Mit Metall-Mischungen auf Erfolgskurs

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Formgedächtnislegierungen von Ingpuls steuern Ventile in Autos und sorgen für Sicherheit in einem Schweizer Kernkraftwerk. Auch für medizintechnische Produkte wie Stents sind Nickel und Titan die Rohstoffbasis.

Das Ingpuls-Geschäftsgebäude im westfälischen Bochum

Auch Metalle sind zu einer Gedächtnisleistung fähig, indem sie sich nach einer Verformung durch Wärme wieder an ihre Ursprungsform erinnern und dabei Kräfte freisetzen. Kräfte, die sich nutzen lassen. Und zwar erzeugt von Formgedächtnislegierungen für unterschiedlichste Anwendungsbereiche. Zum Beispiel in der Automobilindustrie. Davon zeigten sich drei junge Materialwissenschaftler der Ruhr-Universität fest überzeugt und gründeten vor 14 Jahren das Startup Ingpuls. Heute beliefert Ingpuls nicht nur führende deutsche, sondern auch ausländische Fahrzeughersteller. Darüber hinaus fertigt man am Standort Bochum auch Produkte für die Medizintechnik.

“Wir haben aktuell rund ein halbes Dutzend Serienprojekte, die bei den unterschiedlichsten Fahrzeugherstellern zum Einsatz kommen für Wasserkreisläufe, für Ölkreisläufe oder auch für Treibstoffkreisläufe,” erläutert Dr. Ing. Christian Großmann, einer der drei Geschäftsführer und Gründer. In den ersten Jahren, in denen das Startup eine ehemalige Bergbau-Halle nutzte, beschäftigte Ingpuls ein knappes Dutzend Mitarbeiter. Inzwischen verfügt man mit einem modernen Neubau an einem neuen Standort, ebenfalls auf einem alten Zechengelände, über eine 5000 Quadratmeter große Produktionsfläche. Mit fast 70 Mitarbeitern erzielt das Unternehmen einen Jahresumsatz knapp unterhalb der zweistelligen Millionengrenze.

Die Gründer und Geschäftsführer von Ingpuls (von links): Christian Großmann, André Kortmann und Burkhard Maaß

Neuartige Legierung für Kernkraftwerk entwickelt

Automobilhersteller und deren Zulieferer wenden sich nach den Worten von Christian Großmann bereits in der Entwicklungsphase neuer Modelle an die Formgedächtnislegierungsspezialisten in Bochum. “Wir werden schon früh bei der Machbarkeitseinschätzung an den Tisch geholt und prüfen dann von unserer Seite aus, ob die Aufgabenstellung mit dieser Technologie überhaupt gemacht werden kann.”

Ist das der Fall, startet Ingpuls zusammen mit den Zulieferern Entwicklungsprojekte, “in denen wir die Spezifikation für unsere Komponente gemeinsam erarbeiten und im nächsten Schritt Musterteile herstellen.” Als Basis-Rohstoffe kommen bei der Abmischung für die Formgedächtnislegierungen Nickel und Titan zum Einsatz. Und je nach der erforderlichen Beschaffenheit werden weitere Elemente hinzugemischt. Die Bandbreite reicht von Chrom über Platin bis zu Silber. Was in welchem Anteil zugemischt wird, sagt Christian Großmann, hänge auch von den Temperaturen ab, denen die Formgedächtnislegierungen ausgesetzt sind.

Mischungsverhältnisse gibt es nicht von der Stange. Für intelligente Beschattungssysteme der Tochtergesellschaft “ingpuls smart shading”, also Jalousien und Markisen, die nicht mit Elektromotoren, sondern mit Formgedächtniselementen angetrieben werden, galt es eine andere Zusammensetzung zu entwickeln als für ein Fluid-Regelventil in einem Auto. Das trifft ebenso auf die Kooperation mit einem Schweizer Unternehmen aus der Kernenergiewirtschaft bei der Entwicklung eines Passiv-Ventils für das Kernkraftwerk in Gösken zu.

Außerterrestrischer Einsatz

“Dafür haben wir ebenfalls eine neuartige Legierung entwickelt,” erläutert Christian Großmann. “Und zwar eine Hochtemperaturlegierung, die bei über 200 Grad Celsius ihren Auslösepunkt hat. Das ist jetzt zertifiziert und freigegeben worden. Wir haben schon gestartet mit der Produktion von vielen hundert Ventilen mit mehreren tausend Teilen.”

Ein Projekt, in das die Formgedächtnislegierungs-Experten ein halbes Jahrzehnt Entwicklungsarbeit investiert haben. Über den Abnehmer in der Schweiz hinaus kann sich diese Entwicklung für das Unternehmen mittelfristig durchaus auszahlen, “da diese Hochtemperaturlegierungen super interessant sind für Boeing und die NASA. Auch mit diesen Organisationen arbeiten wir zusammen und stehen in engem Austausch.” Als potentielle Kunden kommen überdies auch Industriebereiche in Betracht, in denen bei hohen Prozesstemperaturen kritische Betriebszustände kontrolliert werden müssen. Etwa in der Chemie- und Petroindustrie.

Das Firmengelände in Bochum: In der Mitte ist noch ein Förderturm zu erkennen – hier wurde früher Kohle abgebaut

Präzisions-Rohre für Operationen

Auf dem Gebiet der Formgedächtnislegierungen führt in Deutschland kaum ein Weg an Ingpuls mehr vorbei. Mit der Grundmischung aus Nickel und Titan und dem erworbenen Know-How fertigt das Unternehmen auch Produkte für den Bereich der Medizintechnik. Dazu gehören nach den Worten von Christian Großmann auch Stents, “die dann im kardiovaskulären Bereich eingesetzt werden. Oder auch als medizinisches Instrument im neurovaskulären Bereich, um zum Beispiel bei Schlaganfällen Blutverklumpungen aus den Gefäßen herauszuziehen.”

Neben solchen Implantaten zur Gefäßerweiterung werden zudem Führungsdrähte aus Nickel-Titan benötigt, “die vorneweg durch das Gefäßsystem geschoben werden, bis sie an der richtigen Stelle sind. Erst dann, wenn der Führungsdraht seinen Zielort erreicht hat, wird der Rest des Katheters hinterhergeschoben mit dem eigentlich zu applizierenden Implantat.”  Und man braucht dazu auch, schiebt Geschäftsführer Großmann hinterher, Rohre aus Nickel-Titan. Präzisionsrohre, die bislang nur wenige etablierte Unternehmen auf der Welt herstellen, so dass auf diesem Markt ein Engpass bestehe. Das soll sich alsbald ändern, denn bei Ingpuls ist man gerade dabei, die ersten Rohr-Prototypen zu ziehen und eine entsprechende Produktion aufzubauen.