweiter hinter Mönchengladbach.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Mister Bananenflanke

    Nach Uwe Seeler wird Manfred Kaltz zur HSV-Institution. In 581 Bundesliga-Spielen trägt der rechte Verteidiger von 1971 an zwei Jahrzehnte lang das Trikot mit der Raute. 53 seiner insgesamt 76 Bundesligatore erzielt Kaltz per Elfmeter. Legendär sind seine so genannten “Bananenflanken” von rechts in den Strafraum, bevorzugt auf die Stirn von Kopfballungeheuer Horst Hrubesch.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Zirkus Krohn

    Peter Krohn (l.) leitet von 1973 an die Geschicke des HSV, erst als Präsident, dann als Manager. Er besorgt dem Team den ersten Trikotsponsor. Für Krohn ist Fußball auch Show. Für die Saison 1976/77 verordnet er der Mannschaft Trikots in Rosa und Babyblau, da, wie er sagt, “diese Farben Frauen gefallen”. In der Presse wird der HSV abfällig “Zirkus Krohn” genannt.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Erster Europapokal

    1977 landet der HSV in der Bundesliga auf dem sechsten Platz – darf sich aber über seinen ersten internationalen Titel freuen. Der DFB-Pokalsieger von 1976 holt sich mit einem 2:0-Sieg in Amsterdam gegen den RSC Anderlecht den Europapokal der Pokalsieger. Georg Volkert und Felix Magath (2.v.r.) erzielen in der Schlussphase die Treffer für den HSV.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Mighty Mouse

    Mitte 1977 gelingt Manager Krohn ein Transfercoup. Für die damalige Rekordsumme von 2,3 Millionen Mark eist der HSV Kevin Keegan (r.) vom FC Liverpool los. Der nur 1,70 Meter große Torjäger, “Mighty Mouse” genannt, geht als erster ausländischer Superstar in die Bundesliga-Annalen ein. In den drei Jahren an der Elbe wird Keegan zweimal “Europas Fußballer des Jahres” – und bringt den HSV nach vorn.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Erfolgsmanager Netzer

    “Das kann ich nicht”, antwortet Günter Netzer (r.), als HSV-Präsident Paul Benthien dem Ex-Star von Borussia Mönchengladbach nach dem Karriere-Ende 1977 anbietet, Manager zu werden. Ein Jahr später übernimmt Netzer den Posten beim HSV und behält ihn bis 1986. Er holt die Erfolgstrainer Branko Zebec und Ernst Happel und verpflichtet Topspieler wie Horst Hrubesch oder Jimmi Hartwig (l.).


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Meister 1979

    Horst Hrubesch stemmt 1979 die Meisterschale in den Hamburger Himmel. Der Knoten ist geplatzt. Erstmals seit Gründung der Bundesliga heißt der deutsche Meister Hamburger SV. Unter Trainer Zebec rettet der HSV am Ende einen Punkt Vorsprung vor dem VfB Stuttgart über die Ziellinie. Erfolgreichster Torschütze in der Meistersaison ist Kevin Keegan mit 17 Treffern, gefolgt von Hrubesch mit 13 Toren.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Finale verloren

    Die folgende Saison beendet der Titelverteidiger als Vizemeister hinter dem FC Bayern. Im Europapokal der Landesmeister schafft es der HSV ins Finale nach Madrid. Der Gegner aus England, Nottingham Forest, gewinnt dank eines Treffers von John Robertson (Nr. 11) mit 1:0. Der Ball prallt vom rechten Innenpfosten ins Tor. HSV-Torwart Rudi Kargus ist ohne Chance.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Kaiser an der Elbe

    Im Herbst seiner Karriere stößt der “Kaiser” zum HSV. “Hättest du nicht noch einmal Lust auf die Bundesliga?”, fragt Manager Netzer seinen alten Freund Franz Beckenbauer, als sich dessen Tage bei Cosmos New York 1980 dem Ende zuneigen. Häufig verletzt, bringt es Beckenbauer bis 1982 nur auf 28 Liga-Einsätze für den HSV. Er verabschiedet sich jedoch mit einem Meistertitel aus der Bundesliga.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Der Grantler, der keiner war

    Dem Alkoholiker Zebec, der seinen HSV-Trainerposten im Dezember 1980 verliert, folgt nach kurzer Interimszeit 1981 der Kettenraucher Ernst Happel. Der als “Grantler” verschriene Österreicher führt den HSV 1982 und 83 zu zwei Meistertiteln in Folge. “Er wurde ja immer als knurrender Hund hingestellt, aber er war das Gegenteil”, sagt Horst Hrubesch später über Happel. “Er war einfach ein guter Typ.”


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Magaths Traumtor

    25. Mai 1983, Athen: Der Hamburger SV spielt im Finale des Europapokals der Landesmeister gegen Juventus Turin. In der 8. Minute zieht Felix Magath von der linken Strafraumgrenze ab, der Ball fliegt zum 1:0 ins rechte obere Toreck. Es bleibt der einzige Treffer des Spiels. Der HSV gewinnt die wichtigste Trophäe im europäischen Vereinsfußball.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Zwei Trophäen

    Der Hamburger SV ist auf dem Höhepunkt. Dem Triumph in Athen folgt der deutsche Meistertitel auf Schalke: Mit einem 2:1-Auswärtssieg hält der HSV die punktgleichen Bremer auf Distanz. Am Tag danach präsentiert die Mannschaft um Trainer Happel (l.) und Torjäger Hrubesch (r.) den Fans die eroberten Trophäen: den Europapokal der Landesmeister und die Meisterschale.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Ende der goldenen Ära

    Das höchste Niveau kann der HSV in den folgenden Jahren nicht halten. Immerhin folgen noch zwei Vizemeisterschaften (1984, 1986) und der vorläufig letzte Titel der Hamburger: 1987 gewinnen “Manni” Kaltz (l.) und Co. durch einen 3:1-Sieg gegen die Stuttgarter Kickers den DFB-Pokal.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Jahrhundertspiel

    Die glorreichen Zeiten in den 1980er Jahren verblassen. In der Bundesliga landet der Klub häufig im Mittelfeld. Ausnahme 2000: Der HSV qualifiziert sich als Dritter für die Champions League – und sorgt beim 4:4 gegen Juventus Turin für ein “Jahrhundertspiel”: Nach 1:3-Rückstand holt der HSV auf, geht durch Niko Kovac (r,) 4:3 in Führung und kassiert kurz vor Ende noch den Ausgleich per Elfmeter.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Immer wieder Bremen

    In der Saison 2008/09 tanzt der HSV lange auf drei Hochzeiten. Im Mai 2009 verspielt er jedoch in vier aufeinanderfolgenden Spielen gegen den Erzrivalen Bremen sämtliche Chancen auf den ersten Titel seit 22 Jahren. Hamburg zieht im Halbfinale des DFB-Pokals, in der Vorschlussrunde des UEFA-Cups und auch am 31. Bundesliga-Spieltag gegen Werder den Kürzeren. In der Liga wird der HSV Fünfter.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Eine Packung nach der anderen

    Sinnbildlich für den Niedergang des HSV in den vergangenen Jahren sind die Gastauftritte in München: Seit 2011 schenkte der FC Bayern den Hamburgern in acht Bundesligaduellen insgesamt 50 Tore ein, der HSV traf nur dreimal. Besonders schlimm erwischt es den HSV im März 2013 beim 2:9. Nicht nur Torwart René Adler (r.) ist ratlos.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Haarscharf Klassenerhalt

    Die Saison 2013/14 verläuft für den HSV desaströs. Mit Thorsten Fink, Rodolfo Cardoso und Bert van Marwijk verschleißt der Verein gleich drei Trainer. Unter dem vierten, Mirko Slomka, landet der HSV schließlich auf dem Relegationsplatz. Mit zwei Unentschieden gegen Greuther Fürth rettet sich das Bundesliga-Gründungsmitglied gerade so vor dem ersten Abstieg der Vereinsgeschichte.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Wieder knapp am Abstieg vorbei

    Auch 2015 muss der HSV in die Relegation. Im Rückspiel in Karlsruhe liegen die Hamburger kurz vor Schluss 0:1 hinten. Bleibt es dabei, ist der HSV abgestiegen. Doch in der Nachspielzeit segelt ein Schuss von Marcelo Diaz ins linke Eck. KSC-Torwart Dirk Orlishausen ahnt das Unheil. Nicolai Müller erlöst den HSV mit seinem Siegtor in der zweiten Hälfte der Verlängerung.


  • Bundesliga-Dino HSV: Ende nach 55 Saisons

    Ende im Tumult

    Nach fast 55 Jahren ist 2018 der erste Abstieg der HSV-Vereinsgeschichte perfekt. Die Aufholjagd zum Saisonende ist vergebens. Auch ein 2:1-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach nutzt nichts mehr. Chaoten sorgen mit dem Abbrennen von Knallkörpern und Pyrotechnik für ein unrühmliches Ende. Nur unter Polizeischutz kann Schiedsrichter Felix Brych die Partie schließlich abpfeifen.

    Autorin/Autor: Stefan Nestler