“Schuldenerlass verschoben, nicht vergessen”

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Ein historischer Tag für Griechenland und Europa? Oder doch nur Problem verschoben? Da scheiden sich die Geister in Athen. Jannis Papadimitriou aus Athen.

“Die Vereinbarung von Luxemburg war eine historische Entscheidung, weil die griechische Schuldenlast dadurch tragbar wird”, erklärt Regierungschef Alexis Tsipras bei einem Treffen mit Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos. In einer Fraktionssitzung am Freitagabend will Tsipras ausführlich Stellung beziehen. Und schon wird in Griechenland gewettet, ob der Linkspremier dort erstmals mit Krawatte erscheint. Selbst der Staatspräsident hat ihn vor laufender Kamera darauf angesprochen, worauf Tsipras eine zweideutige Antwort gab: “Ich muss mir erst mal ein passendes Hemd aussuchen.” Zur Erinnerung: Im Wahlkampf hatte Tsipras spaßeshalber erklärt, erst wenn die Geldgeber einen Schuldenschnitt für Griechenland absegnen, werde er zum Krawattenträger.

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Ein klassischer Schuldenerlass ist erst einmal vom Tisch. Trotzdem erhält Griechenland weitere Schuldenerleichterungen und reformabhängige Kredithilfen – und verspricht dafür im Gegenzug, bis zum Jahr 2060 Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Eine “historische Entscheidung, das griechische Volk kann wieder lächeln”, meint Regierungssprecher Dimitris Giannakopulos. Geradezu pathetisch wird Panos Kamenos, rechtspopulistischer Verteidigungsminister und Juniorpartner in der Koalition unter Tsipras: “Die Zeit der Sparprogramme ist zu Ende, diese Regierung hat die Griechen befreit”, kommentiert er via Twitter.

Aufsicht ohne Geld?

Schon zu Wahlkampfzeiten machten sich die damals regierenden Konservativen lustig über die Versprechen von Tsipras: Er fordere Geld ohne Aufsicht, aber das Ganze werde so enden, dass er Aufsicht ohne Geld auferlegt bekommt, monierten sie. An dieser Kritik hat sich nicht viel geändert. “Die Schulden werden nicht weniger und trotzdem kommt Griechenland unter Aufsicht bis mindestens 2022”, mahnt Kostis Chatzidakis, Vizechef der konservativen Opposition. Immerhin lobt er die in Luxemburg vereinbarte Streckung der Kreditlaufzeiten.

Der griechische Finanzminister Euclid Tsakalotos (r.) spricht in Luxemburg mit EU-Kommissar Pierre Moscovici

“Im Großen und Ganzen ist die Vereinbarung von Luxemburg positiv, da Griechenland sonst nicht in der Lage wäre, seine Schulden zu refinanzieren”, sagt Wirtschaftsanalyst Kostas Stoupas der DW. Den überall in Europa verbreiteten Optimismus, nun sei die Krise in Hellas vorbei, könne er allerdings nicht nachvollziehen. Im Gegenteil: “Es ist sehr schwierig, die zugesagten Überschüsse bis zum Jahr 2060 zu erzielen, es sei denn, wir erwarten von der griechischen Wirtschaft über fünf Prozent Wachstum im Jahr”, sagt er. Ein Rückschlag sei auch, dass die von Griechenland und übrigens auch von Frankreich ursprünglich geforderte Wachstums-Klausel abgelehnt wird. Demnach würden die Griechen nur dann mehr Schulden zurückzahlen, wenn ihre Wirtschaft kräftiger wächst. Der Ökonom glaubt, letzten Endes werde das Schuldenproblem verschoben, aber nicht vergessen. “Spätestens in zehn Jahren kommen wir nicht umhin, erneut über Griechenland zu sprechen”, sagt Stoupas.

Varoufakis meldet sich zu Wort

Bis dahin wird Tsipras voraussichtlich viel Kritik von links hinnehmen müssen. Den Anfang macht sein ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis, der lange Zeit durch ungewöhnliches Schweigen auffiel, sich aber nun zu Wort meldet, um die Vereinbarung von Luxemburg wie folgt zu kommentieren: “Ich gratuliere, Genossen. Gerade habt Ihr unsere Pleite bis zum Jahr 2060 fortgesetzt. Und dabei feiert Ihr auch noch die Tragbarkeit der Schulden.”