Hannover Messe: Wenn das E-Auto auf Industrie 4.0 trifft

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Modernste Technologie für flexible, schnelle Produktionsabläufe, und das smart und vernetzt. Das steckt hinter dem Schlagwort Industrie 4.0. Die Hannover Messe ist das Schaufenster dafür. Von Henrik Böhme.

Fast zweieinhalb Stunden nahm sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihren traditionellen Rundgang über die Industriemesse Zeit, gemeinsam mit ihrem Gast, Mexikos Staatspräsident Enrique Peña Nieto. Mexiko ist in diesem Jahr das Partnerland der Messe, die sich als größte Industrieschau der Welt sieht. “Wir sehen, dass das Wort ‘Industrie 4.0’ inzwischen mit vielen Inhalten gefüllt ist und dass sich die Vernetzung auch der industriellen Produktion nicht nur in einem Unternehmen zeigt…”, so das Fazit der Kanzlerin, die dann auf Siemens zu sprechen kam, den Satz aber nicht zu Ende brachte.

Er müsste weitergehen: … sondern sogar in ziemlich vielen. Denn jedes zweite Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe nutzt bereits entsprechende Anwendungen, jede vierte Maschine, die in einer deutschen Industrieanlage steht, ist mittlerweile vernetzt. Nachgezählt hat das der IT-Branchenverband Bitkom. Auch daran kann man sehen: Früher war für den Verband die IT-Messe Cebit das große Ding – heute ist es die Industriemesse. Das gilt auch für die großen IT-Unternehmen: Microsoft, Oracle, SAP und viele andere kommen inzwischen mit viel größeren Ständen zur Industriemesse statt zur Cebit.

Spaß bei der Arbeit: Angela Merkel und Enrique Pena Nieto beim Trikottausch.

Abschied von Henry Fords Fließband

SAP zum Beispiel zeigt das Modell einer Produktionsanlage mit zahlreichen Komponenten verschiedenster Zulieferer. Im Zentrum autonome Fertigungswagen, die aussehen wie mobile Werkbänke. Das Ende des Fließbandes, wie man es heute kennt, erklärt SAP-Expertin Martina Weidner. “Das Fließband der Zukunft sieht anders aus als das vom guten, alten Henry Ford. Das Fließband ist nur noch ein virtuelles, ich habe einen Fluss, aber kein physisches Band mehr.” Heute wird ein Produkt, das man fertigen will, auf diesem Fahrzeug aufgebaut, und die bewegen sich dann autonom zu den Arbeitsstationen hin – auch in einer variablen Reihenfolge. So könnten Stillstände in der Produktion umschifft werden, für den Fall, dass bestimmte Teile fehlen, weil der LKW des Zulieferers im Stau steht.  

Kein Servierwagen, sondern eine mobile Werkbank in der Open Integrated Factory von SAP

             

Zukunftsmusik ist die Anlage nicht, schon heute nutzt der Autohersteller Audi eine solche flexible Linie für die Produktion von Elektromotoren. Überhaupt Elektromobilität: Auch das ist in Hannover ein großes Thema. Denn schließlich müssen die Stromnetze vorbereitet werden und genügend Ladestationen aufgebaut werden, soll dem E-Auto der Durchbruch gelingen. Der schweizerische ABB-Konzern besitzt viel Knowhow in der Stromübertragung und bei elektrischen Antrieben. Das will man nun auf die Straße bringen, sagt ABB-Deutschland-Chef Hans-Georg Krabbe: “Kernthemen, die heute wichtig sind, also Digitalisierung, Energie und Mobilität, sind eigentlich schon über Jahrzehnte Teil unserer Unternehmens-DNA.” ABB kommt aus der Energietechnik mit Lösungen zur Stromübertragung, baut aber auch Antriebe für Züge. “Leistungselektronik ist eine unserer Kernkompetenzen”, sagt Krabbe, “und die können wir ideal auf das Thema Elektromobilität übertragen.”

Das Ergebnis: ABB stellt eine Hochleistungs-Ladesäule vor, mit der sich die Reichweite von E-Autos im Vergleich zu bisherigen Modellen bei gleicher Ladezeit um das 3- bis 6-fache erhöht.

Der Schweizer Konzern ABB macht ernst mit der E-Auto-Ladeinfrastruktur

Kooperation ist alles

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Auch nebenan, am Messestand des ostwestfälischen Mittelständlers Harting, steht ein futuristisches Fahrzeug als Blickfang. Und wie beim Konzern ABB ist es auch beim Mittelständler Harting. Man nutzt die Erfahrungen aus dem Bereich der Industrie-Automatisierung, um die Elektromobilität voranzubringen. Harting ist Marktführer bei Steckverbindungen, mit der Maschinen verbunden werden. Man kennt sich also aus mit Steckern, Datenübertragung und Datenaustausch. Und vor allem kennt man sich aus mit Kooperationen. Am Messestand sind die Namen vieler bekannter Unternehmen zu lesen.  

“Ob das nun Bosch ist oder Igus, alles sehr renommierte Unternehmen, erläutert Harting-Sprecher Detlef Sieverdingbeck. Man sei auch Partner von IBM Watson und Microsoft. “Die nutzen alle unsere Produkte für ihre eigenen Lösungen. Das macht uns so speziell – mit vielen zusammenzuarbeiten und auch davon zu lernen.”

Die Zukunftsfabrik ist mobil

Voneinander lernen: Das ist das eigentliche Stichwort, wenn es um die Fabrik der Zukunft oder eben Industrie 4.0 geht. Denn das wird beim Rundgang über die Hannover Messe klar: Alleine kann man das höchstens schaffen, wenn man ein Gigant wie Siemens ist. Aber für die vielen Mittelständler gilt: Kooperationen sichern den Verbleib in der Weltspitze. Aber wie sieht sie denn nun aus, diese Fabrik der Zukunft? Marc Wucherer ist Vertriebsvorstand beim Industrieausrüster Bosch Rexroth:

“Die Fabrik der Zukunft sieht so aus, dass es eigentlich nur feste Wände gibt, einen festen Boden und eine Decke. Der Rest ist hoch flexibel.” Die Maschinen, Produktionssysteme und Anlagen seien frei und mobil verschiebbar, vernetzt und hochgradig autonom. Sie ordnen sich mittels Künstlicher Intelligenz bestmöglich in den Produktionsfluss ein. “Egal, ob ich nur ein Stück produzieren will oder eine Massenfertigung: Wir sind dann in der Lage, die Produktionsabläufe so zu optimieren, dass wir superschnell alles aus einer Hand liefern können.”  

Auf dem Messestand wirbeln sie dann herum, Whizzkid, Team Player und Delivery Guy: Ein bißchen cool soll es ja schließlich sein. Ach ja: Sie sehen auch alle ziemlich freundlich aus. Denn schließlich, das wird man hier in Hannover nicht müde zu betonen: Sie sollen dem Menschen helfen – und ihm nicht die Jobs wegnehmen.