Der die Kunstszene auf den Kopf stellte: Georg Baselitz wird 80

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Mit 18 flog er von der Kunsthochschule, weil es ihn zu Picasso hinzog. Das Image vom Querkopf hat Georg Baselitz auch danach gehegt wie seine Kunst selbst: zum 80. Geburtstag eines Weltstars.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Alles steht Kopf

    Georg Baselitz steht anno 2010 in der Galerie Neue Meister im Dresdner Albertinum vor zweien seiner Werke. Die sind mitnichten falsch herum aufgehängt, sondern genau so vom Künstler inszeniert: Seine Bilder “auf dem Kopf” machten ihn in den 1970er Jahren weltberühmt.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Provokante Anfänge

    Seine Karriere begann Baselitz in den 1960er Jahren mit provokanten Gemälden, die Kunsthochschule Berlin-Weißensee hatte ihn da bereits wegen Unreife geschasst. 1962/63 entstand das Bild “Die große Nacht im Eimer”, das einen Jungen beim Masturbieren zeigt und als bekanntester Baselitz aus dieser Zeit gilt.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Die Heimat im Namen

    Zur Welt kam er als Hans-Georg Kern im sächsischen Deutschbaselitz, das ihm später als Vorlage seines Künstlernamens diente. Mitte der 1950er Jahre studierte er Malerei, erst an der Hochschule für bildende Künste in Ost-, später an der Hochschule der bildenden Künste in West-Berlin, wohin er 1958 zog. 1961 nahm er seinen Künstlernamen an. Hier zu sehen ist “Offenes Tor”, eines seiner Spätwerke.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Nicht ideologisch

    Baselitz wehrte sich gegen die Kunstdogmen, denen er in Ost und West begegnet war: der menschlichen Dinglichkeit hier wie der reinen Abstraktion mit dem Ziel der Subjektivierung dort. Das Bildnerische fand in beiden Ideologien nicht statt, fand Baselitz. Schließlich nutzte er die Motivumkehr, hier in “Nachtessen in Dresden”, um sich auszudrücken.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Russischer Zyklus

    Zwischen 1998 und 2005 erstellte Baselitz mehr als 60 “Russenbilder”, in denen er Motive verfremdete, die er aus seiner Jugend in der DDR kannte – ein spätes Aufbegehren gegen das Dogma des sozialistischen Realismus, den eine starke Wirklichkeitsnähe prägte. Den Begründer der Sowjetunion stellte er in “Lenin on the Tribune” ebenfalls auf den Kopf.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Unvorteilhafte Selbstporträts

    Im Arsenal stellte Baselitz auf der Biennale 2015 acht unbenannte Selbstporträts aus: Er malte sie nach Vorlage eines Fotos, das für ihn aufgrund seines Alters “nicht sehr erfreulich” gewesen sei. Bereits 1980 hatte Baselitz in Venedig im deutschen Pavillon eine Holzskulptur ausgestellt, für die er aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Adolf Hitler heftige Kritik von Feuilleton wie Publikum erntete.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Holz, dem keine Wahl bleibt

    Die Biennale war auch Anlass für Baselitz, sich der Bildhauerei zu widmen. “Es wird schon irgendwie entstehen, wenn du dich vollständig in diese Arbeit vertiefst”, dachte er und wählte Holz als Material: “Dem Holz bleibt gar nichts weiter übrig, wenn ich lange genug darauf herumhacke.” Seine “Dresdner Frauen” (oben) zeigten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zum 20. Jahrestag des Mauerfalls.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Gebrochene Helden

    Im Juli 2015 kündigte Baselitz aus Protest gegen die geplante Verschärfung des deutschen Kulturgutschutzgesetzes an, seine Leihgaben aus deutschen Museen zurückzuziehen. Die Novellierung sah zu diesem Zeitpunkt vor, Museumssammlungen in ihrer Gesamtheit unter einen Ausfuhrschutz zu stellen. Die Schau “Gebrochene Helden” umfasst Radierungen und Holz- und Linolschnitte, hier aus dem Zyklus “CDF”.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Bekanntheit hat ihren Preis

    Georg Baselitz zählt noch immer zu den weltweit bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern, der aktuelle Kunstkompass listet ihn auf Platz vier. Das schlägt sich in den Preisen für seine Werke nieder: Für die Bronzeskulptur “Zero Dome” wurde 2017 950.000 Euro verlangt. Ob sie richtig herum oder auf dem Kopf steht? Darüber darf spekuliert werden.

    Autorin/Autor: Torsten Landsberg


  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Alles steht Kopf

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    Zur Welt kam er als Hans-Georg Kern im sächsischen Deutschbaselitz, das ihm später als Vorlage seines Künstlernamens diente. Mitte der 1950er Jahre studierte er Malerei, erst an der Hochschule für bildende Künste in Ost-, später an der Hochschule der bildenden Künste in West-Berlin, wohin er 1958 zog. 1961 nahm er seinen Künstlernamen an. Hier zu sehen ist “Offenes Tor”, eines seiner Spätwerke.

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    Zwischen 1998 und 2005 erstellte Baselitz mehr als 60 “Russenbilder”, in denen er Motive verfremdete, die er aus seiner Jugend in der DDR kannte – ein spätes Aufbegehren gegen das Dogma des sozialistischen Realismus, den eine starke Wirklichkeitsnähe prägte. Den Begründer der Sowjetunion stellte er in “Lenin on the Tribune” ebenfalls auf den Kopf.

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    Unvorteilhafte Selbstporträts

    Im Arsenal stellte Baselitz auf der Biennale 2015 acht unbenannte Selbstporträts aus: Er malte sie nach Vorlage eines Fotos, das für ihn aufgrund seines Alters “nicht sehr erfreulich” gewesen sei. Bereits 1980 hatte Baselitz in Venedig im deutschen Pavillon eine Holzskulptur ausgestellt, für die er aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Adolf Hitler heftige Kritik von Feuilleton wie Publikum erntete.

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    Holz, dem keine Wahl bleibt

    Die Biennale war auch Anlass für Baselitz, sich der Bildhauerei zu widmen. “Es wird schon irgendwie entstehen, wenn du dich vollständig in diese Arbeit vertiefst”, dachte er und wählte Holz als Material: “Dem Holz bleibt gar nichts weiter übrig, wenn ich lange genug darauf herumhacke.” Seine “Dresdner Frauen” (oben) zeigten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zum 20. Jahrestag des Mauerfalls.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Gebrochene Helden

    Im Juli 2015 kündigte Baselitz aus Protest gegen die geplante Verschärfung des deutschen Kulturgutschutzgesetzes an, seine Leihgaben aus deutschen Museen zurückzuziehen. Die Novellierung sah zu diesem Zeitpunkt vor, Museumssammlungen in ihrer Gesamtheit unter einen Ausfuhrschutz zu stellen. Die Schau “Gebrochene Helden” umfasst Radierungen und Holz- und Linolschnitte, hier aus dem Zyklus “CDF”.

  • Georg Baselitz: Agitator von Weltruhm

    Bekanntheit hat ihren Preis

    Georg Baselitz zählt noch immer zu den weltweit bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern, der aktuelle Kunstkompass listet ihn auf Platz vier. Das schlägt sich in den Preisen für seine Werke nieder: Für die Bronzeskulptur “Zero Dome” wurde 2017 950.000 Euro verlangt. Ob sie richtig herum oder auf dem Kopf steht? Darüber darf spekuliert werden.

    Autorin/Autor: Torsten Landsberg


Wenn ein angehender Künstler schon früh von der Kunsthochschule fliegt, kann das entweder das Ende seiner jungen Karriere bedeuten – oder aber der Startschuss zu einer Weltkarriere sein. Im Fall von Georg Baselitz traf letzteres zu. 1956 war er zum Studium aus dem sächsischen Deutschbaselitz nach Ostberlin gezogen, doch nach zwei Semestern an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst war Schluss, man attestierte ihm “gesellschaftspolitische Unreife”. Der 18-Jährige, der damals noch Hans-Georg Kern hieß, hatte sich in den Semesterferien geweigert, zur solidarischen Mitarbeit in ein Industriekombinat nach Rostock zu fahren. Er malte lieber Bilder im Stile Picassos.

Da die Mauer noch nicht gebaut war, zog er von Ost- nach Westberlin, wo er auf die zu jener Zeit in der deutschen Kunst omnipräsente Abstraktion traf. Statt sich einzureihen, waren Baselitz’ Figuren von einem expressiven Realismus geprägt – ein konsequentes Ausbrechen aus dem künstlerischen Status quo. 1961 nahm er seinen Künstlernamen an und erregte bald Aufsehen mit Bildern, die nicht in die bieder-gesellschaftlichen Konventionen passen wollten. “Ich war ein vollständig verquerer, verbohrter, renitenter Typ, der alle ablehnte”, sagte Baselitz der befreundeten Bianca Jagger im “Interview”-Magazin über jene Zeit.

2013 gewährte Baselitz Dokumentarfilmern Zutritt zu seinen Ateliers in Deutschland und Italien

Zwei seiner Bilder, “Der nackte Mann” und “Die große Nacht im Eimer”, sorgten 1963 für einen Eklat und wurden beschlagnahmt. Baselitz und zwei Berliner Galeristen mussten sich wegen der Zurschaustellung von Pornografie verantworten, erst vor dem Landgericht Berlin und schließlich vor dem Bundesgerichtshof. Die Bilder zeigten je eine Figur mit großem Penis, und wer wollte, konnte darin den Akt der Masturbation erkennen. Das Verfahren wurde schließlich eingestellt.

Bis heute ist ungeklärt, ob das Aufsehen nicht bewusst inszeniert war: Der Galerist Michael Werner soll eine skandalisierende Berichterstattung befördert haben, die Grundlage der Beschlagnahme war. Wahr oder nicht: Werner wurde nach dem Prozess zu einer bedeutenden Figur auf dem deutschen Kunstmarkt, Baselitz verkaufte plötzlich Bilder – und ganz nebenbei war das Image vom unbeugsamen Rebell etabliert, das sich bis heute hält. Baselitz hat dazu immer wieder durch streitbare Einlassungen beigetragen. So wiederholte er mehrfach, Frauen könnten nicht malen, was sich an den niedrigen Preisen widerspiegele, die ihre Gemälde auf dem Kunstmarkt erzielten. Die Documenta bezeichnete er einmal als “Paralympics”. Wohl bedachte Äußerungen, die die Marke Baselitz im Gespräch hielten.

Jung sein und dazugehören

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Georg Baselitz wird 80

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Georg Baselitz wird 80

Der Maler betrachtet seine Werke als “Schlachten”, von denen seit dem 21. Januar anlässlich seines 80. Geburtstags rund 100 in einer Retrospektive in der Fondation Beyeler in Basel gezeigt werden. Im Juni ziehen die Gemälde nach Washington weiter – unter ihnen “Der nackte Mann”.

2015 zog Baselitz seine Leihgaben aus deutschen Museen zurück, weil das Kulturschutzgesetz der Bundesregierung vorsah, Museumssammlungen in ihrer Gesamtheit unter einen Ausfuhrschutz zu stellen. Künstler, Sammler, Galeristen oder Auktionshäuser hätten Kunst dann ausschließlich in Deutschland verkaufen dürfen. Georg Baselitz’ Kunstwerke wechseln weltweit für hunderttausende Euro die Besitzer, ältere Werke erzielen bei Auktionen siebenstellige Beträge. Für Baselitz kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen: “Ich möchte da dabeibleiben, jung sein, dazugehören”, sagte er 2013 dem Nachrichtenmagazin “Der Spiegel”. Der aktuelle Kunstkompass führt ihn auf Platz vier der wichtigsten lebenden zeitgenössischen Künstler.

Zu Baselitz’ Ruhm beigetragen hat die Fähigkeit, sich und die eigene Kunst immer wieder neu zu erfinden – was Kunsthändler immer wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lässt, fragen die Kunden doch nach dem, was sie kennen. Mitte der 1960er Jahre schuf Baselitz innerhalb kurzer Zeit rund 60 Gemälde, die als “Helden” bekannt sind. Mit 30 habe er “rumdilettiert, weil ich diese erschöpfenden Bilder hinter mir hatte, die Helden-Bilder waren wie ein abgeschlossenes biografisches Werk”, erzählte er Bianca Jagger.

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Es folgte ein Kapitel, das ihn weltberühmt und einzigartig machen sollte: Baselitz malte die Bilder auf dem Kopf. “Ich musste nun keine monströsen Dinge mehr erfinden. Ich konnte eine Fotografie nehmen, von einem Apfelbaum oder einem Adler, und in einer realistischen, konservativen Weise malen. Durch die Umkehrung war es unnötig geworden, die Malerei im Bild voranzutreiben.” Damit gelang es ihm, die Sehgewohnheiten der Betrachter aufzubrechen und ihren Blick zu schärfen: Sitzt alles dort, wo es hingehört? Und: Was soll das eigentlich?

Bildhauer und Remix

Georg Baselitz schuf ein Alleinstellungsmerkmal – und widmete sich dann der Bildhauerei. Riesige Figuren aus Holz waren das Ergebnis. Baselitz malte auch frühere Bilder nach, der “Remix” sollte sie mit der Gegenwart verbinden. Vor seinem 75. Geburtstag kündigte er an, fortan vornehmlich schwarze Bilder zu malen.

Museen in aller Welt haben seine Werke ausgestellt, er war im deutschen Pavillon der Kunstbiennale in Venedig vertreten. Baselitz, der seit 2013 mit seiner Frau in Salzburg lebt, wird anlässlich seines 80. Geburtstags am 23. Januar auch in seiner Heimat geehrt: Das sächsische Kamenz, dem Deutschbaselitz 1999 eingemeindet wurde, verteilt über das Jahr zwei Ausstellungen, einen Vortrag sowie eine Buchpremiere.